Argentiniens Vizepräsidentin Christina Fernández de Kirchner wurde wegen Korruption verurteilt

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Die argentinische Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner wurde wegen Korruption zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Sie beteuert ihre Unschuld und wittert eine politische Verschwörung.

Wegen Korruption verurteilte ein Bundesgericht in Buenos Aires vergangene Woche die argentinische Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner zu sechs Jahren Haft und einem lebenslangen Verbot, politische Ämter auszuüben. Die Richter folgten dabei nicht ganz der Argumentation der Staatsanwaltschaft, die Kirchner als Kopf einer kriminellen Vereinigung sah und zwölf Jahre Haft gefordert hatte. Als erwiesen sahen sie es jedoch an, dass Kirchner im sogenannten Fall Vialidad den Staat um etwa eine Milliarde US-Dollar betrogen habe. Sie und ihr 2010 verstorbener Ehemann Néstor sollen in der Zeit ihrer Präsidentschaften (er war Staatsoberhaupt von 2003 bis 2007, anschließend sie bis 2015) dem befreundeten Unternehmer Lázaro Báez öffentliche Aufträge zum Straßenbau zugeschanzt haben. Tatsächlich ist Báez, der sein Bauunternehmen 2003 nur wenige Tage vor dem Amtsantritt seines Freunds Néstor Kirchner gründete, in jenen Jahren reich geworden.

Cristina Fernández de Kirchner beteuert ihre Unschuld: An den entsprechenden Vergabeprozessen sei sie gar nicht beteiligt gewesen. In einer per Video verbreiteten Rede nach dem Urteilsspruch warf sie der »Justizmafia« vor, das »politisch motivierte« Urteil von Beginn an geplant zu haben. Ei­nige Tage vor der Urteilsverkündung hatte sie das Gericht als ein »Erschießungskommando« bezeichnet.

Das Urteil gegen Christina Kirchner wird zunächst nicht vollstreckt, da noch eine Revision vor dem Obersten Gerichtshof möglich ist und sie als Vizepräsidentin Immunität genießt.

Das Urteil wird zunächst nicht vollstreckt, da noch eine Revision vor dem Obersten Gerichtshof möglich ist – ein Verfahren, das Jahre dauern kann – und Kirchner als Vizepräsidentin Immunität genießt.

Daher war es überraschend, dass sie kurz nach dem Urteil verkündete, für kein politisches Amt mehr kandidieren zu wollen. Bisher galt es als so gut wie ausgemacht, dass Kirchner bei den Präsidentschaftswahlen 2023 für die Peronisten antreten werde. Dem derzeitigen Präsidenten Alberto Fernández war es seit 2019, dem Beginn seiner Amtszeit, nicht gelungen, eine Hausmacht in der Partei aufzubauen, so dass nur Wirtschaftsminister Sergio Massa für Kirchner ein ernsthafter Konkurrent gewesen wäre.

In der peronistischen Partei können oder wollen viele Kirchners Ankündigung nicht glauben, sie sehen in ihr eher eine impulsive Reaktion, die nicht endgültig sei. Einige Beobachter weisen indes darauf hin, dass Kirchner kürzlich im Gespräch mit der brasilianischen Tageszeitung Folha de São Paulo sagte, wichtig sei nicht das Amt, sondern politischer Einfluss. Die 69jährige könnte Gefallen an dem derzeitigen Modell gefunden haben: Ein eher schwacher Präsident dient als Blitzableiter, den Ton gibt sie an.

Ob die Peronisten allerdings ohne Kirchner die Wahlen 2023 gewinnen können, ist unklar. Die ökonomische Lage ist schlecht und Fernández’ Versprechen, die seit Jahren außer Kontrolle geratene Inflation mit einer Mischung aus Sparmaßnahmen und Investitionen in den Griff zu bekommen, wurde zwischen den Anforderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Unnachgiebigkeit Kirchners und ihrer Anhänger zer­rieben, die praktisch sämtliche Forderungen des IWF abgelehnt hatten.

Der angekündigte Verzicht könnte auch ein kluger Schachzug Kirchners sein, um möglichst lange im Hintergrund die Fäden in der Hand zu halten und ihr Erbe zu sichern. Kirchners Sohn Máximo hat längst seine eigene politische Karriere begonnen. Als Fernández im Januar ein Abkommen mit dem IWF zur Restrukturierung ­eines Kredits in Höhe von 44 Milliarden US-Dollar schloss, warf Máximo Kirchner unter Protest sein Amt als Vorsitzender der Regierungsfraktion im Abgeordnetenhaus hin. Er bekennt sich damit eindeutig zum politischen Erbe seiner Eltern.

Auch für die Opposition, die das Urteil freilich begrüßte, ist die Lage nicht einfach. Nicht nur, weil es eben noch lange nicht vollstreckt werden dürfte, sondern auch, weil durchaus etwas dran sein könnte an dem Vorwurf, die Richter hätten politische Motive. We­nige Tage vor dem Urteil waren Chatprotokolle bekannt geworden, aus ­denen hervorging, dass eine Gruppe von Richtern – darunter Julián Erco­lini, Mitglied des Gerichts im Fall Vialidad –, Geschäftsleuten – darunter Mitarbeiter des größten argentinischen Medienkonzerns Clarín –, Politikern der Opposition – darunter der Sicherheitsminister der Stadt Buenos Aires – und ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern zu einem Treffen zusammengekommen waren. Ende Oktober sollen sie sich im Anwesen des britischen Milliardärs Joe Lewis am Lago Escondido getroffen haben. Lewis gilt als dem ehemaligen konservativen Präsidenten Mauricio Macri nahestehend.

Aus Sicht der Peronisten beweist der geleakte Chat, dass die Opposition sich der Justiz bedient, um gegen die Regierung vorzugehen. Präsident Fernández hat Ermittlungen angekündigt. Sollte es den Peronisten gelingen, sich als Verteidiger des Rechtsstaats darzustellen, könnte das Verfahren der Opposition auf die Füße fallen. Selbst wenn Kirchner tatsächlich ins Gefängnis müsste, wäre der Peronismus wohl kaum er­ledigt. Schließlich führte einst die Inhaftierung Juan Domingo Peróns im Oktober 1945 zur Geburt des Peronismus: Millionen Menschen protestierten für die Freilassung des populären Arbeitsministers – mit Erfolg.