In Großbritannien streitet die Labour-Partei wieder über Judenhass in ihren Reihen

Schon wieder ein Schock

Die britische Abgeordnete Diane Abbott wurde von der Labour-Fraktion suspendiert. Abbott wird Antisemitismus vorgeworfen, der Richtungs­streit innerhalb der Partei ist in vollem Gange.

Die Labour-Partei wird von einem Skandal erschüttert, wieder einmal geht es um Antisemitismus. Diane Abbott, Labour-Abgeordnete im britischen Unterhaus, wurde aufgrund ihres Leserbriefs in der Sonntagszeitung Observer von der Fraktion suspendiert. Sie hatte geschrieben, dass Juden, Iren, Sinti und Roma zwar unter Vorurteilen über sie litten, »das sei indes eher so wie die Vorurteile, die auch Weiße mit bestimmten Merkmalen, wie zum Beispiel Rothaarige, erfahren«. Anders als Schwarze, so Abbott weiter, seien sie »nicht ihr Leben lang Opfer von Rassismus«. Der Brief war eine Replik auf einen Ar­tikel über eine kürzlich veröffentlichte Studie zu Rassismus in Großbritannien.

Die Empörung darüber war nahezu einhellig. Jon Lansman, ein Mitstreiter Abbotts vom linken Flügel der Labour-Partei sowie Gründer und ehemaliger Sprecher der linken, der Partei nahestehenden Organisation Momentum, unterstützte die Suspendierung und nannte Abbotts Brief »infam«; der bekannte linke Publizist Owen Jones sprach von einem »absoluten Schocker«. Abbott veröffentliche umgehend eine Erklärung auf Twitter: Sie habe aus Versehen einen ersten Entwurf versendet, aber das sei keine Entschuldigung. Sie nehme ihre Aussagen vollständig zurück. Der Board of Deputies of British Jews, eine der größten jüdischen Organisationen in Großbritannien, nannte die Entschuldigung »überhaupt nicht überzeugend«.

John McDonnell, von 2015 bis 2020 Abbotts Kollege im Schattenkabinett des damaligen Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn und Mitstreiter in der linken Socialist Campaign Group, sprach von einem »schlimmen, schlimmen Fehler«; Corbyn hatte Abbott zuerst als Ministerin für internationale Entwicklung, dann als Sozial- und Gesundheitsministerin und schließlich als Innenministerin ausersehen, McDonnell als Schatzkanzler. Dieser fügte allerdings hinzu: Man müsse bedenken, dass Abbott über Jahrzehnte Rassismus bekämpft und erlebt habe, daher solle man ihre Entschuldigung annehmen. In der Tat richteten sich gegen Abbott ­einer Studie von Amnesty International zufolge vor den Wahlen 2017 insgesamt fast die Hälfte aller sexistisch und rassistisch beleidigenden Tweets, die an weibliche Abgeordnete adressiert waren.

Abbott ist die Tochter jamaikanischer Einwanderer und wuchs im Londoner Stadtteil Paddington auf. Sie studierte in Cambridge, arbeitete später als Pressesprecherin des Londoner Bürgermeisters Ken Livingstone, der 2016 von der Labour-Partei wegen antisemitischer Äußerungen suspendiert wurde – woraufhin Diane Abbott die Behauptung zurückwies, die Partei habe ein Problem mit Antisemitismus.

Für die Linken ist die Tatsache, dass Abbott den Antisemitismus – und auch Antiziganismus – eklatant bagatellisiert hat, eher zweitrangig, ihnen geht es um den Einfluss in der Labour-Partei.

Nach ihrem Studium arbeitete Abbott unter anderem als Journalistin und engagierte sich dafür, ethnische Minderheiten in der Labour-Partei stärker zu repräsentieren. Seit 1987 vertritt sie den Londoner Wahlkreis Hackney North and Stoke Newington im Parlament, einen Sitz, den sie zuletzt 2019 mit 75 Prozent der Stimmen verteidigte.
In Abbotts Wahlkreis liegt eine der größten orthodoxen jüdischen Gemeinden in Großbritannien. Rabbi Herschel Gluck, der Vorsitzende des Muslimisch-Jüdischen Forums und einer orthodoxen Verteidigungsgruppe der Organisation Shomrim, eine Art Nachbarschaftspatrouille, die durch ihre Präsenz Verbrechen verhindern will, sprach in der Wochenzeitung Jewish Chronicle von dem Schock, den der Brief bei ihm ausgelöst habe, aber auch davon, dass er die Entschuldigung als »aufrichtig« empfunden habe.

Ob Diane Abbott wieder als Kandidatin der Labour-Partei antreten wird, ist allerdings fraglich. Der Parteivorsitzende Keir Starmer sagte dem Observer, er sei »schockiert« gewesen, als er sah, was Abbott geschrieben hatte. Die Schnelligkeit, mit der Abbott sus­pendiert worden sei, zeige Starmer zufolge, »wie sehr sich die Labour-Partei ver­ändert hat« und dass sie »null Toleranz« gegenüber Antisemitismus zeige. Starmer hatte 2020 nach einer Untersuchung der Equality and Human Rights Commission (EHRC) zum Antisemitismus unter seinem Vorgänger Corbyn im Namen der Partei um Entschuldigung gebeten und einen radi­kalen Kurswechsel versprochen.

Dem Bericht zufolge sei die Parteispitze unter Corbyns Führung nicht entschieden genug gegen Mitglieder vorgegangen, die antisemitische Gerüchte verbreiteten, und habe zudem Beschwerden wegen Antisemitismus ignoriert. Mehrere jüdische Labour-Abgeordnete traten damals aus Protest aus der Partei aus. Corbyn kommentierte den EHRC-Bericht damit, dass das Ausmaß des Antisemitismus in der Partei »dramatisch übertrieben« worden sei, von den politischen »Gegnern innerhalb und außerhalb der Partei sowie von vielen Medien«.

Daraufhin wurde Corbyns Parteimitgliedschaft suspendiert. Zwar wurde er nach einer Entscheidung des erweiterten Parteivorstands wiederaufgenommen, doch Starmer verweigerte ihm den Wiedereintritt in die Fraktion. Corbyn sitzt nun als fraktionsloser Abgeordneter im Parlament. Ende März dieses Jahres beschloss Labour auf Antrag Starmers auch, dass Corbyn bei den nächsten Wahlen nicht als Kandidat in seinem Wahlkreis aufgestellt wird. Corbyn und seine Unterstützer haben bereits angekündigt, dass er parteilos gegen Labour kandidieren wird.

Die Suspendierung Abbotts hat den parteiinternen Richtungskampf verschärft. Für die Linken ist die Tatsache, dass Abbott den Antisemitismus – und auch Antiziganismus – eklatant bagatellisiert hat, eher zweitrangig, ihnen geht es um den Einfluss in der Partei. Starmer hat die einst aufstrebende Parteilinke an den Rand gedrängt und die Kontrolle über den Parteiapparat übernommen, was ihm die Auswahl der Labour-Kandidaten für das Parlament ermöglicht. Dem linken Flügel zugerechnete Abgeordnete wie der ehemalige verkehrspolitische Sprecher Sam Tarry sowie die ehemalige Abgeordnete für den Londoner Wahlkreis Kensington, Emma Dent Coad, werden nicht wieder für Labour kandidieren können. Viele Linke fragen sich, ob mit Abbott nun eine weitere der ihren bei den nächsten Wahlen als Kandidatin gestrichen wird.

Die Organisation Momentum, die sich zur Unterstützung Corbyns gegründet hatte, forderte bereits nach der Entschuldigung Abbotts, dass diese wieder in die Fraktion aufgenommen werden solle. Auch Owen Jones plädiert für ihre schnelle Rückkehr. Für Starmer ist es indes eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit, zu zeigen, dass er den An­tisemitismus in der Partei wirklich in den Griff bekommen hat.