Die EU weigert sich weiterhin, ­harte Sanktionen gegen den Iran zu verhängen

Schonzeit für die Mullahs

Die EU-Staaten weigern sich noch immer, harte Sanktionen gegen das iranische Regime zu verhängen.
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Der Druck steigt, doch die EU-Regierungen bleiben bislang bei ihrer zögerlichen Haltung: Am 23. Januar entschied der Europäische Rat zum wiederholten Male, die Revolutionsgarden (IRGC) der Islamischen Republik Iran nicht auf die EU-Liste von terroristischen Organisationen zu setzen. Dies hatten eine Woche zuvor über 10 000 Demonstranten vor dem Europaparlament in Straßburg und eine von diesem Parlament mehrheitlich beschlossene Resolution gefordert. Das zuständige Außenministertreffen des Europäischen Rats beschloss stattdessen Sanktionen gegen 18 Führungspersonen und 19 Organisationen der Islamischen Republik, aber nicht gegen die Revolutionsgarden insgesamt.

Die EU-Terrorliste ist ein Sanktionsinstrument, das 2001 nach den Attentaten vom 11. September geschaffen wurde. Das Vermögen der in ihr verzeichneten Gruppen wird eingefroren, jegliche Unterstützung ist verboten. Angewendet auf die Revolutionsgarden, die die iranische Wirtschaft dominieren, wäre dies ein empfindlicher Schlag gegen das Regime. Die Listung der Revolutionsgarden ist seit Herbst vorigen Jahres im Gespräch, als die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die Absicht äußerte, diese Möglichkeit prüfen zu lassen. Dem folgten jedoch in der deutschen politischen Debatte zahlreiche einschränkende Aussagen.

Katja Keul (Grüne), Staatsministerin im Auswärtigen Amt, erklärte im Dezember, dass eine Aufnahme der Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste möglich sei, wenn es in einem EU-Mitgliedstaat »entweder Ermittlungen oder eine Strafverfolgung wegen einer terroristischen Handlung oder des Versuchs, eine terroristische Handlung zu begehen oder sie zu erleichtern«, gebe. Diese Voraussetzung ist spätestens erfüllt, seit die Bundesanwaltschaft Ende vorigen Jahres die Ermittlungen zu mehreren antisemitischen Anschlägen in Nordrhein-Westfalen wegen des Verdachts an sich gezogen hat, die Attentate seien von Netzwerken der Revolutionsgarden organisiert worden.

Außerdem erging 2017 ein rechtskräftiges Urteil gegen einen Angehörigen der Quds-Brigaden der IRGC, der den ehemaligen Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, als mögliches Anschlagsziel ausspioniert hatte. Die Bundesregierung behauptet jedoch weiterhin, dass die rechtlichen Bedingungen, die eine Listung unter dem EU-Antiterrorsanktionsregime gerichtsfest begründen würden, nicht vorlägen. Diese Position wird sowohl im Regierungslager vom Generalsekretär der FDP, Bijan Djir-Sarai, als auch in der Opposition von Norbert Röttgen (CDU) in Frage gestellt: Es fehle an politischem Willen, zumal auch Urteile außerhalb der EU für eine Terrorlistung der IRGC verwertbar seien.

Das Argument der Listungsgegner, der Europäische Gerichtshof könne eine übereilt erfolgte Terrorlistung der IRGC widerrufen, wirkt angesichts der aus Teheran gesteuerten Morde und Attentate gegen iranische Regimegegner und jüdische Einrichtungen weltweit fadenscheinig. Im Urteil des sogenannten Mykonos-Prozesses gegen die Mörder iranisch-kurdischer Oppositioneller in Berlin wurde bereits 1997 die iranische Staatsführung als Auftraggeber benannt. Kazem Darabi, der Anführer der Terrortruppe, hatte seine Geheimdienstkarriere bei den Revolutionsgarden begonnen.

1994 verübten Terroristen in Buenos Aires den blutigsten antisemitischen Anschlag seit 1945, das Bombenattentat auf das jüdische Gemeindezentrum Amia mit 85 Toten. Argentinien beschuldigt Ahmad Vahidi, damals Kommandeur einer Spezialeinheit der Quds-Brigaden des IRGC, der Urheberschaft – er ist derzeit iranischer Innenminister. In Belgien wurde 2021 Assadollah Assadi, ein Diplomat der iranischen Botschaft in Wien, wegen der Planung eines Anschlags auf eine Konferenz des oppositionellen Nationalen Widerstandsrats des Iran zu einer 20jährigen Haftstrafe verurteilt.

Röttgen nennt wie Djir-Sarai die Hoffnung auf eine Wiederaufnahme des von der US-Regierung unter Präsident Donald Trump 2018 gekündigten Atomabkommens JCPOA mit dem Iran als Grund für die fehlende Initiative von Kanzler und Regierung. Tatsächlich ist die Lage in Hinblick auf das iranische Atomprogramm dramatisch. Kürzlich warnte Rafael Grossi, der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde, das iranische Regime habe genug Material für »mehrere Atombomben« angehäuft.

Nach den Bestimmungen dieses JCPOA hätte die EU längst snapback sanctions gegen die vertragsbrüchige Islamische Republik einleiten müssen. Diese Option auf Sanktionierung ohne Vetorecht Russlands oder Chinas hatten die EU und die US-Regierung unter Präsident Barack Obama einst als Sicherheitsgarantie angepriesen. Nun schreckt man vor dieser Maßnahme zurück.

Die Rücksichtnahme auf das Atomabkommen erscheint immer weniger verständlich, denn wesentliche Klauseln des Atomabkommens sind bereits verfallen – so das Waffenembargo seit 2020 – oder laufen in den kommenden Jahren aus. Ein neues Abkommen wäre ein Akt der Kollaboration mit einer antisemitischen Diktatur, die dem Besitz von Atomwaffen schon gefährlich nahe gekommen ist. Das Argument der Regimegegner und ihrer politischen Freunde lautet deshalb: Nur die Abschaffung der Islamischen Republik kann die von ihr ausgehende atomare Bedrohung beenden.

Die nächste Sitzung der EU-Außenminister ist für den 20. Februar in Brüssel anberaumt. Gegner des iranischen Regimes in Deutschland fordern von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und den anderen Regierungschefs in der EU die Terrorlistung der Revolutionsgarden und rufen zu Kundgebungen für dieses Ziel auf.