Miki Hermer, Amadeu-Antonio-Stiftung, im Gespräch über die Darstellung Israels in Berliner und Brandenburger Schulbüchern

»Die Schulbücher vermitteln ein einseitiges Bild«

Die Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) und das Mideast Freedom Forum Berlin haben sich angeschaut, wie Berliner und Brandenburger Schulbücher den jüdischen Staat darstellen. Dafür haben sie 16 Schulbücher der drei größten Schulbuchverlage – Ernst Klett, Westermann und Cornelsen – untersucht, die Schüler:innen der siebten bis zehnten Klasse in den Unterrichtsfächern Geschichte, Politik und Gesellschaftswissenschaften verwenden. In der vergangenen Woche wurden die Studienergebnisse vorgestellt. Die »Jungle World« sprach mit Miki Hermer von der AAS, die das Projekt geleitet hat.
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Was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Studie?
Die überwiegende Anzahl der Lehrbücher fällt durch Auslassungen und Unausgewogenheit auf: Es wird ein einseitiges Bild von Israel vermittelt, ein »Gut gegen Böse« oder »David gegen Goliath«. Israel wird fast ausnahmslos die vorrangige Schuld am Nahost-Konflikt und am Leid der Palästinenser:innen zugeschrieben. Die Bücher spiegeln damit wider, was auch gesamtgesellschaftlich über Israel gedacht wird. Das ist tragisch, denn für junge Menschen wirkt das, was in Schulbüchern steht, wie ein ­Gesetz.

Sie kritisieren unter anderem, dass die Bücher stark emotionalisierende Bilder verwenden. Können Sie ein Beispiel ­geben?
Auf Fotografien sieht man etwa jugendliche Palästinenser mit Steinen bewaffnet, wie sie einem israelischen Panzer gegenüberstehen. Ich sage ja nicht, dass es keine israelischen Panzer gibt, jedoch fördert diese Gegenüberstellung Empathie zu Israels Ungunsten. Wahrheitsgetreuer wäre es, neben diesem Panzer bis unter die Zähne bewaffnete Hamas-Kämpfer abzubilden.

Unterlaufen solche Darstellungen nicht die Prinzipien der politischen Bildung, wie sie im Beutelsbacher Konsens 1976 als ­Ergebnis einer Tagung von Politikdidaktiker:innen festgelegt wurden?
Diesem Konsens zufolge dürfen Schüler:innen nicht überfordert werden. Zudem müssen die Themen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Die Bücher versuchen diesem Anspruch auch gerecht zu werden, jedoch scheitern sie daran, wenn beispielsweise eine palästinensische und eine israelische Quelle zu Wort kommen, die israelische Quelle jedoch zu einem bekannten antizionistischen Think Tank gehört. Es ist sehr oft tendenziös: Vor allem viele der untersuchten Sachtexte implizieren ein Urteil.

Kritik an der Darstellung Israels in Schulbüchern lässt sich bis in die achtziger Jahre zurückverfolgen. ­Denken Sie, dass Ihre Studie daran etwas ändern wird?
Natürlich! Es gibt ständig Neuauflagen von Schulbüchern, die Au­tor:innen wechseln und auch die politische Weltlage verändert sich. Wir möchten zum einen erreichen, dass die Kritik des Antisemitismus und die »Israel-Education« standardmäßig in das Lehramtsstudium aufgenommen werden, zum anderen stehen wir den Schulbuchverlagen als Partnerin zur Seite, um problematische Inhalte in den künftigen Auflagen zu verbessern. Aber das geht nur, wenn die Verlage das auch möchten.

Wie gehen jüdische Schüler:innen mit der Problematik um?
Auf der einen Seite müssen sie alles erklären, wenn gesagt wird: »Du bist ja Jude, dann kannst du auch über Israel reden.« Hier wären wir schon beim israelbezogenen Antisemitismus. Auf der anderen Seite gehen jüdische Kinder, die eine nichtjüdische Schule besuchen, häufig mit einem schlechten Gefühl dorthin, wenn der Nahost-Konflikt wieder aufflammt. Die Rechtfertigungsnot, in die diese Schüler:innen versetzt werden, ist verletzend. Und wenn sogar das Schulmaterial, auf das sie sich berufen könnten, falsche oder verzerrende Informationen liefert, haben wir ein großes Problem.