8. Mai am sowjetischen Ehrenmal in Berlin

Getrennte Welten am Tag des Sieges

Am 8. Mai hielt der VVN-BdA seine traditionelle Gedenkver­anstaltung ab, Gregor Gysi kritisierte in seiner Rede die Nato. Am Abend veranstalteten Ukrainer:in­nen einen »stillen Erinnerungsmarsch«. Dazwischen lagen Welten.
Raucherecke Von

Der Himmel war blau am 8. Mai, die Sonne schien, und viele Menschen pilgerten in kleinen Grüppchen zum großen Denkmal des Soldaten, unter dessen Stiefeln das Hakenkreuz zerbirst. Hinter dem Zaun des sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park in Berlin spielte irgendwo ein Trompeter die Melodie eines sowjetischen Militärlieds. Eine kleine Gruppe, die am Denkmal Blumen niedergelegt hatte und sich nun eine Verschnaufpause gönnte, summte mit. Vor dem Gelände des Ehrenmals standen knapp zwei Dutzend Einsatzwagen der Polizei.

Traditionell veranstaltet die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) zum Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus am 8. Mai eine Kundgebung an der Statue der »Mutter Heimat« am sowjetischen Ehrenmal. Die große, kniende Figur steht direkt hinter den beiden Eingängen der imposanten Anlage, an deren Ende steht die zwölf Meter hohe Soldatenfigur mit Schwert und Kind auf dem Arm.

Dieses Jahr sprach die VVN-BdA schon vorher in einer Pressemitteilung von einem »schwierigen Befreiungsgedenken«. Sie sah sich vor das Problem gestellt, den »schwierigen Spagat« zwischen dem »Dank an die sowjetischen Befreier*innen« und dem »Protest gegen den heutigen Krieg Russlands gegen die Ukraine« zu schaffen.

Wie voriges Jahr verbot die Berliner Polizei das zeigen der russischen, ukrainischen und sogar die sowjetischen Flagge. Nachdem die Gruppe Vitsche, eine Vereinigung junger Ukrainer:innen in Deutschland, einen Eilantrag gegen das Verbot gestellt hatte, hob das Verwaltungsgericht das Verbot ukrainischer Fahnen jedoch wieder auf –das von russischen Flaggen allerdings ebenso. Gegen Letzteres legte die Polizei Widerspruch ein. Am Morgen des 8. Mai entschied die höhere Instanz, das Berliner Oberverwaltungsgericht, dass das Zeigen der russischen und sowjetischen Fahne doch verboten bleibt.

Etwas abseits von der VVN-BdA-Veranstaltung zeigten die russischen Regimegegner von »Demokrati-Ja« in einer Miniausstellung in russischer und deutscher Sprache die Gräueltaten der UdSSR und der Russischen Föderation, vom sogenannten roten Terror über die Niederschlagung des Prager Frühlings bis hin zum Georgien- und Tschetschenien-Krieg. Ein Mitglied der Gruppe sagte der Jungle World, dass man das Gedenken am 8. und 9. Mai von der sowjetischen Propaganda lösen möchte. Die Person deutete auf eine rote Fahne auf der VVN-Veranstaltung: »Und von den Nostalgikern der Sowjetunion.«

Die etwa 200 Teilnehmer der VVN-Kundgebung mieden diese Seite des Ehrenmals. Viele trugen beige Blousons und blinzelten unter Schirmmützen der Sonne entgegen. Ellen Händler, Vorsitzende des BdA Treptow, forderte in ihrer Rede, den 8. Mai zu einem gesetzlichen Feiertag zu erklären. Anita Leocádia Prestes, die Tochter der im KZ Ravensbrück ermordeten Olga Benario-Prestes und Ehrengast der Kundgebung, legte Nelken an der Statue der Mutter Heimat nieder. Der Ernst-Busch-Chor sang pazifistische Lieder.

Ebenfalls dabei war Gregor Gysi, der für knapp zehn Minuten die Kundgebung beehrte. In seiner Rede forderte er sogar einen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine, kritisierte aber auch die Politik der Nato, unter anderem für ihren völkerrechtswidrigen Einsatz in Serbien 1999. Damals habe er zum damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder gesagt, »dass so ein Verhalten Schule machen wird«.

Eine Demonstration mit spürbar mehr Dringlichkeit veranstaltete um 18 Uhr die Gruppe Vitsche. Etwa 500 Menschen trafen sich an der »Kulturbrauerei« im Prenzlauer Berg, um sich von dort aus auf einen »stillen Erinnerungsmarsch« zu den Sophiensälen in Berlin-Mitte zu begeben. Überwiegend weibliche und in ukrainische Flaggen gehüllte Ukrainer:innen gedachten der ukrainischen Menschen, die an diesen Orten im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeit geleistet hatten. Vlada von Vitsche forderte in ihrer Rede einen »Platz für Ukrainer:innen in der deutschen Erinnerungskultur«: »Wie können wir an Ehrenmäler gehen und gedenken«, fragte sie, »wenn dort Zitate von Stalin stehen?«