Industrieunternehmen können auf staatliche Subventionen bei den Energiekosten hoffen

Warmer Regen für die Industrie

Die Bundesregierung stellt wegen der stark gestiegenen Energiepreise 200 Milliarden Euro unter anderem für die Unterstützung der deutschen Industrie in Aussicht. Die Bedingungen dafür sind bisher intrans­pa­rent und räumen den Unternehmen viele Freiräume ein, die sich lukrativ ausnutzen ließen.

Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft sind reichlich düster, wenn man ihren Vertretern Glauben schenken will. Deutschland drohe der Absturz »vom Industrieland zum Industriemuseum«, warnte der Präsident des Chemieverbands VCI, Markus Steilemann, kürzlich in der Bild-Zeitung. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Peter Adrian, prophezeite im Handelsblatt, dass »spätestens in sechs Monaten bei Zehntausenden Betrieben hierzulande die Lichter ausgehen«, wenn Gas und Strom weiter so teuer blieben. Dramatisch klingen auch die Worte von Reinhold von Eben-Worlée vom Verband der Familienunternehmen: »Draußen in der Fläche unserer Wirtschaft peitscht der Sturm bereits durch die Industriegebiete«, sagte er ebenfalls im Handelsblatt.

»Bei einem so fetten Brocken wie dem 200-Milliarden-Euro-Abwehr­schirm, ist es nicht überraschend, dass alle möglichst viel davon haben wollen.« Stefan Kooths, Institut für Weltwirtschaft in Kiel

Werden also bald in Deutschland Fabriken stillgelegt und von Unkraut überwuchert? Das will die Bundesregierung unbedingt verhindern und plant deshalb, große Unternehmen mit umfangreichen Subventionen zu unterstützen. Insgesamt will die Bundesregierung 200 Milliarden Euro aufwenden, um auch für Privatverbraucher und kleine Unternehmen ab März die Energiekosten zu senken (siehe Seite 8). Industrielle Großabnehmer, die mehr als 1,5 Millionen Kilowattstunden pro Jahr verbrauchen und über eine geregelte Lastgangmessung verfügen, sollen jedoch bereits ab Anfang des Jahres von staatlichen Subventionen profitieren, schlug die entsprechende Expertenkommission Gas und Wärme der Bundesregierung vor. Das betrifft etwa 25 000 große Unternehmen. Sie sollen 70 Prozent ihres Verbrauchs aus dem Jahr 2021 zu einem Beschaffungspreis von sieben Cent pro Kilowattstunden beantragen können, also deutlich unter den üblichen Marktpreisen, die derzeit mit leicht sinkender Tendenz bei 13 bis 15 Cent pro Kilowattstunde liegen. Zusammen mit Abgaben und Steuern ergäbe sich unter den Bedingungen der Gaspreisbremse der gleiche Endpreis wie bei privaten Konsumenten, nämlich 12 Cent pro Kilowattstunde. Ausgenommen hiervon sollen Gaskraftwerke sein.

Vor allem Vertreter der energieintensiven Branchen wie die Erzeuger von Stahl, Chemieprodukten, Papier, Glas oder Zement sind es, die händeringend nach staatlicher Unterstützung rufen. Viele Unternehmen in diesen Branchen können die höheren Kosten nicht durch höhere Preise an ihre Kunden weitergeben, weil sie international konkurrieren und gegen Wettbewerber bestehen müssen, die deutlich weniger für Energie zahlen. In Europa sind die Gaspreise derzeit deutlich höher als in den USA. Weil dadurch auch die Strompreise steigen, sind fast alle Branchen betroffen.

In gewisser Weise ist Deutschland damit Opfer seines eigenen Erfolges geworden, denn gerade die verarbeitende Industrie galt jahrzehntelang als Garant einer lukrativen Wertschöpfung. In der Chemieindustrie sind in Deutschland rund 580 000 Menschen beschäftigt, in der Metall- und Elektroindustrie sind es über vier Millionen. Selbst wenn die Gaspreisbremse kurzfristig Entlastung verschaffen sollte, bleibt die Frage nach der künftigen industriellen Entwicklung. Die hohen Kosten zwingen Unternehmen zwar dazu, deutlich schneller auf erneuerbare Ener­gien umzusteigen, also einen ohnehin bereits anvisierten Strukturwandel einzuleiten. Doch so schnell, wie es notwendig wäre, wird diese Transformation vermutlich nicht funktionieren. Ohne neuartige Energiespeicher ist der Bedarf der Wirtschaft an erneuerbarer Energie kurzfristig nicht zu decken; CO2-neutral produzierten Wasserstoff in ausreichenden Mengen gibt es wohl erst in ferner Zukunft.

Wie die Zeit überbrückt werden kann, bis entweder neue Energieträger oder genügend Strom aus regenerativen Quellen in ausreichendem Maße verfügbar sind, ist weithin unklar, was sich auch an der kontroversen Debatte über die weitere Nutzung von Atomkraft zeigt – allein solches vorzuschlagen, wäre vor kurzem noch undenkbar erschienen. Einige Branchen werden diesen Strukturwandel nur unter großen Schwierigkeiten oder auch gar nicht überstehen. Die Frage, die sich für die deutsche Wirtschaft stellt, ist, ob neue Industriezweige an die Stelle der herkömmlichen treten können.

Für manche Wirtschaftswissenschaftler lenkt die Debatte über die Gaspreisbremse daher sogar von den eigent­lichen Problemen ab. »Für große Chemieunternehmen ist nicht entscheidend, was in zwei Wochen geschieht, welche staatlichen Hilfen es gibt«, sagte etwa Clemens Fuest vom Institut für Wirtschaftsforschung in München der FAZ. »Für die ist entscheidend: Lohnt sich das Produzieren in Europa langfristig noch? Oder gehen sie besser die USA, wo die Energieversorgung sicher und deutlich günstiger ist?«

Die Gaspreisbremse kann im besten Fall Zeit für einen Übergang hin zu ­anderen Energieträgern oder einer anderen industriellen Struktur verschaffen. Entsprechend üben die Wirtschaftsverbände Druck auf die Bundesregierung aus, um möglichst schnell Entlastung zu erhalten. Welche Unternehmen in welchen Umfang tatsächlich von der Energiekrise betroffen sind und wie sie damit umgehen, ist hin­gegen sehr intransparent. Selbst dem unternehmernahen Institut für Weltwirtschaft in Kiel sind die vielfältigen Klagen teils suspekt. »Wenn die Bundesregierung einen so fetten ­Brocken wie den 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirm ins Schaufenster stellt, ist es nicht überraschend, dass jetzt alle ein möglichst großes Stück davon haben wollen«, meint Stefan Kooths, Vizepräsident des Instituts, der FAZ.

In welchem Ausmaß die Bundesregierung den Verbänden entgegenkommt, zeigt sich darin, wie viele Freiheiten den Unternehmen gewährt ­werden, um das subventionierte Gas einzusetzen. »Die geförderte Gas­menge kann das verbrauchende Unternehmen für seine Zwecke nutzen oder am Markt verwerten«, heißt es dazu im Bericht der von der Bundesregierung einberufenen Expertinnen-Kommission. Unternehmen können also das subventionierte Gas auch weiterverkaufen und den Erlös einstreichen. Ihre Produktion müssten sie anschließend allerdings drosseln oder gleich ganz einstellen, weil dann das Gas fehlt – vielleicht spekuliert mancher auch auf Kurzarbeitergeld oder andere Formen subventionierter Weiterbeschäftigung von Arbeitskräften. Es wäre sicher nicht das erste Mal, dass sich bei einer Krise an Steuermitteln auch gut verdienen lässt.