Das Bundesverfassungsgericht ­verlangt die Überarbeitung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen

Kinderehen verbieten, aber richtig

Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen für verfassungswidrig erklärt. Dass es nun überarbeitet werden muss, ist überfällig.
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Nehmen wir an, ein Paar legt beim Finanzamt seine Eheurkunde vor, um vom Ehegattensplitting zu profitieren. Das Amt stellt fest, dass die 20jährige Hausfrau und Mutter zweier Kinder schon mit 15 geheiratet hat. Damit gilt die Ehe als rechtlich unwirksam.

Im Sinne des 2017 verabschiedeten Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen gab es nie eine Ehe. Folglich schuldet der Mann der Frau, die ihm jahrelang den Haushalt geführt hat, keinen Cent Unterhalt. Auch für die Kinder muss er nicht zahlen. Denn er hat die Vaterschaft nicht anerkannt. Solange die Ehe Bestand hatte, also vor ihrer nachträglichen Annullierung, galten die Kinder automatisch als seine. Jetzt sind sie rechtlich vaterlos. Der Mann freut sich, dass er den Anhang los ist.

Doch seine und ihre Verwandten drängen ihn, die nun mittellose Alleinerziehende sofort wieder zu heiraten. Das kann er abwehren. Denn dafür brauchen die beiden ein Ehefähigkeitszeugnis aus ihrem Heimatland, das sie als ledig ausweist. Das bekommen sie aber nicht, weil sie dort schon als verheiratet gelten.

Vor solchen Folgen des Gesetzes hatten etliche Sachverständige bereits 2017 gewarnt. Vergangene Woche hat das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Grundsätzlich hält es das Gesetz für mit der Verfassung vereinbar: Der Gesetzgeber könne die Wirksamkeit einer Ehe von einem Mindestalter abhängig machen. Doch was das für Folgen eine solche Ehe in Sachen Unterhalt, Erbrechte und Vaterschaft der Kinder nach sich ziehe, müsse geklärt werden. Für diese Nachbesserungen hat der Gesetzgeber nun bis Juni kommenden Jahres Zeit.

Organisationen wie das Deutsche Institut für Menschenrechte oder der Deutsche Juristinnenbund hatten empfohlen, jede Ehe im Einzelfall zu prüfen und Ehen von Kindern unter 16 Jahren nicht pauschal für unwirksam zu erklären, sondern lediglich aufzuheben. Juristisch würde das einen großen Unterschied machen.

Eine unwirksame Ehe hat rechtlich gesehen nie existiert, eine aufgehobene jedoch schon. Die rechtlichen Folgen sind dann ähnlich wie bei einer Scheidung, es gäbe dann zum Beispiel das Recht auf Unterhalt. Das wäre der einfachste Weg, den betroffenen Frauen und ihren Kindern zu ihrem Recht zu verhelfen. Eine solche Aufhebung sieht das Gesetz für Ehen von Minderjährigen ab 16 Jahren vor.

Bei dem 2017 erlassenen Gesetz geht es nicht allein um den Schutz der betroffenen Mädchen in Deutschland, sondern um die Bekämpfung von Kinderehen weltweit.

Die Realität zeigt allerdings, dass bei Ehen von Minderjährigen über 16 Jahren die Möglichkeit einer Aufhebung meist gar nicht geprüft wird. Denn das muss das Jugendamt veranlassen oder einer der Eheleute. Terre des Femmes hatte dazu 2019 berichtet, dass es bei 813 bekannt gewordenen Minderjährigen-Ehen nur in zehn Fällen tatsächlich zu einer Aufhebung gekommen sei.

Bei dem 2017 erlassenen Gesetz geht es nicht allein um den Schutz der betroffenen Mädchen in Deutschland, sondern um die Bekämpfung von Kinderehen weltweit. Dazu hat sich Deutschland nach internationalem Recht verpflichtet. Auch das Bundesverfassungsgericht argumentiert im jüngsten Urteil, die gesetzlich festgelegte Nichtigkeit von Kinderehen könne »dazu beitragen, den Realisierungswillen auch der übrigen Staaten zu stärken«.

Die parlamentarische Versammlung des Europarats, in der 46 europäische Länder vertreten sind, hatte schon 2005 nationale Gesetze zum Verbot der Kinderehe gefordert. Doch erst nach der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 entschlossen sich einige europäische Länder, die Vorgabe zu realisieren. Mehrere Staaten, wie Dänemark, die Niederlande und Österreich, erschweren mit ihren Verboten der Kinderehe auch gleichzeitig den Familiennachzug.

Da oft die Ehemänner zuerst die Flucht wagen, sitzen aufgrund dieser Gesetze junge Frauen mit Kindern in ihren Ländern fest ohne eine Chance, über den Familiennachzug zum Vater der Kinder nach Europa zu gelangen. Der Versuchung, auf diesem Weg Tausende Flüchtlinge fernzuhalten, hat die deutsche Regierung widerstanden und eine Ausnahme im Asylgesetz geschaffen. Die Familie darf nachgeholt werden, auch wenn die Ehe unwirksam ist.

Um die Rechte der betroffenen Mädchen und Frauen zu wahren, scheint es sinnvoll, entsprechende Ehen nicht komplett für unwirksam zu erklären, sondern lediglich aufzuheben. Genauso wird es seit 1998 im Falle von Geschwisterehen oder Polygamie gehalten.

Dass der Gesetzgeber 2017 für die Kinderehe das drastische Instrument der Unwirksamkeit gewählt hat, war vor allem als Signal zu verstehen, dass man es mit der Bekämpfung auch wirklich ernst meint. Das wäre an sich zu begrüßen, wenn es gleichzeitig gelingt, mögliche negative Folgen für die betroffenen Frauen und Kinder zu vermeiden.