Die Bundesregierung beklagt Arbeitskräftemangel

Ausländer in die Produktion

Die deutsche Wirtschaft braucht mehr Arbeitskräfte, die Regierung will deshalb Einwanderungsgesetze lockern. Doch die Rede vom Fachkräftemangel bemäntelt, dass die Arbeitsbedingungen so mies sind, dass Einheimische nicht mehr willens sind, sie zu ertragen.
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Walter Benjamin nannte Deutschland einst »das Land, in dem das Proletariat nicht genannt werden darf«. Diese Beschreibung drängt sich auf, betrachtet man das von der Regierung geplante »Fachkräfteeinwanderungsgesetz«, zu dem am 20. Februar die Anhörung im Bundestag begann.

Was hier Fachkräftemangel genannt wird, heißt im Klartext Arbeitskräftemangel. Geschlossene Restaurants, nicht mehr bediente Buslinien, keine Chance auf einen Handwerkertermin: Bäckerinnen, Maurer, Lageristen, Pflegerinnen und Pfleger, Kellnerinnen und Kellner werden gesucht. Bald zwei Millionen offene Stellen regis­triert die Arbeitsmarktforschung. Von fehlenden Arbeitern ist jedoch selten die Rede. Von Fachkräften zu reden, ist ein Euphemismus, ähnlich wie bei der Bezeichnung Raumpflegerin, die das Wort Putzfrau ersetzt hat.

Das konservative Leitmedium der Gebildeten sieht die Gelegenheit für einen Tauschhandels: Die entwickelten Gesellschaften der nördlichen Halbkugel brauchen Handlanger in der Industrie, dem Handwerk und in der schlecht bezahlten Dienstleistungssparten, während die südliche Halbkugel solche Arbeitskräfte im Übermaß aufweist. »Theoretisch stehen rund um die Erde genug potentielle Arbeitskräfte zur Verfügung«, schrieb die FAZ.

Die Bundesregierung scheint ähnlich zu denken und hat vergangenes Jahr ein sogenanntes Migrationspaket beschlossen, das darauf zielt, den Mangel in bestimmten Berufen in Deutschland auszugleichen. Es enthielt Änderungen im Bleiberecht, eine Erleichterung der Fachkräfteeinwanderung und das Chancen-Aufenthaltsrecht, das denjenigen, die in Besitz einer Duldung sind, unter bestimmten Voraussetzungen den Weg zu einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis erleichtern soll.

Woran liegt es, dass es an solchen Arbeitskräften in der deutschen Gesellschaft mangelt? Ein Grund sei die »gesellschaftliche Statuswahrnehmung«, meinen Berufsforscher. Den Arbeiterberufen haftet demnach ein Makel an. Die körperlich beanspruchende Arbeit gilt gesellschaftlich viel weniger als die für die Schicht der Angestellten typische Büroarbeit. Bis in die siebziger Jahre der alten Bundesrepublik war diese Entwicklung noch nicht so eindeutig. Damals bildete die heimische Eisen- und Stahlindustrie die Basis der wichtigsten Produktionszweige, und der Hüttenarbeiter war die emblematische Figur einer sich als Industriegesellschaft begreifenden Gesellschaftsformation.

Bereits 1998 hatten die Unionsparteien eine Unterschriftensammlung gegen ein ähnliches Reformvorhaben veranstaltet, interessierte Bürger sagten damals, sie wollten mal »gegen die Ausländer unterschreiben«.

Aber die dreckigsten Jobs in diesem Bereich, wie beispielsweise das Säubern der Gussformen mit dem Sandstrahler, wurden von damals so genannten Gastarbeitern erledigt. Diese Jobs, sogenannte Hilfsarbeiten, sind hierzulande weitgehend verschwunden – der Rationalisierung, vor allem aber der Globalisierung der Produktion sei Dank. Aber die körperliche Arbeit ist nicht verschwunden. Auch ein sich als Wissensgesellschaft verstehendes Land braucht Tätigkeiten, die hierzulande gleichwohl als minderwertig gelten.

Auf den großen deutschen Baustellen wird Rumänisch oder Serbokroatisch gesprochen; die Pflege der alten Eltern übernehmen polnische Frauen; das Haareschneiden in den Großstädten besorgen türkische Friseure; das Reinigungsgewerbe wird zur Domäne der Schwarzafrikaner; in der deutschen Fleischindustrie sind bestenfalls die Schichtführer Deutsche, Hand anlegen müssen Osteuropäer; selbiges gilt für die Landwirtschaft. Gleichzeitig ist die Zahl der Studierenden erstmals höher als die der Azubis. Die akademische Ausbildung gilt als Grundlage des späteren Berufslebens. Was einmal Proletariat hieß, hat dagegen ein Nachwuchsproblem. Das Einwanderungsgesetz soll diese Kalamität lösen helfen.

Um mehr Arbeitskräfte ins Land zu locken, soll außerdem das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert werden (Einbürgern für Deutschland: Die geplanten Reformen des Staatsbürgerschaftsrechts, Jungle World 49/2022). Dafür soll die Doppelstaatsangehörigkeit erleichtert und der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vereinfacht werden. CDU und CSU macht gegen diese Pläne Stimmung, vor allem gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Bereits 1998 hatten die Unionsparteien eine Unterschriftensammlung gegen ein ähnliches Reformvorhaben veranstaltet, interessierte Bürger sagten damals, sie wollten mal »gegen die Ausländer unterschreiben«. Damit gewann die CDU die Landtagswahl in Hessen – an solche Erfolge will man heute offenbar anknüpfen.

Hinsichtlich der derzeitigen Reformvorhaben warnte der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Do­brindt, davor, »die deutsche Staatsbürgerschaft zu verramschen«. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Heck schimpfte über die »inflationäre Vergabe deutscher Pässe« und forderte, das »Anti-Abschie­be-­Gesetz« aufzuhalten. Friedrich Merz hingegen äußerte sich ein wenig differenzierter. Weil Deutschland Arbeitskräfte brauche, müsse man »die Bedingungen und die Attraktivität des Arbeitsstandorts Deutschland« verbessern, damit »die Fachkräfte auch wirklich kommen«.