Zwei Kuratoren der Documenta fifteen haben in Hamburg eine Gastprofessur erhalten

Konstruktiv bis zum Äußersten

Trotz der antisemitischen Inhalte von Kunstwerken auf der Docu­menta fifteen hat der Präsident der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) zwei der Kuratoren der internationalen Kunst­ausstellung auf eine Gastprofessur berufen.

»Mit antisemitischen Debatten haben wir rein gar nichts zu tun.« Man sei ­weder Antisemit noch Unterstützer der antisemitischen BDS-Kampagne. Das versicherte vergangene Woche einer der beiden neuen Gastprofessoren der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK), Iswanto Hartono, im ­Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Dass es sich dabei um ein Mitglied des indonesischen Künstlerkollektivs Ruangrupa handelt, der sich als Kurator der Documenta fifteen im Zentrum einer monatelang andauernden Debatte über Antisemitismus in der Kunstschau befand, steht jedoch im eklatanten Widerspruch zu dieser Aussage.

Statt Konsequenzen zu zeitigen oder zumindest zu kleinlauter Zerknirschtheit bei den Verantwortlichen und der Schar ihrer Apologeten im BDS-durchzogenen deutschen Kunstbetrieb zu führen, scheint der Documenta-Skandal vielmehr in Hamburg belohnt zu werden: Am Mittwoch voriger Woche begrüßte der Prä­sident der HFBK, Martin Köttering, neben Hartono auch Reza Afisina von ­Ruangrupa als Gastprofessoren für das kommende Semester.

Den Protestierenden gelang es mit kritischen Zwischenrufen, die Begrüßungsveranstaltung für die Gastprofessoren vorzeitig zu beenden.

Die Einladung war bereits einige Monate vor der Eröffnung der Documenta fifteen erfolgt. Man habe damals geplant, sagte Köttering vergangene Woche im Gespräch mit dem Spiegel, im Rahmen der Gastprofessur »die künstlerische Praxis und den Kunstbegriff von Ruangrupa« zu diskutieren. Nun solle die Gastprofessur auch zur »Documenta-Aufarbeitung« genutzt werden. Man wolle »den Fragen, die auf­gekommen sind, mehr Raum geben, als es bisher geschah«, so Köttering. Zudem lobte er seine Hochschule als »sehr politischen Ort«, täglich gehe es »in den Veranstaltungen um Rassismus, Diskriminierung, Intersektionalität«. Das universitäre »Klima« sei »­äußerst kritisch, diskussionsfreudig und konstruktiv«, niemand könne sich »wegducken und sagen ›Das habe ich so nicht gemeint‹«, so Köttering.

Hingegen sagt Jan Schneidereit, ehemaliger Student der Fotografie an der HFBK, im Gespräch mit der Jungle World, dass der Alltag und die Lehre an der Hochschule von einer »politischen Lethargie« und »inhaltlichen Oberflächlichkeit« bestimmt seien. Diesen Eindruck hätten ihm auch Lehrkräfte in Gesprächen bestätigt, sagte Schneidereit. Zwar gebe es gerade in den ersten Semestern eine Art Konkurrenz darum, welche Arbeit sich politisch am relevantesten geriert, gesellschafts­the­o­re­tisches Wissen werde aber so gut wie nicht vermittelt, so Schneidereit.

Dass die HFBK daran festhielt, den zwei Kuratoren eine Gastprofessur zu offerieren, sorgte für Unverständnis. »Wer nach mehrmonatiger Dauer auf der Documenta fifteen von seinen antisemitischen Gedanken überhaupt nicht ablassen will, der zeigt, dass er in Deutschland an einer öffentlichen Hochschule nichts zu suchen hat«, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hannover, Michael Fürst, vergangene Woche dem NDR. Der Hamburger Antisemitismusbeauftragte Stefan Hensel bezeichnete die Berufung der beiden Künstler als »skandalös«.

Diese Meinung vertraten auch die Protestierenden, denen es Mittwoch voriger Woche gelang, Köttering mit kri­tischen Zwischenrufen dazu zu zwingen, die Begrüßungsveranstaltung in der Hochschule vorzeitig zu beenden. In einer Mail, die die Protestierenden an einige Personen versendet haben und die der Jungle World vorliegt, schreiben sie, dass die Intervention zunächst nur zögerlich in Gang gekommen sei. »Am Beifall während der Rede des HFBK-Chefs wurde zudem deutlich, dass die Mehrheit des schwer einzuschätzenden Publikums die Kritik am Antisemitismus der Documenta nicht teilt«, so die Protestierenden. Die Stimmung im Saal habe sich erst dann geändert, als ein weiterer neu berufener Gastprofessor mit seiner Festrede beginnen wollte. »Auch Tom Holert ­bekommt diesen Posten nur, weil er wie fast alle früheren Spex-Leute BDS-Anhänger ist«, zitieren die Protestierenden einen Zwischenrufer. Der darauf folgende Schlagabtausch habe, so die Protestierenden, »einige untertänige ­Besucher zum Schweigen gebracht«, weil sie den Zwischenrufer nicht mit den Protestierenden identifiziert hätten und dadurch verunsichert wurden. »Es kam zu einem Hin und Her zwischen uns und dem Podium, an dem immer noch Tom Holert stand, der mit seinem Festvortrag einfach nicht beginnen konnte«, schreiben die Protestierenden. Köttering habe schließlich die Veranstaltung abgebrochen.

»Ich bin im Iran aufgewachsen, einem Land, in dem antisemitische und antizionistische Propaganda Alltag sind, einem Land des Globalen Südens«, sagt eine der Protestierenden der Jungle World, die bei der Eröffnungsveranstaltung vor Ort gewesen ist. »Dass ­Teile der deutschen Linken hier Menschenfeindlichkeit für weniger erachten als die Kunstfreiheit, weil die Kunst aus dem Globalen Süden kommt, ist für mich völlig unverständlich.« In der Islamischen Republik Iran müssten derweil Künstlerinnen für die Kunstfreiheit ins Gefängnis, sagt sie: Es sei schockierend, dass sich weder Studierende noch Mitarbeitende der HFBK ­kritisch dazu verhalten hätten. »Das zeigt, wie tief der Antisemitismus in der Kunstszene sitzt.«

Die Kuratoren dürften den Protest gelassen sehen. Bereits seit dem vergangenen Sommersemester lehren sie an der Kunsthochschule Kassel »die theoretischen und praktischen Grundlagen der Documenta fifteen« im ­Rahmen einer weiteren Gastprofessur.