Über temporale Präpositionen im Vorfeld des Substantivs

Substanzmissbrauch im Hier und Jetzt

Das letzte Wort. Wann sich der Griff zur räumlichen Metapher lohnt.
Das letzte Wort Von

Im Anfang war das Wort, und das Wort war ein Substantiv. Wer etwas von Substanz zu sagen hat, muss es folglich substantivisch sagen. Also nicht so, sondern so: » … unterliegt einem Müssen, das zu Sagende in die Form des Substantivischen zu bringen.« Klingt doch gleich viel substantieller!

Machen wir eine Gegenprobe: Ausdrücke wie »davor« und »vor« sind gänzlich unsubstantivisch. Und in der Tat, es sind banale Wörter, wie sie jeder Fünfjährige verwenden kann. Deshalb sind sie für gehobenes Schriftdeutsch untauglich, denn wer beeindrucken will, muss stets prüfen: Würde ein gewöhnlicher Mensch sich so ausdrücken? Wenn ja, muss dringend umformuliert werden. Zu beachten ist auch, dass solche Wörter fürchterlich unanschaulich sind. Was ist denn das, ein »vor«? Darunter kann man sich doch nichts vorstellen!

Besser, man greift zu räumlichen Metaphern, so wird alles schön greifbar. Ohnehin ist Zeit ja nur eine besondere Art von Raum – Raumzeit (Einstein), also Zeitraum (Goethe). Statt »(da)vor« schreibe man also: »im Vorfeld«. Früher hatten nur Flughäfen und militärische Stellungen ein Vorfeld. Vielleicht hat sich das Wort damals mit dem Gedanken an aufregende Dinge verknüpft in den Köpfen mancher kleiner Jungen, die Pilot oder General werden wollten, es dann aber nur zu Intellektuellen gebracht haben. Heutzutage weiß zwar niemand mehr, was ein Vorfeld ist, dafür besitzt jedes Ereignis eines. Sprache entwickelt sich eben weiter, das ist der Fortschritt.

Doch man kann nicht ewig im Vorfeld bleiben; vielmehr ist, philosophisch gesprochen, das dortige Gebliebensein immer schon ein vorbeiseiendes. Die Gegenwart wiederum ist nur die Grenze zwischen Vergangenheit (Vorfeld) und Zukunft (siehe unten), deshalb gibt es für sie leider kein schönes räumliches Wort. Gleichwohl sollte man den Nominalstil beibehalten und nicht etwa schrei­ben: »hier und jetzt« (denken Sie an die Fünfjährigen!), sondern stets: »im Hier und Jetzt«.

Es folgt die Zukunft, die bekanntlich ungewiss ist, weshalb sich das in ihr Befindliche nicht so eindeutig lokalisieren lässt: Mal steckt es »in der Folge«, oft steht es »im Nachgang« herum, am häufigsten aber findet man es »im Anschluss«. Den kennt man von Strom, Telefon und Internet, also von allem, was dem Leben Sinn und Inhalt verleiht. Früher drückte diese Wendung freilich kein zeitliches Verhältnis aus, sondern vielmehr, dass jemand das geistige Werk anderer fortsetzte (zum Beispiel: »im Anschluss an Marx«). Aber das sind Geschichten aus einem Land im Vorfeld unserer Zeit.