Baden-Württembergs ranghöchster Polizist steht wegen sexueller Nötigung vor Gericht

Lotterladen Polizei

Andreas Renner ist der ranghöchste Polizist in Baden-Württemberg. Er steht wegen sexueller Nötigung vor Gericht. Ins Amt kam er unter fragwürdigen Umständen, weil er der Wunschkandidat von Innenminister Thomas Strobl (CDU) war.

Andreas Renner habe »genau das richtige Format für dieses Amt«, bescheinigte ihm Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU), als die ranghöchste Position in der Landespolizei zum 1. November 2020 neu besetzt wurde. Renner wurde zum Inspekteur der Polizei (IdP) ernannt. Zu dessen Aufgabenbereich zählen laut Innenministerium unter anderem das »strategische Controlling, Qualitätsmanagement und die Interne Revision«, er ist also für die innere Aufsicht der Polizei zuständig. Wie Strobl bei der Übergabe der Ernennungsurkunde ausführte, sei Renner »mit seinen 47 Jahren der jüngste Inspekteur in der Geschichte der Polizei Baden-Württemberg und für diese herausragende Stellung bestens geeignet«.

Doch bereits nach zwölf Monaten im Amt wurde der hochgelobte Spitzen­beamte vom Dienst suspendiert. Seit April dieses Jahres muss er sich wegen des Vorwurfs sexueller Nötigung vor Gericht verantworten. Im Landtag Baden-Württembergs durchleuchtet unterdessen ein Untersuchungsausschuss das Verhalten des Innenministeriums in diesem Fall und prüft außerdem die Beförderungspraxis bei der Polizei.

Bemerkenswert war die Geschwindigkeit, mit der Renner insbesondere seit 2017 Karriere machte. In jenem Jahr wurde er an das bereits damals von Strobl geführte Innenministerium berufen und dort zum Stellvertreter des Landeskriminaldirektors ernannt. 2019 folgt die Beförderung zum stellvertretenden Präsidenten des Landeskriminalamts (LKA). Und nur ein Jahr später gelang der Sprung in das höchste Amt, das Baden-Württembergs Polizei zu bieten hat.

Wie aus Zeugenaussagen im derzeit laufenden Untersuchungsausschuss hervorgeht, lag der rasante Aufstieg wohl nicht allein an Renners Eignung. Wichtiger dürfte gewesen sein, dass das von Strobl geführte Innenministerium einen klaren Wunschkandidaten hatte. Das ging so weit, dass potentielle Konkurrent:innen unter anderem von der Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz am Telefon über die Aussichts­losigkeit ihrer Kandidatur informiert wurden, so dass schließlich nur noch ein Bewerber für den dekorierten Posten übrigblieb.

»Jeden wichtigen Vorgang, der über seinen Tisch ging, musste ich noch­mals überprüfen und korrigieren.« LKA-Präsident Ralf Michelfelder über den wegen sexu­eller Nötigung angeklagten Andreas Renner

Bald nach Renners Suspendierung wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelte. Kurz vor Weihnachten 2021 gab es eine Hausdurchsuchung in Renners Privatwohnung. Der Verdacht: sexuelle Nötigung. Der Inspekteur soll eine Kollegin, über deren Beförderung er mitentschied, zu sexuellen Handlungen ­gedrängt haben.
Ebenfalls im Dezember 2021 erschien in den Stuttgarter Nachrichten ein Ar­tikel unter dem Titel »Sexskandal: Suspendierter Polizeiinspekteur lässt vor Schlammschlacht warnen«. In dem Bericht ging es um einen drei Seiten langen Brief, den Renners Anwalt an den Innenminister geschickt hatte und ­der nun der Zeitung vorliege. Darin betonte der bevollmächtigte Jurist, sein Mandant stehe für ein persönliches Gespräch mit Innenminister Strobl bereit, »was vorliegend der Sache eher dienlich sein dürfte und im allgemeinen Interesse zielführender zu sein versprechen vermag, als eine unvermittelte Rechtswegbeschreitung«. Mit anderen Worten: Man muss das ja nicht gleich vor Gericht klären – zu diesem Zeitraum liefen bereits die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen mutmaßlicher sexueller Nötigung.

Dass diese Informationen an die Öffentlichkeit durchdrangen, sorgte für weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, diesmal wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses. Wer könnte das gewesen sein? Etwa ein halbes Jahr später fliegt auf: Innenminister Strobl selbst hatte den Brief an die Zeitung weitergegeben, und zwar um »Transparenz« zu schaffen, wie er später immer wieder sagte. Strobl einigte sich mit der Staatsanwaltschaft darauf, eine Geldauflage in Höhe von 15 000 Euro zu zahlen. Im Gegenzug wurde das Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des Dienst­geheimnisses eingestellt.

Zum Prozess gegen R­enner kam es schließlich im April. Zur Seite stand ihm seine Ehefrau, die oft händchenhaltend mit ­ihrem Gatten den Gerichtssaal ­betrat und dabei mit ­einer Handtasche gesehen wurde, auf deren Band das Motto »Stay Strong« aufgedruckt war. Renner lässt sich unter anderem durch die bekannte Anwältin Ricarda Lang ­vertreten, die früher regelmäßig beim Fernsehrichter ­Alexander Hold auftrat. Gegen den Vorwurf der sexuellen Nötigung verfolgen Renners Anwälte die Strategie, das mutmaßliche Opfer der Lüge zu bezichtigen und die angebliche Promiskuität der heute 34jährigen Kommissarin hervorzuheben.

Gegenstand der Anklage sind Vorgänge am 12. November 2021, die sich in etwa so rekonstruieren lassen: Die Polizeibeamtin war zum Personalgespräch bei Renner geladen, es sollte um ihre Laufbahn gehen. Die Polizistin war zu der Zeit im Auswahlverfahren für den höheren Dienst; Renner war maßgebliches Mitglied einer Beurteilungskommission, die für solche Personalfragen zuständig ist.

Der formelle Arbeitsteil ging in ­kollegiales Beisammensein über, dazu wurde Sekt getrunken, später stieß auch die Landespolizeipräsidentin Hinz dazu, die zu einem Gläschen nicht nein sagte und rückblickend im Untersuchungsausschuss im Landtag zu Protokoll gab: »Vor dem Hintergrund der wirklich weitreichenden Folgen für die Mitarbeiterin habe ich diesen Abend und das, was da passiert ist, sehr oft hinterfragt.«

Die Beamtin und ihr Vorgesetzter landeten gegen Mitternacht in Renners Stammkneipe. Die Aufzeichnung einer Überwachungskamera zeigt, wie die beiden sich dort stundenlang unterhielten und küssten. Später ging der In­spekteur zum Wasserlassen an die freie Luft, die junge Kollegin folgte ihm. Was dann passiert ist, ist strittig, von dort gibt es keine Videoaufzeichnung. Nach der Schilderung der Unterge­benen habe der Chef »meine Hand genommen« und »an seinen Schwanz« geführt. Renner widersprach und sagte in seiner Vernehmung, sie habe von sich aus danach gegriffen. Hier steht Aussage gegen Aussage.

Vor Gericht sagte die Frau, sie sei in den folgenden Tagen den Kontaktver­suchen des Polizeiinspekteurs ausgewichen. Ihrer Schwester schrieb sie eine Nachricht, aus der die Taz zitierte: »Ich war mit dem IdP weg, das war keine gute Idee. Er will mit mir in die Kiste, ich will das definitiv nicht.« Wenige Tage nach dem Vorfall fand ein Videotelefonat zwischen Renner und der ­Polizistin statt, das diese aufzeichnete und das vor Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgespielt wurde. Darin soll nach Angaben der Taz Renner der Frau gesagt haben, dass sie »nur Vorteile hätte, wenn er eine Beziehung mit ihr einginge«.

Seit April wird außerdem gegen Renner wegen Verbreitens pornographischer Inhalte ermittelt. Er soll 2018 einer Frau, die sich gerade im Auswahlprozess für ein Studium an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen befunden habe, Fotos von seinem Penis geschickt haben. Doch zumindest Renners fachliche Eignung galt in der Presse lange als unumstritten – bis der ­ehemalige LKA-Präsident Ralf Michelfelder Mitte Juni als Zeuge im Untersuchungsausschuss aussagte.

Er sei 2019 strikt dagegen gewesen, Renner zu seinem Stellvertreter zu berufen. »Jeden wichtigen Vorgang, der über seinen Tisch ging, musste ich nochmals überprüfen und korrigieren«, sagte Michelfelder. Er habe einen anderen Kandidaten bevorzugt. Die Entscheidung für Renner sei in seinen Augen ein »Sicherheitsrisiko« gewesen. Dass Renner schließlich mit der Bestnote bewertet wurde und kurz darauf zum Inspekteur der Polizei befördert wurde, könne er nicht nachvollziehen. Er sei bei dieser Beurteilung jedenfalls nicht einbezogen worden.

Zudem erhob Michelfelder Vorwürfe gegen den Polizisten und CDU-Landtagsabgeordneten Christian Gehring, den seine Fraktion in den Untersuchungsausschuss entsandt hat. Michelfelder behauptete, es seien falsche Anschuldigungen gegen ihn an die Presse mitgeteilt worden, offenbar um seine Glaubwürdigkeit als Zeuge zu untergraben. Er gehe davon aus, dass dies aus der CDU-Landtagsfraktion geschehen sei, und nannte konkret Gehring als mögliche Quelle. In der nächsten Ausschusssitzung soll nun Gehring als Zeuge vernommen werden.

Die CDU reagierte auf ihre Art auf die Vorwürfe: Einen Tag, nachdem sie bekannt geworden waren, wählte sie Geh­ring zum Vorsitzenden des Arbeits­kreises Inneres in der Landtagsfraktion, der sich unter anderem mit dem Thema Polizei befasst.