Falsche Silben und distinguierte Gesten

Helden der Begründerzeit

Vom Gründen und Begründen
Das letzte Wort Von

Die Verben »gründen« und »begründen« sind nicht allzu schwer aus­einanderzuhalten. Man gründet Institutionen jeglicher Art – eine Stadt, eine Firma, ein Jugendzentrum. Begründen kann man hingegen (außer Meinungen und Urteilen) eine Denkschule, eine Tradition oder eine Wissenschaft, also grob gesagt all das, was nicht fest genug formalisiert und institutionalisiert ist, um gegründet zu werden. Der antike Philosoph Epikur zum Beispiel begründete die nach ihm benannte hedonistische Denkrichtung; aber er gründete eine Philosophen­schule, genannt der Garten oder ­Kepos. Auch in substantivierter Form werden beide Ausdrücke selten verwechselt: Jeff Bezos ist der Gründer von Amazon, Jeremy Bentham hingegen der Begründer des Utilitarismus.

Schon seit längerem befindet sich jedoch das Wort »mitgründen« in einer eigentümlichen Bedrängnis: Ohne Vorwarnung und erkennbaren Grund schiebt sich die Silbe »be« in es hinein. So wird Mark Zuckerberg ­als »Mitbegründer« von Facebook bezeichnet, Petra Kelly als »Mitbegründerin« der Grünen, und als im November Keith Levene starb, betrauerten ihn diverse Medien als »Mitbegründer« von The Clash. Doch eine Firmen- oder Bandbegründung gibt es so wenig wie einen Begründungsparteitag.

Die Seltsamkeit des Schiefen oder Sinnwidrigen lässt sich leicht mit der Seltsamkeit des besonders avancierten, tiefen Gedankens, des ausgesuchten oder originellen Ausdrucks verwechseln.

Da mit dem Wechsel von »mitgründen« zu »mitbegründen« kein entsprechender Wechsel von »gründen« zu »begründen« einhergeht, muss dieser Sprachgebrauch mindestens als inkohärent gelten. Warum aber machen sich Menschen, die mit Schreiben ihren Lebensunterhalt verdienen, eine derartige Fehlleistung mit solchem Eifer zu eigen, dass man sie fast schon als neue Standardsprache ansehen muss? Ein wesentlicher Teil der Erklärung dürfte darin liegen, dass ein ungewöhnlicher, aber nicht sogleich als falsch erkannter Sprachgebrauch als gebildet, gehoben, gewählt wahrgenommen werden kann. Die Seltsamkeit des Schiefen oder Sinnwidrigen lässt sich leicht mit der Seltsamkeit des besonders avancierten, tiefen Gedankens, des ausgesuchten oder originellen Ausdrucks verwechseln.

In Zeiten gefühlter Wahrheiten gewinnt in der Sprache sozusagen die gefühlte Bedeutung an Gewicht, zumal kaum noch damit zu rechnen ist, dass über eine Formulierung nachgedacht würde, sei es beim Schreiben oder beim Lesen. Im Zweifelsfall werden Wörter dementsprechend weniger wegen ihrer tatsächlichen Bedeutung gewählt als wegen ihres auf diffusen Assoziationen beruhenden Effekts. Eine falsche, aber nicht offensichtlich falsche Silbe wird so zur ­distinguierten Geste, wie der abgespreizte kleine Finger beim Trinken aus einer Tasse.