Der EU gelingt es nicht, den Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo zu schlichten

Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück

Im März handelte die EU ein Abkommen zwischen Serbien und Kosovo zur Beilegung ihrer Konflikte aus. Doch von einer Annäherung der beiden Seiten ist seitdem nichts zu sehen. Immer noch versucht Serbien, die internationale Anerkennung des Kosovo zu verhindern.

Es sei »ein historischer Schritt, vielleicht der wichtigste seit unserer Unabhängigkeit«, zeigte sich die Außenministerin Kosovos, Donika Gërvalla-Schwarz, erfreut. Am 24. April hatten 33 von 46 Mitgliedstaaten des Europarates der Aufnahme des Kosovo in die 1949 gegründete Organisation zugestimmt, sieben votierten dagegen, fünf enthielten sich. Nun liegt die endgültige Entscheidung bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.

Seit seiner Unabhängigkeit vor 15 Jahren strebt der Kosovo nach internationaler Anerkennung und Aufnahme in internationale Organisationen. Doch zeigte die Abstimmung auch, dass diesem Streben immer noch der anhaltende Konflikt mit Serbien im Weg steht, das die nationale Unabhängigkeit der ehemaligen autonomen Provinz der jugoslawischen Teilrepublik Serbien bis heute nicht anerkennt.

Serbien stimmte gegen die Aufnahme Kosovos und kritisierte die Entscheidung scharf. Es sei das erste Mal, dass über die Aufnahme »eines Landes, das kein Staat ist und nicht von den Vereinten Nationen anerkannt ist«, entschieden würde, sagte der serbische Außenminister Ivica Dačić dem Nachrichtenportal Euractiv zufolge nach der Abstimmung.

Zuvor hatte ein Vertreter der EU-Kommission die Länder, die beide eine EU-Mitgliedschaft anstreben, ermahnt, statt öffentlicher Schlagabtausche das unter EU-Vermittlung ausgehandelte Abkommen zur Normalisierung ihrer Beziehungen umzusetzen. Dieses sieht unter anderem vor, dass Serbien keine Einwände gegen die Mitgliedschaft Kosovos in internationalen Organisationen erhebt.

Ein Vorfall Ende März zeigte, wie der Konflikt abseits der internationalen Politik auf lokaler Ebene immer wieder aufflammt.

Ein Vorfall Ende März zeigte, wie der Konflikt abseits der internationalen Politik auf lokaler Ebene immer wieder aufflammt. Anlass war die Verhaftung eines Serben, der im Norden des Kosovo Autos angezündet haben soll, deren Halter:innen ihre serbischen Nummernschilder gegen kosovarische ausgetauscht hatten. An der Frage der Nummernschilder hatte sich bereits im vergangenen Sommer eine Auseinandersetzung zwischen den Regierungen Kosovos und Serbiens entzündet. Die kosovarische Regierung versuchte durchzusetzen, dass die Bevölkerung in den überwiegend von Serben bewohnten Gebieten im Norden Kosovos ihre serbischen Kfz-Kennzeichen gegen kosovarische austauscht, worauf serbische Nationalisten mit Straßenblockaden und Gewaltdrohungen antworteten.

Dem nun verhafteten Serben werfen die kosovarischen Behörden auch einen Angriff auf Polizisten, die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und einen Mord vor. Die Serbischen Liste hingegen, die wichtigste Partei der serbischen Minderheit im Kosovo, die eng mit Serbiens nationalkonservativer Regierungspartei, der Serbischen Fortschrittspartei (SNS), verbunden ist, bezeichnete die Festnahme als Entführung eines zu Unrecht beschuldigten Serben. Die Serbische Liste drohte, sollte die Regierung in Priština nicht die »Unterdrückung unschuldiger Bürger« einstellen, mit einem Aufstand der serbischen Bevölkerung des Kosovo. Die Regierung Serbiens warf den kosovarischen Behörden vor, eine erneute Krise zu provozieren.

Kontrolle über Nordkosovo
Nur wenige Wochen vor diesen Ereignissen, am 18. März, hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell noch mit den Worten »Wir haben ein Abkommen« einen Durchbruch in den Verhandlungen zwischen beiden Staaten verkündet. Dabei geht es um den Versuch, unter internationaler Vermittlung eine Entspannung zwischen Serbien und dem ehemaligen Landesteil Kosovo herbeizuführen, der nach dem Kosovo-Krieg 1998/1999, in dem die Nato die separatistische Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) militärisch unterstützt hatte, seine Unabhängigkeit erlangte. Allerdings gelang es den kosovarischen Regierungen seither nicht, die volle Kontrolle über das mehrheitlich von Serben bewohnte Gebiet im Nordkosovo herzustellen, wo circa 50.000 ethnische Serben leben und dessen faktisch eigenständige Verwaltung von Serbien unterstützt und als Instrument serbischen Einflusses genutzt wird.

Am 23. April wurden in der Region unter dem Schutz von mehreren Tausend Nato- und UN-Soldaten Lokalwahlen abgehalten, doch lag die Wahlbeteiligung nur bei 3,5 Prozent, weil serbische Parteien zum Boykott aufgerufen hatten.

Seit Jahren versuchen die EU und die USA, eine Einigung zwischen beiden Seiten herbeizuführen, die den vor fast 25 Jahren bewaffnet ausgetragenen Konflikt um die Eigenstaatlichkeit des Kosovo endgültig beilegen würde. Die EU konnte, indem sie langfristig Serbien und Kosovo einen Beitritt in Aussicht stellte, 2013 das Erste Abkommen über die Prinzipien zur Normalisierung der Beziehungen vermitteln. Darin wurde vereinbart, dass die Selbstverwaltungsrechte der serbischen Bevölkerung des Kosovo durch die Gründung eines Verbandes mehrheitlich serbischer Kommunen gestützt werden sollten. Im Gegenzug sollte ein auf eine Anerkennung Kosovos durch Serbien hinauslaufender Dialog beginnen. Dies scheiterte, weil die Gründung eines serbischen Gemeindeverbands im Kosovo mehrheitlich als Instrument serbischer Einflussnahme abgelehnt wurde und wird.

Einem anderen Konzept folgten ab 2016 maßgeblich von der US-Regierung Donald Trumps unterstützte Verhandlungen zwischen dem Präsidenten Serbiens, Aleksandar Vučić, und dem damaligen kosovarischen Präsidenten Hashim Thaçi. In diesen wurde die Möglichkeit eines Gebietstauschs zwischen den mehrheitlich von Serb:innen bewohnten Gebieten im Nordkosovo und dem albanischen Siedlungsgebiet im Preševo-Tal in Serbien an der Grenze zum Kosovo erwogen. Der Plan wurde jedoch international auch stark kritisiert mit dem Argument, Grenzverschiebungen nach ethnischen Kriterien könnten die Region destabilisieren. Mit der Regierungsübernahme der Bewegung Selbstbestimmung (Vetëvendosje) unter Albin Kurti im Kosovo, die programmatisch den Kampf gegen Korruption und Armut mit albanischem Nationalismus verknüpft und Gebietsabtretungen strikt ablehnt, endeten diese Verhandlungen 2020 ergebnislos.

In Serbien wie im Kosovo regieren Parteien, die sich auf Nationalismus stützen, um ihre Anhängerschaft anzusprechen und ihre Programmatik zu begründen.

Mit der russischen Invasion der Ukraine gewann die Frage der Beilegung des Konflikts auf dem Balkan für die EU erneut an Dringlichkeit. Das jüngste Abkommen, dessen Abschluss Borrell im März verkündete, geht auf einen deutsch-französischen Vorschlag vom Herbst vergangenen Jahres zurück. Dieser orientiert sich am Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR von 1972. Darin hatte die BRD die DDR zwar nicht formell anerkannt, akzeptierte aber, dass diese de facto als souveräner Staat agierte. Ähnlich soll jetzt Serbien seinen Widerstand gegen die Mitgliedschaft des Kosovo in internationalen Organisationen wie der Uno aufgeben, ohne das Land formell als unabhängig anzuerkennen. Im Gegenzug soll Kosovo die Rechte seiner serbischen Bevölkerung institutionell durch die Gründung des serbischen Gemeindeverbands absichern und den Status der serbisch-orthodoxen Kirche und den Schutz serbischer Kulturgüter garantieren.

Allerdings unterzeichneten die Verhandlungsführer Vučić und Kurti die Einigung nicht. Wie die Spannungen der vergangenen Wochen zeigen, dürfte Borrells »Abkommen« nur ein weiteres Kapitel der Geschichte gescheiterter Bemühungen darstellen, den Kosovo-Konflikt beizulegen. Denn tatsächlich sind die Anreize für eine Einigung auf beiden Seiten gering. In Serbien wie in Kosovo regieren Parteien, die sich auf Nationalismus stützen, um ihre Anhängerschaft anzusprechen und ihre Programmatik zu begründen. Substantielle Kompromisse mit der jeweiligen Gegenseite sind für diese Parteien sehr riskant.

Angst der EU vor einer Stärkung des chinesischen und russischen Einflusses
Gleichzeitig hat die EU nur begrenzte Druckmittel zur Verfügung. Insbesondere Serbien ist zwar auf ökonomische Beziehungen mit der EU angewiesen und kann sich deswegen deren Vermittlungsbemühungen nicht entziehen. Auch deswegen liegt eine Eskalation des Konflikts zu einer erneuten militärischen Auseinandersetzung, wie internationale Beobachter sie während der Krise im vergangenen Jahr befürchteten, nicht im Interesse der serbischen Regierung. Andererseits verschaffen die wirtschaftliche Stabilisierung des Landes in den vergangenen Jahren, die Angst der EU vor einer Stärkung des chinesischen und russischen Einflusses auf dem Balkan und die Entdeckung wichtiger Bodenschätze wie Gold und Lithium in Serbien Vučić durchaus erhebliche Handlungsspielräume.

Auch was die kosovarische Regierung angeht, stellt sich die Frage, ob eine Konfliktbeilegung für sie tatsächlich wünschenswert ist. Ein EU-Beitritt liegt in weiter Ferne und die ökonomische Situation des Landes ist desaströs. Mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von knapp unter 5.000 Euro ist es eines der ärmsten Länder des Balkans und seit der Unabhängigkeit von Entwicklungshilfe der EU und der USA abhängig. Der Konflikt sorgt für internationale Aufmerksamkeit und wirtschaftliche Unterstützung.

Vieles spricht dafür, dass die Risiken, die die Regierenden in Belgrad und Priština mit einem Kompromiss zur Lösung des Konflikts eingehen würden, größer sind als der Nutzen, den sie sich davon versprechen können. Deswegen werden wohl auch in Zukunft Nachrichten von Zusammenstößen, sich verschärfenden Spannungen und gegenseitigen Vorwürfen die Berichterstattung über die Region prägen.