Sportjournalisten der »New York Times« fürchten um ihre Jobs

Sportberichterstattung mit unsicherer Zukunft

Durch die Akquise des Online-Publikation »The Athletic« sieht die Sportredaktion der »New York Times« ihre Arbeitsplätze bedroht.

Eine Zeitung ohne Sportressort: Das befürchten 28 bei der New York Times angestellte Sportjournalisten und -journalistinnen, die sich am Wochenende mit einem Brief an die Leitung der Zeitung wandten. Dem Chefredakteur Joseph Kahn und dem Vorstandsvorsitzenden der New York Times Company, Arthur Gregg Sulzberger, machen sie darin nicht unbeträchtliche Vorwürfe. »18 Monate lang hat die New York Times (NYT) ihr Sportteam im Stich gelassen«, heißt es in dem Schreiben, aus dem die Washington Post zitierte. »Wir haben beobachtet, wie das Unternehmen einen Konkurrenten mit Hunderten von Sportjournalisten kaufte und Entscheidungen über die Zukunft der Sportberichterstattung« bei der NYT abgewägt habe, » in vielen Fällen ohne auch nur einen Höflichkeitsanruf, geschweige denn eine Konsul­tation unseres Fachwissens«. Nun bestehe die Gefahr, dass die Zeitung das Ressort faktisch schließen werde.

Vor anderthalb Jahre hatte das Unternehmen The New York Times Company für etwa 550 Millionen US-Dollar die Internet-Sportpublikation The Athletic gekauft. Diese war erst 2016 gegründet worden und hatte sich mit tiefgehenden Analysen und team­bezogener Berichterstattung einen Namen gemacht. Dabei beschränkte man sich nicht auf Artikel über Sportteams der großen US-Ligen – darunter Football, Basketball und Baseball –, sondern widmete sich auch einzelnen europäischen Themengebieten wie dem Fußball in der englischen Premier League. Dazu kommen akribisch recherchierte Investigativreportagen, zum Beispiel 2018 über psychischen Missbrauch und finanzielle Unregelmäßigkeiten beim Basketballteam der Dallas Mavericks sowie 2021 die Aufdeckung von voneinander unabhängigen Fällen des sexuellen Missbrauchs in der Sportabteilung der Louisiana State University und in der National Women’s Soccer League.

The Athletic sollte von Anfang an über ein Abomodell finanziert werden und war einer der Vorreiter dieses Modells im Internet – zwar experimentierten 2016 schon einige Zeitungen mit Paywalls, doch die vorherrschende Meinung im Geschäftsfeld lautete damals, dass Informationen im Internet kostenlos sein müssten, um überhaupt Leser anzulocken.

Die »New York Times« hatte Artikel über Spiele, Events und Teams zugunsten von internationalen Reportagen und Berichten zurückgefahren – wohl auch mit Blick auf die Interessen der zunehmend globalisierten Leserschaft.

Nach der Akquise von The Athletic vor anderthalb Jahren ließen erste Irritationen bei der New York Times-Redaktion nicht lange auf sich warten. Mitarbeiter aus dem Sportressort ­beschwerten sich, dass Redakteure und Autoren von The Athletic unter dem Namen der Zeitung aufträten. Es folgte eine Ansage der Geschäftsführung an alle Mitarbeiter von The Athletic, die sich seither ausschließlich als Beschäftigte der Internet-Zeitung bezeichnen müssen. Zudem musste ein Mitarbeiter ein Posting löschen, das ein Foto von ihm vor dem Bürogebäude der NYT mit der Bildunterschrift »Mein neues Büro« enthielt.

Das Posting war mutmaßlich nicht böse gemeint, denn Redakteure und Autoren von The Athletic begrüßten den Verkauf der Firma und ihrer Publikation an die New York Times mehrheitlich. Viele von ihnen hielten schließlich Anteile an The Athletic, die aufgrund der Akquise ausgezahlt worden waren. Und sahen die Übernahme vermutlich eher als Ergänzung des Sportangebots der Zeitung. Während bei The Athletic die ganze Bandbreite der Sportberichterstattung geboten wurde, hatte man im Sportressort der NYT in den vorangegangen Jahren Artikel über Spiele, Events und Teams immer weiter zugunsten von internationalen Reportagen und Berichten zurückgefahren – wohl auch mit Blick auf die Interessen der zunehmend globalisierten Leserschaft.

Genau das hat aber dazu geführt, dass The Athletic selbst bei den New Yorker Sportteams deutlich näher dran ist als die NYT. Deren Sportressort hat also selbst im Lokalen den Stärken von The Athletic wenig entgegenzusetzen – umgekehrt beherrschen die Athletic-Leute durchaus auch long reads, also lange Reportagen, Hintergründe, investigative Recherchen und Analysen.

Die Sportreporter schrieben in ihrem Brief, dass ihre Zeitung »eine umfassende technologische Migration von The Athletic auf die Plattformen der New York Times« anstrebe, weshalb die Gefahr bestehe, »dass das Unternehmen unsere Abteilung faktisch schließen wird«. Eine erste Stellungnahme eines Zeitungssprechers fiel schwammig aus: »Seit wir The Athletic gekauft haben«, so heißt es darin, seien Gespräche darüber geführt worden, »was das für die Zukunft unserer Sportberichterstattung bedeutet«.

Das klingt planlos, denn eigentlich könnte man von einem renommierten Medienunternehmen erwarten, dass es sich vor einer Übernahme Gedanken darüber macht, was man damit bezweckt. »Wir haben einige Änderungen vorgenommen, zum Beispiel die Einbindung von Sportgeschichten auf den Startbildschirm von nytimes.com«, erläuterte der Sprecher weiter und fügte hinzu: »Wie in jedem Berichterstattungsbereich haben wir genau darüber nachgedacht, wie wir unserem wachsenden Publikum den bestmöglichen Sportjournalismus bieten können.« Man werde sich melden, wenn man mehr zu sagen habe.

Die Zusammenlegung von The Athletic mit der bisherigen Sportredaktion ist wohl ausgeschlossen. Sie würde auch dazu führen, dass das erweiterte Sportressort plötzlich die mitarbeiterstärkste Abteilung der New York Times wäre. Die Integration der Akquise ist dagegen wohl möglich: The Athletic wird zwar immer noch als ­eigenständiges Abo angeboten, für NYT-Abonnenten gibt es das Online-Magazin allerdings kostenlos hinzu – und damit wird auch offensiv geworben. Außerdem werden die Storys von The Athletic über den Twitter-Account der Zeitung genauso promotet wie auf der Hauptseite von deren ­Internetpräsenz. Was aus den konkurrierenden Abteilungen werden soll, bleibt derweil unklar.

Eine Kündigung der Mitarbeiter des Sportressorts wäre gar nicht so einfach, da sie in einer Gewerkschaft organisiert sind und unter einem dieses Jahr ausgehandelten Rahmenvertrag arbeiten, der keine Entlassungen in der NYT-Redaktion erlaubt. Die Mitarbeiter von The Athletic aber haben keine Gewerkschaft.

Sicher ist nur, dass The Athletic unter der Ägide der NYT Verluste macht. 19,4 Millionen US-Dollar sollen es trotz drei Millionen Abonnenten allein in den ersten fünf Monaten nach der Akquise – Februar bis Juni 2022 – gewesen sein. Insgesamt soll es Schätzungen von Experten zufolge mindestens drei Jahre dauern, bis The Athletic profitabel wird.

Ob sich die NYT langfristig zwei Sportredaktionen leisten kann und will, ist nicht bekannt. Dies alles zusammen den zitierten Brief veranlasst.

Darin heißt es unter anderem, dass zwar keinen Beschäftigten im NYT-Sport gekündigt worden sei, für Mitarbeiter, die aus eigenem Antrieb das Sportressort verließen, sei allerdings kein Ersatz eingestellt worden.

Eine Kündigung der Mitarbeiter des Sportressorts wäre gar nicht so einfach, da sie in einer Gewerkschaft organisiert sind und unter einem dieses Jahr ausgehandelten Rahmenvertrag arbeiten, der keine Entlassungen in der NYT-Redaktion erlaubt. Die Mitarbeiter von The Athletic aber haben keine Gewerkschaft. Ein Problem, das in dem Brief auch aufgegriffen wird, denn dadurch habe die Gewerkschaft auch ein Mitspracherecht, wenn Mitarbeiter von The Athletic Aufgaben der eigentlichen Sportredaktion übernehmen sollen, schließlich bestehe die Gefahr, dass dadurch einige Sportarbeitsplätze wegfallen könnten.

Letztlich befürchten die Unterzeichner des Briefs, darunter prominente Baseball- und Football-Schreiber wie Tyler Kepner und Ken Belson und die investigativen Reporterinnen Jenny Vrentas und Juliet Macur, dass das Ende der Sportabteilung der New York Times bevorstehen könnte. Auch wenn das auf die Schnelle nicht so einfach zu machen ist, könnte sich die Geschäftsführung dafür entscheiden, die Abteilung langsam absterben zu lassen.

Ganz so einseitig ist die Sache aber nicht. Bei The Athletic ist es inzwischen zu Entlassungen gekommen. Und alle Pläne, dort das Angebot um die Berichterstattung von Sportligen auf der ganzen Welt oder Neuigkeiten über einzelne US-Teams zu erweitern, wurden mit der Akquise zunächst auf Eis gelegt.