Die hindunationalistische BJP präsentiert die Kandidatin Draupadi Murmu zur ­Präsidentschaftswahl

Symbolpolitik von rechts

Erstmals wird in wenigen Tagen wohl mit Draupadi Murmu eine Indigene Präsidentin Indiens. Aufgestellt hat sie allerdings die regierende hindunationalistische BJP. Die schürt auch neue Spannungen mit der muslimischen Minderheit.

Voraussichtlich wird am 18. Juli erstmals eine Indigene in das nominell höchste Amt Indiens gewählt werden. Alles deutet darauf hin, dass Draupadi Murmu vom Wahlleutegremium zum 18. Staatsoberhaupt bestimmt wird. Es wäre knapp einen Monat vor dem 75. Unabhängigkeitstag Indiens am 15. August eine Premiere mit großer Symbolwirkung – und zugleich für viele eine mit einem schalen Beigeschmack. Denn Murmu wurde ausgerechnet von der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) des Premierministers Narendra Modi nominiert, die seit 2014 die Bundesregierung stellt und auch in den meisten Unionsstaaten die bestimmende politische Kraft ist. Die 1984 gegründete BJP ist in erster Linie die Partei älterer Männer aus den höheren Kasten der Hindu-Bevölkerungsmehrheit. Die Partei hängt traditionell der Hindutva-Ideologie an, deren Ziel es ist, den Hinduismus zur Staatsreligion zu erheben; besonders viel für Minderheiten hat die Partei logischerweise nicht übrig.

Doch wenn es dem eigenen Kalkül nützt, bedient man sich der Vorzeigevertreter von Minderheiten. So war es pikanterweise die BJP, die in Absprache mit der Kongresspartei 2002 den Atomwissenschaftler A. P. J. Abdul Kalam, einen Muslim, zum Präsidenten machte. In der BJP selbst sind Muslime eine verschwindende Minderheit, von radikalen Mitgliedern und mehr noch verbündeten Kräften in der sogenannten Safran-Front (benannt nach der safrangelben Fahne und Kleidung, die Hindunationalisten verwenden) werden Muslime gar als Feinde angesehen. Es waren nicht zuletzt die Milizionäre der Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), der hindunationalistischen Bewegung, aus der heraus die BJP entstand, sowie der verbündeten Gruppen Bajrang Dal und Vishva Hindu Parishad (VHP), die 2002 für die Pogrome verantwortlich waren, die in Modis Herkunftsstaat Gujarat über 2 000 Menschen, überwiegend Muslime, das Leben kosteten.

Draupadi Murmu, seit vielen Jahren in der BJP, ist nie als besondere Vorkämpferin für Minderheitenrechte aufgefallen.

Auch Dalits, die im hinduistischen Kastenwesen einstmals als unberührbar gegolten hatten und auch heute noch auf der untersten Stufe stehen, und Adivasis, wie die Hunderte höchst unterschiedlicher indigener Minder­heiten im Land gemeinhin genannt werden, spielen in der BJP und ihrer prak­tischen Politik keine eigenständige Rolle. Doch Ram Nath Kovind, Präsident seit 2017 und der zweite Dalit in diesem Amt, war immerhin seit 1991 Mitglied der BJP und wurde 2015 zum Gouverneur des Bundesstaats Bihar ernannt.

Nun soll Murmu dessen Nachfolge antreten. Sie wäre die erste Indigene und auch erst die zweite Frau (nach Pratibha Patil von der Kongresspartei) sowie mit 64 Jahren die Erste im Präsidentenamt, die im unabhängigen Indien zur Welt kam. Sie ist als Politikerin versiert und erfolgreich, hatte bereits als erste Frau das Gouverneursamt im Bundesstaat Jharkhand inne und schaffte es, sich eine volle Amtszeit zu behaupten. Zuvor hatte die Politikerin, die zur Bevölkerungsgruppe der Santhal gehört, in ihrem Herkunftsstaat Odisha diverse Ministerämter inne.

Murmu, seit vielen Jahren in der Partei, ist nie als besondere Vorkämpferin für Minderheitenrechte aufgefallen, hatte sich als Gouverneurin allerdings zweimal gegen die Regierung gestellt, als es um den Status von Gebieten ging, die die Adivasi für sich beanspruchen. Aber Murmu habe nicht einmal Elektrizität in ihr eigenes Heimatdorf bringen können, sagte die Sozialaktivistin Medha Patkar der Nachrichtenagentur PTI. Sie erinnerte daran, dass die BJP weiter verfassungsrechtlich garantierte Landrechte von Adivasi in Waldgebieten zugunsten neuer Industrieprojekte einschränke. Eine indigene Präsidentin Murmu werde auch kaum verhindern, dass weiter Stammesaktivistinnen und -aktivisten unter dem Etikett »Maoisten« zuhauf in Gefängnissen landeten, so das Wochenmagazin Outlook. Der Deccan Herald nannte sie bereits »die neue Ikone des subalternen Hindutva«.

Diese Personalentscheidung hat die Opposition auf dem falschen Fuß erwischt. Eigentlich wollte die Allianz der BJP-Gegner von links bis ins rechtsliberal sich mit der Präsidentenwahl schon einmal auf den eigentlichen Machtkampf vorbereiten. Dieser steht 2024 an, wenn das Bundesparlament neu gewählt werden soll. 17 Parteien berieten gemeinsam, wen sie für das Präsidentenamt nominieren wollen – um mit der Personalentscheidung weitere Partner aus den Reihen der Regionalparteien zu gewinnen. Doch die Kandidatensuche zog sich hin und war von Rückschlägen überschattet. Erst winkte Sharad Pawar ab, der greise Vorsitzende der Nationalist Congress Party (NCP) aus Maharashtra. Auch von Farooq Abdullah, von 1986 bis 2002 Regierungsoberhaupt (chief minister) des 2019 von der Regierung Modi seiner Autonomierechte beraubten und seither zweigeteilten Jammu und Kaschmir, gab es eine Absage. Nicht einmal Gopalkrishna Gandhi, ehemaliger Diplomat und ein Enkel von Mahatma Gandhi, dem »Vater der indischen Unabhängigkeit«, wollte sich auf die Kandidatur einlassen.

Vor diesem Hintergrund wirkt Yashwant Sinha, auf den man sich schließlich einigen konnte, eher als Verlegenheitslösung. Der 84jährige hat zudem ein weiteres Manko: Obwohl expliziter Modi-Kritiker stammt er selbst aus der BJP, für die er unter Premierminister Atal Bihari Vajpayee von 1998 bis 2004 als Finanz- und Außenminister diente. Das BJP-Parteibuch hatte er noch bis 2018, erst vor einem Jahr trat er dem Trinamool Congress (TMC) bei. Das ist jene Regionalpartei, die im indischen Bundesstaat Westbengalen eine der letzten Oppositionshochburgen regiert. Die dortige Regierungschefin und Vorsitzende des TMC, Mamata Banerjee, wurde schon wiederholt für das oppositionelle Bündnis als mögliche Herausforderin Modis 2024 gehandelt.

Neben Zeitverzug und Absagen belastet die Oppositionsallianz auch, mehrere andere Parteien, auf deren Stimmen sie hoffte, nicht aktiv einbezogen zu haben. Darüber beklagte sich schon Mayawati, die Voristzende der vor allem bei Dalits verankerten Bahujan Samaj Party (BSP). Auch die in Odisha regierende Partei Biju Janata Dal (BJD) will für Murmu stimmen, die in Jharkhand tonangebende Jharkhand Mukti Morcha (JMM) schwankt noch. Sie steht vor einem Dilemma: Die Partei steht fest zum oppositionellen Bündnis, doch gerade Jharkhand ist stark indigen geprägt. Mit dem früheren BJP-Mann Sinha wiederum fremdelt nicht nur die Linke.

Gerade in der Kommunistischen Partei Indiens-Marxistisch (CPI-M), tonangebende Kraft der in ihrer nationalen Bedeutung stark geschrumpften Left Front (Linke Front), die nur noch im Bundesstaat Kerala das Regierungsoberhaupt stellt, nehmen es an der Basis viele der Parteiführung übel, sich auf solch eine Nominierung eingelassen zu haben. Er sei nicht glücklich mit dieser Kür und Sinha »nicht der beste Kandidat«, lamentierte gegenüber der Nachrichtenagentur PTI Bikash Ranjan Bhattacharya, inzwischen ­einziger Parlamentsabgeordneter der CPI-M aus Westbengalen, wo die Left Front einst über 30 Jahre (1977–2011) ununterbrochen regiert hatte. Auch ein lieber anonym bleibendes Politbüromitglied der Partei sprach gegenüber der Shillong Times von einer Fehlentscheidung. Das ZK der CPI-M schaltete sogar die Kommentarfunktion der Partei-Website ab, weil es dort zu viel Kritik gab.

Während die bevorstehende Präsidentenwahl dieser Tage die Schlagzeilen dominiert, wachsen die religiösen Spannungen in der indischen Gesellschaft. In vielen Landesteilen kam es zu Protesten, nachdem zwei prominente Mitglieder der BJP mit islamfeindlichen Äußerungen von sich reden gemacht hatten. Es handelte sich ausgerechnet um angebliche Medienprofis, nämlich die danach umgehend aus ihrem Amt entfernte nationale Pressesprecherin der BJP, Nupur Sharma, und um Naveen Kumar Jindal, PR- und Medienverantwortlicher der Partei in der Hauptstadtregion Delhi. Sharma hatte sich in einer TV-Diskussionsrunde abfällig über den Propheten Mohammed geäußert, Jindal dies online weitergetragen.

Aus der islamischen Minderheit, die immerhin 13 Prozent der fast 1,4 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohner Indiens stellt, kam ein Aufschrei der Entrüstung. Die Straßenproteste Mitte Juni eskalierten zum Teil, woraufhin an mehreren Orten von der BJP dominierte Verwaltungen Bulldozer einsetzten, um Häuser der Familien sogenannter Aufrührer niederzureißen.

Vor allem im bevölkerungsreichsten Unionsstaat Uttar Pradesh machte ­Regierungsoberhaupt Yogi Adityanath von dieser Strafmaßnahme gegen Muslime Gebrauch. Der Hindupriester gilt selbst innerhalb der BJP als besonderer Hardliner. In seinem Staat, und gerade in der den Hindus heiligsten Stadt Varanasi, droht derzeit der Streit um die dortige Gyanvapi-Moschee die Konflikte zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen zu eskalieren. Sie wurde um das Jahr 1670 auf Geheiß des islamischen Großmoguls Aurangzeb errichtet; dafür wurde ein benachbarter Hindu-Tempel teilweise zerstört. Bis heute finden sich daher auf dem Moscheegelände figürliche Relikte aus der hinduistischen Vergangenheit. Hindu-Fanatiker wollen, dass die Moschee dort verschwindet. Derzeit geht es vor Gericht zunächst um Gebetsrechte, die einige hinduistische Gläubige im Außenbereich erstreiten wollen. Ein Urteil steht noch aus.