Die Sondierungsgespräche nach der Berlin-Wahl in einer Kreuzberger Kneipe

Temporäres Nichtregieren

Die CDU hat SPD und Grüne zu ersten Sondierungs­gesprächen eingeladen. In einer Kreuzberger Kneipe scheint es hingegen wenig zu interessieren, wer da letztlich mit wem sondiert.
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»Positiv bleiben: Immerhin ist die FDP raus!« Das ruft ein älterer Herr mit bunter Wollmütze. Er hebt sein Glas, aber die anderen mögen nicht mitprosten. In der kleinen Kreuzberger Kneipe herrscht noch immer Katerstimmung. »Alles scheiße«, sagt eine Frau mit »Omas gegen rechts«-Button. »War es doch immer«, kontert der mit der Mütze. Am selben Tag, fünf Tage nach der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, haben erste Sondierungs­gespräche im Euref-Campus, einem »Reallabor der Energiewende« (Eigenwerbung) in Berlin-Schöneberg, begonnen. Eingeladen hat die CDU, die mit 28,2 Prozent mit Abstand die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnte, die SPD und die Grünen – und die Frage liegt nah, ob sich in der Wahl des Ortes vielleicht schon eine Präferenz für ein schwarz-grünes Bündnis ausdrückt.

Den Leuten in der Kneipe ist das schnurz. Sie trauen keiner der beiden rechnerisch möglichen Zweierkoalitionen zu, die wesentlichen Probleme der Stadt zu lösen. Wie auch? Was von der bisherigen Regierungstätigkeit der Grünen bei ihnen angekommen ist, sind desaströs planlose Versuche, eine Verkehrswende einzuläuten, die in der Summe nicht weniger, sondern mehr Konflikte zwischen den verschiedenen Verkehrsformen brachten: willkürliche Straßensperrungen, sinnlose Stadtmöbel, Fahrradwege mal breit, mal schmal, mal grün, mal rot, mal gelb markiert und daneben lange Reihen rot-weißer Stahlpoller, die noch dem pittoreskesten Altbaukiez die Anmutung eines Verkehrsübungsplatzes verleihen. Was davon Senatshandeln ist, was der jeweilige Bezirk zu verantworten hat – niemand weiß es. Sicher ist nur, dass kein schlüssiges Gesamtkonzept hinter all dem steckt. Die inflationär verwendete Bezeichnung »temporäre Lösung« verdeutlicht das.

Die SPD ist vor allem dadurch aufgefallen, dass sie die jüngste Wahl an die Wand gefahren und den für die Wahlwiederholung politisch verantwortlichen Innensenator Andreas Geisel nicht etwa in die Wüste geschickt, sondern ihm das Ressort Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen anvertraut hat. Klar, in dem Bereich läuft ja ­alles super, da braucht es keinen übermäßig kompetenten Planer. Zumal SPD-Spitzenkandidatin, die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, sich an den erfolgreichen Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer privater Immobilienbestände nicht gebunden fühlt, weil sie aus ihrer DDR-Kindheit die Lehre gezogen hat, dass Demokratie überschätzt … ach nee: dass Enteignungen doof sind. Außer natürlich, man braucht Platz für neue Autobahnen, und den bräuchte es definitiv, wenn es zu einer Zweierkoalition unter einem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) käme. Von ein paar plumpen Ressentiments gegen Migranten abgesehen, konzentrierte sich dessen Wahlkampf ja fast ausschließlich auf frustrierte Auto­fahrer. Wieso ausgerechnet die Grünen Wegners favorisierter Koalitionspartner sein sollen, wie oft zu lesen ist – unklar.

In der Kreuzberger Kneipe, so scheint es, wäre die Mehrheit für eine Fortsetzung der bisherigen Dreierkoalition aus SPD, Grünen und Linkspartei, obwohl Kultursenator Klaus Lederer (»Die Linke«) das einzige bisherige Senatsmitglied ist, dessen Arbeit hier positiv bewertet wird. Seine Partei haben trotzdem weniger von ihnen gewählt als beim letzten Mal. Zwar wurde wohlwollend registriert, dass diese sich als »Berliner Linke« bewusst von der querfrontaffinen Bundestagsfraktion der Partei abgrenzte, aber richtig trauen mochte man dem nicht, nachdem der Bezirksverband Tempelhof-Schöneberg Sahra Wagenknecht dennoch ein Podium gegeben hatte. Bei der Wählerschaft der Linkspartei im Ostteil der Stadt, das legen die Stimmverluste nah, scheint es einen ähnlichen Effekt gegeben zu haben, nur umgekehrt: Die Abgrenzung von Wagenknecht könnte dort konservative Linkspartei-Wähler verschreckt haben.

Mögen viele Wähler der Berliner Außenbezirke mit ihrem Votum für die CDU zumindest die Hoffnung verbinden, auch künftig bequem per Auto in die innerstädtischen Bezirke fahren zu dürfen, statt teilweise doppelt so viel Zeit im ÖPNV abzuhängen – innerhalb des ­S-Bahnrings hat man sich längst von allen Hoffnungen verabschiedet. Dass dort besonders viele Linkspartei und Grüne gewählt haben, ist eher Ausdruck der eigenen linksliberalen Haltung als ein Beleg dafür, dass man diesen Parteien zutraut, die zahllosen Probleme der Stadt zu bewältigen. Man hat sich mit der absurden Dysfunkti­onalität von Verwaltung, Verkehrswesen, Stadtreinigung und dergleichen längst ebenso häuslich eingerichtet wie damit, dass Bau­arbeiten im öffentlichen Sektor gefühlt nie fertig werden. Auch weiß jeder, der sich jemals in Berufsverkehrszeiten in die U-Bahn quetschen musste, dass diese gar nicht in der Lage wäre, zusätzlich noch all jene zu transportieren, die derzeit mit ihren Autos die Straßen verstopfen.

Immerhin, auch ein CDU-geführter Senat, da ist man sich in der Kneipe einig, wird an all dem nichts ändern können. Die konservativen Prestigeprojekte, wenn es jenseits der Verkehrspolitik überhaupt welche gibt, werden wohl ebenso im Sumpf aus Zuständigkeitskonflikten, Personal- und Ausstattungsmangel und Arbeitsverweigerung der Ämter und Behörden versinken wie all die grünen und linken Reformversuche zuvor. »Von mir aus können die die nächsten drei Jahre sondieren«, sagt der Mann mit der Mütze. »Temporäres Nichtregieren! Ob man überhaupt einen Unterschied merken würde? Prost!«