Das Recht, die Welt zu retten
Der bundesweite Beifall der Konservativen in Medien und Politik war den Ermittlern sicher. Mit den Aktionen der Letzten Generation (LG) mehrten sich auch Forderungen, die Gruppe zu kriminalisieren – wegen ihrer friedlichen Protestformen rechtlich kein einfaches Unterfangen. Doch wo ein Wille ist, findet sich auch eine Staatsanwaltschaft, die bereit ist, die Initiative zu ergreifen.
Am 13. Dezember 2022 wurden im Rahmen einer bundesweiten Razzia an elf Orten Wohnungen von Aktivist:innen der LG und weitere Räume durchsucht. Beschlagnahmt wurden Computer, Mobiltelefone und Plakate. Sie sollen als Beweismittel in einem Ermittlungsverfahren dienen, das die Staatsanwaltschaft im brandenburgischen Neuruppin wegen Aktionen der LG gegen eine Pipeline zur Ölraffinerie PCK Schwedt führt. Im April und Mai 2022 hatten Mitglieder der Organisation mehrfach versucht, den Ölfluss durch die Pipeline zu unterbrechen. Sie wollten so die Forderung nach einem Ende der Nutzung fossiler Energieträger in die Öffentlichkeit tragen. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin sieht darin eine strafbare Störung öffentlicher Betriebe. Zudem bestehe der Verdacht der Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, da sich die Beschuldigten wiederholt zu Straftaten verabredet hätten.
Am 9. Januar übergaben zwei Aktivist:innen der Staatsanwaltschaft Neuruppin nach eigener Auskunft 1 759 Selbstanzeigen.
Auffällig ist, dass die Durchsuchungen mehr als ein halbes Jahr nach den Aktionen stattfanden. Der Verdacht liegt nahe, dass das späte Handeln der Justiz nur wenig mit den Aktionen bei Schwedt zu tun hat. Nachdem Mitglieder der LG im Herbst wochenlang immer wieder Autobahnen in Berlin blockiert hatten und sich damit den Hass vieler Pendler:innen und der Boulevardpresse zugezogen hatten, wurde am 24. November 2022 eine Rollbahn des in Brandenburg gelegenen Flughafen Berlin-Brandenburg besetzt. Mehrere Flugzeuge mussten auf andere Flughäfen umgeleitet werden. Daraufhin sprach sich Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) gegenüber der Deutschen Pressagentur dafür aus, zu prüfen, ob es sich bei der LG um eine kriminelle Vereinigung handele. Aus seiner Sicht spreche vieles dafür: »Sie sind organisiert, haben entsprechende Trainingsplätze und verabreden sich zu kriminellen Aktionen.«
Keine zwei Wochen später stand im Morgengrauen die Polizei vor den Wohnungen der Aktivist:innen. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit nicht groß ist, dass am Ende der Ermittlungen tatsächlich eine Verurteilung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung steht – die meisten derartigen Verfahren werden eingestellt –, dürfte das Agieren der Ermittlungsbehörden nicht nur symbolischen Zwecken dienen. Der Paragraph 129 des Strafgesetzbuchs (StGB), der den Mitgliedern krimineller Vereinigungen bis zu fünf Jahre Haft androht, ist ein klassischer Ausforschungsparagraph. In Ermittlungsverfahren wegen Paragraph 129 StGB dürfen Ermittler:innen eine große Bandbreite verdeckter Maßnahmen zur Überwachung der Tatverdächtigen einsetzen. Datenabfragen bei Banken oder Transportunternehmen, Observationen, die Überwachung von Telekommunikation, Wohnräumen oder Fahrzeugen gehören dazu. Verfahren nach Paragraph 129 StGB wurden in der Vergangenheit immer wieder genutzt, um linksradikale Szenen und Gruppen zu durchleuchten.
Doch während diese auf die Gefahr entsprechender Ermittlungen zumeist reagieren, indem sie Konspirativität und Abschottung kultivieren, wehrt sich die LG auf andere Weise: Am 9. Januar übergaben zwei Aktivist:innen der Staatsanwaltschaft Neuruppin nach eigener Auskunft 1 759 Selbstanzeigen, mit denen sich die Unterzeichner:innen dazu bekannten, an Aktionen der Organisation teilgenommen zu haben. Weitere 400 Anzeigen sollen per Post an die Staatsanwaltschaft gegangen sein. Mirjam Herrmann, die im Oktober im Potsdamer Museum Barberini Kartoffelbrei über ein Monet-Bild gekippt hatte, schrieb in ihrer Selbstanzeige: »Ich bitte um schnelle Anklage und Klärung vor Gericht, weil ich der Meinung bin, dass eine Organisation, die die Regierung ermahnt, die Verfassung einzuhalten und unsere Lebensgrundlagen zu schützen, nicht kriminell ist.«
In der Formulierung schlägt sich eine der Grundannahmen der LG nieder. Herrmann und ihre Mitsteiter:innenn nehmen mit ihren Selbstanzeigen Bezug auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, mit dem dieses im Frühjahr 2021 Regelungen des 2019 erlassenen Klimaschutzgesetzes als teilweise verfassungswidrig verwarf. Das Gericht stellte darin fest, das Grundgesetz »verpflichtet den Staat zum Klimaschutz und zielt auf die Herstellung von Klimaneutralität«.
Das Agieren der LG in den vergangenen Monaten folgt, wie Aktivist:innen der LG der Jungle World mitteilten, einer Strategie, die durchaus beinhaltet, den Kampf gegen die Erderwärmung auch vor den Gerichten zu führen. Das zentrale Argument lautet dabei, dass die Bundesregierung mit der Weigerung, effektive Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen, die Verfassung verletze; deshalb seien die Aktionen des zivilen Ungehorsams, mit denen ein solches Handeln erzwungen werden solle, gerechtfertigt und nicht strafbar.
Einzelne Urteile von Amtsgerichten in Berlin und in Flensburg, die Klimaschützer:innen freisprachen, weil ihr Handeln durch die Umstände der Klimakrise gerechtfertigt seien, werden als Bestätigung dieser Ansicht wahrgenommen. Ziel der LG ist es, entsprechende Entscheidungen in höheren Instanzen zu erwirken. Das werde sich nicht nur für die Angeklagten positiv auswirken, sondern, so die Hoffnung, auch den politischen Druck erhöhen, endlich effektiven Klimaschutz politisch durchzusetzen. Der Rechtsanwalt und Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi (Linkspartei) beispielsweise, der in einem anderen Verfahren einen LG-Aktivisten verteidigt, kündigte in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel an, mit seinem Mandanten bis vor den Bundesgerichtshof ziehen zu wollen.
Tatsächlich gelingt es der LG bisher, die Repression gegen die Gruppe zu nutzen, um neue Mitglieder zu gewinnen und öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Ihr langfristiges Ziel, die Erderwärmung zu verhindern, dürfte sie so jedoch nicht erreichen. Denn die Aufnahme von Umwelt und klimatischen Bedingungen als Schutzgut in staatliches Verfassungsrecht ist ein Reflex der Verwandlung von Natur und Atmosphäre in eine Ware, wie sie im Rahmen der Transformation zum »grünen Kapitalismus« beschleunigt erfolgt. Juristische Regulierung ist unter kapitalistischen Bedingungen etwas anderes als effektiver Schutz. Die mit der Verwertung des Wertes einhergehende Zerstörung lässt sich nicht im Gerichtssaal aufhalten.