Die »Ernährungsstrategie« des Bundes kann die selbstgesteckten Ziele nicht erreichen

Dann sollen sie doch Pflanzen essen

Mit ihrer »Ernährungsstrategie« will die Bundesregierung etwas für gesunde Ernährung tun und den Fleischkonsum reduzieren. Doch arme Menschen werden sich auch in Zukunft keine ausgewogene Ernährung leisten können – und die Fleischindustrie wird weiterhin mit Milliardenbeträgen gefördert.

Wer die Umweltzerstörung aufhalten will, muss die Fleischproduktion drastisch reduzieren. Denn die ist nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO für knapp 15 Prozent der weltweit freigesetzten Treibhausgase verantwortlich. Da klingt es erst mal positiv, wenn die Regierungskoalition eine »Transformation des Ernährungssystems« anstrebt, hin zu einer »pflanzenbetonten Ernährungsweise«. Auch die soziale Frage scheint berücksichtigt, denn es sollen »alle Menschen in Deutschland sich gesund und nachhaltig ernähren können«, wie das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) schreibt.

Diese Ziele sind in einem »Eckpunktepapier« für eine »Ernährungsstrategie« formuliert, das die Bundesregierung Mitte Dezember verabschiedet hat. Die Vorlage stammt von Ernährungs- und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Bis Ende 2023 soll »unter Einbindung einer breiten und heterogenen Akteurslandschaft« eine Strategie entwickelt und diese dann bis 2050 schrittweise umgesetzt werden.

Der Hartz-IV-Regelsatz sah etwa 5,20 Euro pro Tag für das Essen vor, durch das zum Jahreswechsel neu eingeführte Bürgergeld kommen nur etwa 50 Cent pro Tag hinzu.

»Gut finde ich, dass die wichtige Rolle der Ernährung für Klima und Biodiversität klar benannt wird und eine Transformation zu pflanzenbetonten Ernährungsweisen als wichtigste Stellschraube für Verbesserungen beschrieben wird«, sagt Friederike Schmitz vom Bündnis »Gemeinsam gegen die Tierindustrie« der Jungle World. Allerdings seien die Ziele nicht ambitioniert genug, vieles sei noch vage und es fehlten konkrete Maßnahmen, zum Beispiel eine höhere Mehrwertsteuer für Produkte aus tierischen Rohstoffen und eine geringere für pflanzliche Produkte. Werbung für Erstere müsse man komplett verbieten. »Es braucht einen Ausstieg aus der Tierindustrie mit einem drastischen Abbau der Tierzahlen«, fordert Schmitz.

Als besonders wichtige Zielgruppe hat die Bundesregierung den Nachwuchs ausgemacht, denn das Ernährungsverhalten werde in Kindheit und Jugend geprägt. Außerdem sei ein »spezifisches Unterstützungsbedürfnis« von Kindern und Jugendlichen und »armutsbetroffenen Menschen« festzustellen. Verwiesen wird auf die sogenannte Kindergarantie der EU, die die Europäische Kommission 2021 vorgeschlagen hatte: Ihr zufolge soll Deutschland bis 2030 allen Kindern mindestens eine gesunde Mahlzeit pro Schultag kostenlos anbieten.

Doch gerade in dieser Hinsicht enthält das Eckpunktepapier nur unverbindliche Absichtserklärungen. Ein Beispiel: »Die Frage, wie allen Menschen in Deutschland – unabhängig von Faktoren wie Einkommen, Bildungsgrad oder Herkunft – der gerechte Zugang zu ausreichendem und gesundem Essen erleichtert werden kann, muss mit besonderer Priorität adressiert werden.« Priorität hat also nicht, dass niemand mehr hungern oder sich mangelhaft ernähren muss, sondern das »Adressieren« der Frage, wie ein gerechter Zugang aussehen könnte. Das lässt viele Interpretationen offen – schon was Gerechtigkeit bedeutet, ist eine Frage der jeweiligen Interessen. Der damalige Bundesarbeitsminister und frühere SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering sagte 2006: »Nur wer arbeitet, soll auch essen.«

Der Hartz-IV-Regelsatz sah etwa 5,20 Euro pro Tag für das Essen vor, durch das zum Jahreswechsel neu eingeführte Bürgergeld kommen nur etwa 50 Cent pro Tag hinzu. Im November mussten 5,6 Millionen Menschen mit dieser »Grundsicherung« auskommen, davon waren knapp 1,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren. Die Preise stiegen dieses Jahr bei Lebensmitteln besonders stark. Im vergangenen Jahr mussten sich rund zwei Millionen Menschen regelmäßig bei den Tafeln mit kostenlosen Lebensmitteln versorgen – 50 Prozent mehr als im Vorjahr.

Viele Menschen sind froh, wenn sie überhaupt satt werden, eine gesunde und ausgewogene Ernährung ist für sie ein kaum erreichbarer Luxus. Das Konzept des Existenzminimums, das durch die Grundsicherung sichergestellt werden soll, erhebt gar nicht erst den Anspruch, dass Menschen gesund leben können, kritisieren Experten wie Martin Rücker, Verbraucherrechtler und früherer Vorsitzender von Foodwatch. Dabei gebe es inzwischen eine »äußerst starke Kette aus Indizien und Evidenz« über die »dramatischen Folgen armutsbedingter Mangelernährung vor allem für Kinder«, schrieb Rücker auf der Website des Deutschen Instituts für interdisziplinäre Sozialpolitikforschung.
Im Eckpunktepapier wird betont, wie wichtig gemeinsames Essen ist, beispielsweise in Kindertagesstätten und Schulen. Dort möchte die Regierung die Qualität steigern, mehr regionale und saisonale Produkte mit Bio- oder Ökozertifikaten auf dem Speisezettel haben. Allerdings sind dafür Länder und Kommunen zuständig. Man wolle bei der Verpflegung außer Haus »pflanzliche Alternativen« stärken, heißt es an anderer Stelle. Doch liest man die Ankündigungen genau, klingen sie äußerst dürftig. So soll zum Beispiel »angestrebt« werden, bei den »Kantinen der Bundesverwaltung« ein »Angebot von möglichst saisonalem Obst und Gemüse vorzusehen«.

Wie die Ampelkoalition den Zugang zu gesünderen Lebensmitteln in Bezug auf Preis, Angebot und Erreichbarkeit verbessern will, bleibt offen, ebenso, wie der Gehalt von Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten verringert werden soll. Eingriffe in die Lebensmittelproduktion sind kaum vorgesehen, die Verantwortung für die große Transformation wird auf die Konsument:innen abgewälzt. Deren »Ernährungsumgebung« und »Ernährungskompetenz« sollen gestärkt werden, durch mehr Werbung für bessere Lebensmittel sowie gute, verständliche oder leicht zugängliche Verbraucherinformation.

Das kann nicht schaden, blendet aber ökonomische Zusammenhänge und Profitinteressen aus, die einer ökologischen Transformation der Nahrungsindustrie im Wege stehen. Deutschland ist weltweit der drittgrößte Exporteur von Agrarprodukten und »Exportweltmeister« bei Süßwaren, Käse und Schweinefleisch, wie es auf der Website des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft heißt. Ein Drittel der landwirtschaftlichen Gesamtproduktion wird ins Ausland verkauft; von der Milch, die in Molkereien verarbeitet wird, ist es sogar rund die Hälfte. Der Vereinigung der deutschen Agrarexporteure zufolge erreichten die Exporte 2021 mit 83,9 Milliarden Euro einen neuen Höchststand. Diese Exportstrategie der deutschen Fleischindustrie wird von der Bundesregierung finanziell gefördert. Allein die in Deutschland unter besonders miserablen Bedingungen erfolgende Fleischproduktion (Jungle World 26/2020), und damit der Fortbestand der Massentierhaltung, wird mit rund 13 Milliarden Euro jährlich subventioniert, wie eine Studie des Bündnisses »Gemeinsam gegen die Tierindustrie« 2021 ergab.

Wollte die Ampelkoalition ernsthaft etwas für gesündere Ernährung und Klimaschutz tun, müsste sie sich von dieser Wirtschaftspolitik verabschieden und derlei Subventionen streichen. Außerdem müssten arme Menschen mit genug Geld ausgestattet werden, um sich eine gesunde Ernährung überhaupt leisten zu können – etwa indem das Bürgergeld deutlich erhöht wird. Seit dem 1. Januar bekommt ein Alleinstehender nun 502 statt 449 Euro monatlich. Die Gewerkschaft Verdi und der Paritätische Wohlfahrtsverband hatten mindestens 150 Euro mehr gefordert.