Die harte Konkurrenz in umkämpften Staaten bei den US-amerikanischen Zwischenwahlen

Harter Wahlkampf in Wisconsin

Bei den anstehenden Zwischenwahlen in den USA steht die knappe Mehrheit der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus und das Patt im Senat auf dem Spiel.

Wisconsin gilt in den USA als tiefste Provinz. Spötter behaupten, in dem US-Bundesstaat unweit der kanadischen Grenze würden mehr Kühe als Menschen leben. Politisch genießt der Bundesstaat hingegen eine enorme Bedeutung. Der kleine swing state ist bei den anstehenden Kongress-Zwischenwahlen am 8. November für den Verlauf der weiteren Amtszeit von US-Präsident Joe Biden mit entscheidend. Falls es dem demokratischen Kandidaten für den US-Senat, Mandela Barnes, gelingen sollte, den derzeitigen Mandatsinhaber Ron Johnson zu besiegen, hätten die Demokraten gute Chancen, ihre faktische Kontrolle über den Senat zu erhalten. Derzeit verfügen Demokraten und Republikaner jeweils über 50 Sitze im Senat, die Stimme der Vizepräsidentin Kamala Harris von der Demokratischen Partei entscheidet bei einem Patt.

In den meisten Bundesstaaten sind die Mehrheiten so deutlich, dass am Wahlausgang kein Zweifel besteht. Den Republikanern genügt bereits ein weiterer Sitz, um den Senat zu dominieren. Für beide Parteien ist daher der Wahlausgang in einigen wenigen umkämpften Staaten ausschlaggebend, neben Wisconsin vor allem in Georgia und Pennsylvania. Im Repräsentantenhaus hat die Partei von Joe Biden nur geringe Aussichten, ihre bisherige knappe Mehrheit von 220 zu 212 Sitzen zu verteidigen. Bei den Zwischenwahlen am 8. November werden zwei Jahre nach den Präsidentschaftswahlen rund ein Drittel der Senatssitze und alle 435 Abgeordneten im Repräsentantenhaus neu ermittelt. Senat und Repräsentantenhaus sind die zwei Kammern des Kongresses, der Legislative in den USA.

Mandela Barnes’ Programm ist auch der Versuch der Demokraten, Wähler aus der Arbeiterklasse wieder zurückzugewinnen, die sich nach rechts orientiert haben.

Beide Senatskandidaten führen in Wisconsin einen erbitterten Wahlkampf. Mandela Barnes gehört zum linken Flügel der Demokraten und hat mit 35 Jahren bereits eine erstaunliche Karriere gemacht, er ist stellvertretender Gouverneur von Wisconsin. Der schwarze Politiker, der als Hoffnungsträger gefeiert wird, erinnert viele in seiner Partei an den jungen Barack Obama, der Barnes angeblich auch zu seiner politischen Laufbahn inspiriert hat.

Barnes wuchs in Milwaukee auf, dem industriellen Zentrum Wisconsins am Lake Michigan. Sein Vater war jahrzehntelang bei General Motors beschäftigt und in der Gewerkschaft der Automobilarbeiter (UAW) aktiv. Seine Mutter arbeitete als Lehrerin. Seine Familiengeschichte betont Barnes unentwegt, wenn er im Wahlkampf über Themen wie soziale Sicherheit, Gesundheitsversorgung, Gewerkschaftsrechte und Wirtschaftshilfen spricht.

Sein Programm ist zugleich auch der Versuch der Demokraten, Wähler aus der Arbeiterklasse wieder zurückzugewinnen, die sich nach rechts orientiert haben. »Er ist die Art von Kandidat, die die Demokraten schon seit 25 Jahren hätten aufstellen sollen«, zitierte die Zeitschrift The New Yorker kürzlich Dave Poklinkoski, den ehemaligen Präsidenten der Gewerkschaft International Brotherhood of Electrical Workers in Wisconsins Hauptstadt Madison. »Man muss sich fragen, ob das nicht zu wenig ist und zu spät kommt.«

Barnes’ republikanischer Konkurrent, derzeit Senator für Wisconsin, Ron Johnson, dessen Eltern deutscher und norwegischer Abstammung sind, ist nicht nur doppelt so alt wie Barnes, auch seine Biographie könnte kaum unterschiedlicher sein. Johnson stellt sich gerne als Selfmademan dar, der sich aus eigener Kraft hochgearbeitet hat. »Im Alter von 15 Jahren erhielt er seinen ersten Job als Tellerwäscher in einem Grill der Kette Walgreens«, heißt es in einem Werbespot auf seiner Youtube-Seite, »und wurde Nachtmanager, bevor er 16 Jahre alt war.«

Was Johnson ungern erwähnt, ist, dass sein späterer beruflicher Aufstieg hauptsächlich daher rührte, dass er in eine einflussreiche Unternehmerfamilie aus Wisconsin einheiratete. Seine politische Laufbahn begann 2009 mit einer Rede vor einer Versammlung der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung, wo er radikale Steuersenkungen und eine restriktive Fiskalpolitik forderte – was er bis heute tut. Spätestens mit dem Amtsantritt von Donald Trump begann er, dessen Verschwörungstheorien zu übernehmen. So stellte der Abtreibungsgegner die Impfkampagne in Frage und zweifelte an der Forschung zum Klimawandel.

In seiner Wahlkampagne beschwört Johnson, seit 2011 Senator von Wisconsin, wie viele Republikaner einen Kulturkrieg, den eine progressive Elite angeblich gegen die US-Bevölkerung führe. Demokraten würden die Grenzen für illegale Immigranten öffnen, eine Diktatur der wokeness errichten und die Bedürfnisse der hart arbeitenden Menschen ignorieren. Zudem versucht er, Ängste vor Kriminalität zu schüren. Barnes sei sanft gegenüber Verbrechern und wolle Mittel für Polizeibehörden kürzen. »Barnes hasst Amerika«, heißt es auf Johnsons Website.

Tatsächlich gehört Milwaukee zu den gefährlichsten Städten in den USA. Im vergangenen Jahr meldeten die Polizei mit 194 Morden eine Rekordzahl. Die Gewalttätigkeit korrespondiert allerdings mit dem wirtschaftlichen und sozialen Niedergang der Stadt. Von den Arbeitsplätzen in der Industrie, die der schwarzen Bevölkerung in den siebziger Jahren überdurchschnittliche Einkommen ermöglichten, ist nicht mehr viel übrig. Heutzutage sitzen nach Angaben von Marc V. Levine, einem emeritierten Professor für Urbanistik an der University of Wisconsin–Milwaukee, mehr schwarze Männer aus Milwaukee in den Gefängnissen von Wisconsin ein, als in den verbliebenen Fabriken der Stadt arbeiten.

Die Antworten Johnsons auf die wirtschaftlichen Probleme erschöpfen sich zumeist in Forderungen nach weiteren Steuersenkungen und Haushaltskürzungen, von denen bereits während Trumps Amtszeit Wohlhabende und Unternehmen profitierten. Die gleiche Klientel spendet wiederum in hohem Maße für Johnsons Wahlkampf, dessen Budget jenes der Demokraten deutlich übertrifft. Barnes liegt auch deswegen, nach anfänglicher Führung, in den Umfragen um einige Prozentpunkte hinter Johnson zurück.

Barnes reagierte auf seine fallenden Umfragewerte mit einer Wahlkampftour, in der er für ein bundesweites Recht auf Abtreibung warb. Im Sommer hatte der Supreme Court in einem unpopulären Urteil das bundesweite Recht auf Abtreibung zurückgenommen, was den Demokraten wieder Zulauf bescherte. Mittlerweile ist die Debatte wieder in den Hintergrund gerückt. Kein Thema beschäftigt die Wählerinnen und Wähler derzeit mehr als die anhaltende Inflation und die hohen Energiepreise. Nur noch rund 40 Prozent der US-Amerikaner sind mit der Politik von Präsident Biden zufrieden.

In einem Flächenstaat wie Wisconsin, der vor allem von energieintensiver Agrarwirtschaft abhängig ist, sind die Kosten für Benzin und Gas ein zentrales Thema. Außerhalb der großen Städte ist vom demokratischen Wahlkampf nicht mehr viel zu sehen. Dafür tauchen immer wieder große Plakate mit der Aufschrift »Trump 2024« auf.

Johnson gelingt es bislang gut, die wirtschaftlichen Sorgen aufzugreifen und sie gegen seinen demokratischen Gegner zu wenden. Ihm zufolge sind die hohen Ausgaben der US-Regierung für Infrastruktur und Klimaschutz für die Inflation verantwortlich. Gut möglich, dass das Kalkül Johnsons aufgeht, dem Gegner einfach den Schwarzen Peter zuzuschieben.

Johnson kommt dabei zugute, dass sein Image als tatkräftiger Unternehmer durch keine persönlichen Skan­dale beeinträchtigt wird. Denn auch in anderen swing states kämpfen Demokraten vor dem Hintergrund der schwierigen Wirtschaftslage um ihre Wähler. Dort sind sie jedoch mit republikanischen Kandidaten konfrontiert, die gerade dabei sind, sich selbst zu demontieren.

In Georgia hat sich der ehemalige Football-Star Herschel Walker in seinem Wahlkampf für christliche Familienwerte und das Verbot von Abtreibungen stark gemacht. Dann berichtete unter anderem der Nachrichtensender CNN, dass er der Öffentlichkeit nicht nur drei uneheliche Kinder verschwiegen hat, um die er sich offenbar wenig kümmert. Er hat zudem offenbar von einer früheren Freundin mehrfach verlangt, Schwangerschaften abzubrechen. Seine republikanischen Anhänger scheint diese Heuchelei zwar kaum zu stören, die Skandale könnten Walker in dem knappen Rennen dennoch wahlentscheidende Prozentpunkte bei den noch unentschlossenen Wählern kosten.

In Pennsylvania liegt der republikanische Kandidat Mehmet Oz hinter seinem demokratischen Konkurrenten John Fetterman zurück. Oz, der erste muslimische Senatskandidat einer großen Partei, verfügt über keine politische Erfahrung und hatte im Wahlkampf versucht, sich als Kandidat der arbeitenden Bevölkerung zu präsentieren – bis bekannt wurde, dass der Herzchirurg mehrfacher Millionär ist und einige Immobilien besitzt. Zudem hat er seinen Ruf mit unseriösen Tipps für fragwürdige Heilmittel beispielsweise zur Gewichtsabnahme oder Krebsprävention ruiniert – auch hatte er das Malariamedikament Hy­droxychloroquin gegen Covid-19 empfohlen.

Herschel und Oz ist gemeinsam, dass sie nicht wegen ihrer Kompetenz, sondern aufgrund von Trumps Empfehlung nominiert wurden. Selbst wenn Mandela Barnes in Wisconsin nicht gewinnen sollte, könnten die Demokraten dennoch eine Chance haben, ihren Vorrang im Senat bei den Midterms zu verteidigen. Denn die Republikaner könnten sich selbst schlagen.