Die Unterdrückungsmaßnahmen des Mullah-Regimes im Iran

Das Dilemma des Regimes

Neue Berichte zeugen von weiter verschärfter Repression gegen die Aufständischen im Iran.
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Es läuft nicht rund für die Machthaber der Islamischen Republik Iran. Selbst ein zweifelhaftes Ereignis wie die Horrorshow der Fußballweltmeisterschaft der Männer in Katar bringt ihnen Kritik ein, wie sie sich in der iranischen Gesellschaft immer weiter verbreitet. Die iranischen Fußballer weigerten sich zunächst, die Nationalhymne zu singen, nicht nur auf den Straßen Teherans brach Jubel aus, als die englische Equipe gegen die iranische Tore schoss. Dem muss mit aller Macht Einhalt geboten werden, und schon machen Gerüchte die Runde, Familienmitglieder der iranischen Fußballer würden mit Knast, gar Folter bedroht.

Doch das ist nur die medienträchtigste Seite der Revolte, die den Iran seit Mitte September erschüttert. Weiterhin verbreiten die Ayatollahs, an ihrer Spitze der Oberste Führer Ali Khamenei, die Botschaft, die vollständig hausgemachte Insurrektion im Iran, die sich von der Provinz Kurdistan aus in Windeseile in den Rest des Landes verbreitete, sei vor allem das Werk der USA und Israels, des »großen und des kleinen Satans«; ausländische Kräfte würden zudem »separatistische Gruppen« zur Revolte anstacheln.

Aber die Widersprüche, die die iranische Gesellschaft prägen, treten nun klar zutage. Insbesondere die Proteste der jungen Generation in den Schulen, Universitäten und auf der Straße haben ein Ausmaß erreicht, das islamistische Würdenträger im höchsten Maße beunruhigt. Was nur, wenn eine ganze Generation dem geheiligten Lifestyle mit Kopftuch, Sharia und Moschee eine rabiate Absage erteilt, wenn es sich um eine sich immer stärker säkularisierende, gar antireligiöse Generation handelt, wie jüngste Umfragen nahelegen?

Dann hilft zunächst nur eins, knallharte Maßnahmen zur Unterdrückung. Zum Beispiel Terror in den Gefängnissen. Eine vorige Woche veröffentlichte Recherche des US-amerikanischen Nachrichtensenders CNN legt nahe, dass in iranischen Gefängnissen Frauen systematisch vergewaltigt werden. Augenzeugen berichteten CNN von insgesamt elf Fällen sexueller Gewalt gegen Demon­stran­t:in­nen in iranischen Knästen, teils waren gleich mehrere Opfer betroffen.

Die Repression gegen den Aufstand im Iran hat mittlerweile Hunderte von Menschenleben gefordert. Das gab vor einigen Tagen erstmals sogar ein iranischer General der Revolutionsgarden zu, der in einer Rede von mindestens 300 Toten sprach, inklusive getöteter Einsatzkräfte und Polizisten. Von weitaus höheren Zahlen gehen Menschenrechtsorganisationen aus, die in den USA ansässige Human Rights Activists News Agency schätzte jüngst die Anzahl der bei Demonstrationen Getöteten auf mindestens 450, 60 Ordnungskräfte seien ebenfalls ums Leben gekommen. Iran Human Rights geht von mindestens 416 getöteten Menschen aus, davon 48 in der Provinz Kurdistan, 126 in den Provinzen Sistan und Belutschistan im Südwesten des Landes.

Am Montag voriger Woche berichteten iranische Aktivisten der Nachrichtenagentur AP zufolge, in der kurdischen Stadt Javanrud im Westen des Iran hätten die Ordnungskräfte mit schweren Maschinengewehren auf Protestierende gefeuert; mindestens fünf Menschen seien dadurch bei dem Protest gegen die Regierung ums ­Leben gekommen, der bei der Beerdigung von zwei Personen aufgeflammt sei, die tags zuvor getötet worden waren.

Und genau da liegt ein weiteres Problem des Regimes, das der Journalist Christopher de Bellaigue jüngst als »Khameneis Dilemma« bezeichnete. Da die Proteste im Iran weitergehen, könnte die plumpe Repression des Regimes zu einer »nicht aufhaltbaren Spirale von staatlicher Gewalt und Wut der Bevölkerung« führen. Das Szenario, dass sich die durch den Aufstand weit verbreitete Instabilität des islamistischen Systems in einen Kollaps verwandelt, ist nicht auszuschließen.