Der Filmemacher Goran Rebić in der Rückschau

Im guten Sinne unfertig

Das Filmfestival Diagonale widmet in diesem Jahr Goran Rebić eine Retrospektive. Der österreichisch-jugoslawische Regisseur, der bislang nur sieben Filme gedreht hat, ist gleichermaßen Dokumentarfilmer und Spielfilmemacher und interessiert sich für gesellschaftliche Umbruchphasen.

1991, im Jahr der Unabhängigkeit der multiethnischen vormaligen Sowjetrepublik Georgien, reiste der Filmemacher Goran Rebić in die Hauptstadt Tiflis. Er kam ohne die Werkzeuge des Zeitdiagnostikers oder des politischen Analysten, hatte weder Thesen noch Argumente. Was er hingegen mitbrachte, waren die Aufmerksamkeit und die Sensibilität, die es brauchte, um ein Land filmisch einzufangen, das sich seiner Verfasstheit noch nicht bewusst war.

Eine kollektive Hoffnung lag in der Luft, die Menschen, denen Rebić begegnete, wirkten empfindsam und auf eine unaufgeregte Weise hellwach und lebendig. Sie führten ihn an Aussichtspunkte, in eine Syn­ag­oge und in ein überfülltes Café, nahmen ihn mit zu einem Konzert in die eigene Wohnung oder fuhren ihn durch die Stadt, wie zum Beispiel die akkordeonspielende Taxifahrerin, die einmal Musiklehrerin war. Der Leninplatz, den sie gerade passieren, sei bereits umbenannt worden, die Statue gestürzt, erzählt sie in einem artikulierten Englisch, und dass sie die Sprache »during the many ­years« – so auch der Titel des Films – gelernt habe.

Der österreichisch-jugoslawische Regisseur richtet den Blick auf gesellschaftliche Umbruchphasen und Zustände der Verunsicherung.

Das Unbestimmte und leicht Verrutschte, das in dieser Redeweise zum Ausdruck kommt, ist charakteristisch für die Arbeiten von Goran Rebić, dem die Diagonale in diesem Jahr die Programmreihe »Zur Person« widmet. Seine Filme wirken suchend, im guten Sinne unfertig, sie haben sich noch nicht eingerichtet.

Goran Rebić, 1968 in Vršac in der Vojvodina in Jugoslawien geboren und ein Jahr später mit den Eltern nach Wien migriert, richtet den Blick auf gesellschaftliche Umbruchphasen und Zustände der Verunsicherung, auf Fragen der Zugehörigkeit und Identität. Auch wenn die Menschen in Rebićs Filmen von der Geschichte aufgewühlt und zum Teil auch beschädigt sind, herrscht ein besänftigender Ton. Musik spielt dabei eine wichtige Rolle, sie ist Erinnerungsspeicher und Identitätsanker, Klage und Trost.

»Pessimismus ist in Leben net mei Farbe«, erzählt Ratko Rebić, Gorans Vater, in »Gekommen bin ich der Arbeit wegen« (1987), dem auf Super-8-Film gedrehten Debütfilm Goran Rebićs, mit dem dieser sich bei der Wiener Filmakademie bewarb. Der Sohn lässt den Vater darin von den Anfängen als junger Migrant in Österreich erzählen, während dieser mit dem Koffer in der Hand die Stationen – Orte mit Namen wie Ebergassing, Trautmannsdorf und Schwadorf – noch einmal aufsucht. Dabei erinnert er sich an die Mühen der Arbeitssuche, an miserable Wohnverhältnisse, überzuckertes Letscho und trinkfreudige Abende im Wirtshaus.

Die Musik kommt von den Schallplatten des Vaters, der populäre »Drina-Marsch«, ein Lied, das zu einem Symbol der Tapferkeit der Serben während des Ersten Weltkriegs wurde, gewinnt dem Pilgern von Ort zu Ort eine tragisch-komische Seite ab. Mit der Verbindung aus autobiographischer Erzählung, ­migrantischer Perspektive und Roadmovie ist »Gekommen bin ich der Arbeit wegen« ein seltenes Dokument der österreichischen Filmgeschichte – und einer der ersten österreichischen Gastarbeiterfilme überhaupt.

Rebićs Werk ist schmal, es umfasst sieben Filme. Die Brüchigkeit der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, die in den Dokumentarfilmen in nahezu jedem Bild spürbar wird, trägt sich auch in Rebićs fiktionale Arbeiten hinein. Das Spielfilmdebüt »Jugofilm« (1991) erzählt von einer serbisch-wienerischen Gastarbeiterfamilie, die den Krieg im ehemaligen Jugoslawien durch die Medien erlebt. Ob man Radio Belgrad oder Radio Sarajevo hört, ist keine Frage des Musikgeschmacks, Alltagsentscheidungen werden ideologisch, Freundschaften zerbrechen und am Ende sprengt es auch die Familie.

»Donau, Duna, Dunaj, Dunav, Dunarea« (2003), benannt nach den fünf Namen, die der Strom auf seinem Weg zum Schwarzen Meer trägt, ist Rebićs bislang letzter Film. Er bringt zerrüttete Existenzen auf einem rostigen Schiff zusammen. Die Figuren bleiben Skizzen, sie sind in eher groben Strichen gezeichnet, Zentrum und eigentliche Hauptfigur ist der Fluss. Dass die dokumentarischen Arbeiten trotz ihrer Zeitspezifik heute gegenwärtiger anmuten, hat nicht nur damit zu tun, dass sich Bilder vom Krieg unweigerlich mit anderen, heutigen Kriegsschauplätzen verknüpfen. Es gibt darin eine Form der Unmittelbarkeit, die sich der Alterung widersetzt.

Rebićs bislang letzter Film bringt zerrüttete Existenzen auf einem rostigen Schiff zusammen.

»Die Eile ergibt Sinn, denn Rebić will mit Dingen konfrontieren, die im Kino rar sind: nicht mit Erinnerungen und Rückschauen, sondern mit Gegenwärtigem, mit Bildern und Worten, die von der Patina des Historischen noch nicht starr, zu Museumsstücken gemacht worden sind«, heißt es in einem Text über den Film-Essay »The Punishment« (2000), der unmittelbar nach dem Nato-Bombardement in nur wenigen Monaten in Belgrad entstand. In Gesprächen versucht der Film, jenen Menschen eine Stimme zu geben, die in der medialen Berichterstattung nicht vorkamen: serbische Bürgerinnen und Bürger, die gegen das Regime Milošević opponierten, von den Bomben aber dennoch gefährdet waren und die Strategie der Nato nicht widerspruchslos befürworten konnten.

»During the Many Years« (1991), der 40minütige Film über das damals gerade unabhängig gewordene Georgien, war schon eine Woche nach seiner Erstaufführung nicht mehr das Gegenwartsporträt, das er für einen kurzen Moment war. 1992, im Jahr des Bürgerkriegs, drehte Rebić erneut in Tiflis. So entstand »Am Rand der Welt« (1992), ein Film, der sich nach einem kurzen Prolog über »Das Jahr der Freiheit« mitten hineinbegibt in das Chaos, die Verwirrung und die Zerstörung. Ein junger TV-Kameramann, der filmend in den Ausbruch der Kämpfe geraten ist, zeigt seine Aufnahmen in der elterlichen Wohnung; seine Mutter und Tante, die bei ihm waren und beide angeschossen wurden, sitzen weinend daneben.

In einer Ruinenlandschaft führt eine junge Frau an den Ort, wo einmal ihr Haus stand, nur ein einziges Foto konnte sie aus den Trümmern retten. Merab Ninidze, ein junger Schauspieler, der zur Zeit des Bürgerkriegs in Europa war, erzählt von Gefühlen der Abgetrenntheit und Entfremdung nach seiner Rückkehr – in »Jugofilm« verkörpert er als Kriegsrückkehrer, der versucht, in der Wiener Diaspora an sein altes Leben anzuknüpfen, die andere Perspektive. Begräbnisse sind ein wiederkehrendes Motiv im Film.

Goran Rebić

Aufmerksam und sensibel: der Regisseur Goran Rebić

Bild:
Diagonale / Elsa-Okazaki

Eine verzweifelte Mutter beweint ihren achtjährigen Sohn, der durch eine Bombe getötet wurde, sie hat fast keine Stimme mehr. Auch die akkordeonspielende Taxifahrerin aus »During the Many Years« tritt mehrfach auf. Während Kinder Zeichnungen in die Kamera halten, auf denen Panzer zu sehen sind, singt sie ein hebräisches Lied, später ein armenisches und ein ­russisches.

»Rebić mag diese Leute, und ich sehe es. Sie sprechen ohne Geländer im Rücken, nur den Boden unter ihren Füßen. Kein ausgewogenes Bild«, ist in einem Text von Hito Steyerl über »The Punishment« zu lesen, der in dieser Zeitung (Jungle World 8/2000) vor 23 Jahren erschien. Das »Sprechen ohne Geländer im Rücken« bedeutet im Werk von Goran Rebić auch eine bestimmte Wahrnehmungsweise. Sie sieht im Gegenüber kein identitäres oder nationalstaatliches Konstrukt, sondern das Individuum und den Menschen.

Die Diagonale in Graz läuft bis zum 26. März.