Beim Modelabel Manifiesta in Kolumbien stellen ehemalige Farc-Rebellen Mode mit Botschaft her

Nähmaschine statt Kampfanzug

Für das kolumbianische Modelabel Manifiesta nähen ehemalige Kämpfer:innen der Farc, aber auch Angehörige von Soldaten, die von der Guerilla getötet wurden. Das Projekt soll die Polarisierung überwinden und erzielte einige Achtungserfolge, doch die wirtschaftliche Lage ist schwierig und es fehlt an staatlicher Unterstützung.
Reportage Von

Ángela Herrera denkt pragmatisch. »Für uns ist jedes Event, jede Modenschau, an der wir teilnehmen können, eine Bühne, die wir nutzen – für unser Label, aber auch für das, was dahintersteht«, sagt die junge Frau und setzt sich auf die Fensterbank im ersten Stock der Casa de la Paz. Das Haus des Friedens an der 13. Straße im Stadtviertel Teusaquillo der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá ist so etwas wie ein Vertriebszentrum für alternative Produkte aus rund einem Dutzend Genossenschaften.

Allesamt sind aus kleinen oder auch größeren Gruppen ehemaliger Gue­rilleros und Guerilleras der Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, Farc) hervorgegangen. Nachdem diese 2016 einen Waffenstillstand mit der Regierung geschlossen hatten, mussten die Kämpfer:innen ihren Lebensunterhalt im zivilen Leben verdienen; manche entschieden sich, eigene Geschäftsideen zu realisieren.

Im Haus des Friedens kann man La Roja, ein von ehemaligen Kämpfer:in­nen der Farc gebrautes Bier, trinken oder Miel de la Montaña, Honig aus den Bergen, kaufen. Dort gibt es Rucksäcke und Schulranzen aus der Ko­operative La Montaña – und Mode von Manifiesta.

Das kleine Label hat in den vergangenen drei Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Eine Tochter des Präsidenten Gustavo Petro hat sich mehrfach mit T-Shirts von Manifiesta in der Öffentlichkeit sehen lassen und bei einer Modenschau im Parlament haben die Kreationen aus dem Hause Manifiesta Eindruck hinterlassen. Nicht nur wegen aufgedruckter Slogans wie »Siempre Fashion – Nunca Facha« (Immer Mode – nie Faschistin) oder »Soñar un país en PAZ« (Träumen von einem Land in Frieden), sondern auch, weil das Start-up-Unternehmen mit der ungewöhnlichen Geschichte Mode anbietet, die gesellschaftliche Veränderung anstrebt.

Bei einer Modenschau im Parlament haben die Kreationen aus dem Hause Manifiesta Eindruck hinterlassen, nicht nur wegen Aufdrucken wie »Siempre Fashion – Nunca Facha« (Immer Mode – nie Faschistin).

»Für mich ist unsere Mode ein politischer Akt. Wir engagieren uns für den Frieden, für Versöhnung und für die Zukunft unseres Landes«, so die 28jährige Politikwissenschaftlerin Ángela Herrera. Wie zum Beweis deutet sie auf das Schild, das neben ihr auf der Fensterbank steht: »No + asesinados de líderes sociales« steht darauf, »Keine weiteren Morde an sozialen Anführ­er:innen«. Die T-Shirts tragen klare Botschaften und sind bei Student:innen an den umliegenden Universitäten, den privaten und der öffentlichen Nationalen Universität (Universidad ­Na­cional de Colombia), gut ankommen.

Das Gleiche gilt für die bunten Hemden und Kleider, Jacken und Kimonos, die von ehemaligen Guerilleros und Guerilleras der Farc genäht werden. Wo? »In Icononzo«, antwortet Herrera und deutet auf die Bilder, die die Wände des kleinen Ladens schmücken. Darauf sind diejenigen zu sehen, die für Manifiesta an der Nähmaschine sitzen, am Zuschnitttisch stehen oder die neue Kollektion entwerfen.

»22 Familien sind es derzeit, die in Icononzo produzieren, was wir hier verkaufen. Wir, Sara Arias und ich, waren 2017 als Freiwillige der Nationalen Universität dort im Departamento Tolima, um uns für den Friedensprozess zu engagieren«, erklärt Herrera. In jenem Jahr begann die Entwaffnung der Farc, die engagierten Studentinnen trafen in Tolima eine Gruppe ehema­liger Guerilleros und Guerilleras, die den Kampfanzug ausziehen und sich an die Nähmaschine setzen wollten.

Nähbrigade in der Baracke
»Das passte. Wir in Bogotá sind seitdem für Verkauf und Vertrieb verantwortlich, kümmern uns um Anträge bei staatlichen Behörden, Stoffe und Materialien; Gonzalo und die anderen um die Produktion«, schildert Herrera das Geschäftsmodell. Beide Seiten erhalten 50 Prozent der Gewinne, sofern solche gemacht werden.

Von schwarzen Zahlen ist Manifiesta jedoch noch weit entfernt. Ein Grund dafür sei die Pandemie gewesen, ein anderer die miese Infrastruktur rund um Icononzo und ein weiterer der fehlende Wille der Regierung des bis in den August 2022 regierenden Präsidenten Iván Duque, das Abkommen mit der Farc umzusetzen, kritisiert Juan Perreira, der einst unter dem Namen Gonzalo Beltrán für die Farc kämpfte. Der hagere ehemalige Guerillero ist der Geschäftsführer der Kooperative, die in der Reintegrationszone (ETCR) von Icononzo, rund 130 Kilometer südlich von Bogotá, untergebracht ist.

Auf einem hügeligen, abgelegenen Areal, rund 20 Kilometer von der Kleinstadt Icononzo entfernt, stehen rund drei Dutzend längliche Baracken, teilweise bunt bemalt und nur über eine Schotterpiste zu erreichen. Die kennt Motorradfahrer Gonzalo Beltrán in- und auswendig. Er ist der einzige motorisierte Genosse und folglich ­regelmäßig in der Kleinstadt, um Ware für die Kooperative und hin und wieder auch Besucher:innen abzuholen.

320 ehemalige Guerilleros und Guerilleras der Farc wurden nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags im November 2016 in Icononzo demobilisiert. Seit 2017 versuchen sie ihren Neustart in ein ziviles Leben. Ein Wandbild mit der Parole »Das Leben ist das Weben von Träumen« prangt an der Baracke, wo die Nähbrigade untergebracht ist. Das zeugt vom Optimismus des ersten Jahrs. Doch längst ist die Stimmung gedämpft, denn die Kooperative kommt schlicht nicht so schnell voran, wie es theoretisch möglich wäre.

Labelmitgründerin und Politikwissenschaftlerin Ángela Herrera

Die Labelmitgründerin und Politikwissenschaftlerin Ángela Herrera kümmert sich um Verkauf und Vertrieb im Laden von Manifiesta im Haus des Friedens in Bogotá

Bild:
Knut Henkel

»Uns fehlt die Unterstützung, zu der sich die Regierung eigentlich verpflichtet hat. Wir brauchen Fortbildung, tun uns schwer, eine eigene Kollektion auf die Beine zu stellen, be­nötigen Expertise«, schildert Gonzalo Beltrán das Problem und weist den Weg in die Nähstube. Ein gutes Dutzend Nähmaschinen stehen dort in zwei Reihen, dahinter der große Tisch für die Zuschnitte, an der Wand baumeln die Schnittmuster. Gegenüber steht eine Vitrine mit Garnrollen, dahinter befindet sich das Lager für die Stoffe.

Im hinteren Teil der Baracke stehen zwei Schaufensterpuppen zwischen den Schreibtischen von Beltrán und Designerin Gladys Zapata. Letztere hat Manifiesta auf eigene Rechnung für zunächst ein paar Wochen angestellt, um den Genoss:innen etwas über Schnitte, Entwürfe und Design beizubringen. »Die staatliche Agentur für die Reintegration hat auf unsere Anträge einfach über Jahre nicht reagiert. Was bleibt uns übrig? Wir brauchen eine neue Kollektion, um unsere ersten kleinen Erfolge auch zu bestätigen«, erklärt Beltrán.

Regelmäßig ist er in Bogotá, um auf das Projekt aufmerksam zu machen; besonders erfolgreich sind die Modeschauen. Auf mehr als einem halben Dutzend war Manifiesta bisher präsent und sorgte jedes Mal für Schlagzeilen: erst an der renommierten ­Universidad de los Andes, dann im Parlament und zuletzt mit der Modeshow »Pazarela« – ein Wortspiel aus pasarela (Laufsteg) und paz (Frieden) – auf der Plaza Bolívar, dem zentralen Platz von Bogotá. Da waren mehrere Modemarken, aber auch die Kollegen von Confecciones La Montaña präsent, die Rucksäcke, Taschen und Gepäckstücke für den Alltagsgebrauch produzieren.

Die Polarisierung überwinden
»Alles stand unter dem Motto des Friedens, deshalb Pazarela«, so Beltrán. Der 47jährige Afrokolumbianer hat rund 20 Jahre mit der Waffe bei der Farc gekämpft. Nun organisiert und koordiniert er, steht manchmal mit der Schere am Tisch für die Zuschnitte und ganz selten mal an einer Nähmaschine. Da sitzen die 19jährige María Sánchez, Tochter eines Guerilleros, Designerin Gladys Zapata und zwei weitere Frauen. Sie sprechen Schnittmuster und Stiche durch, während Luis Enrique Bena­vides zuschneidet und Luiz Ramírez Maß nimmt und Stoff für den Zuschnitt markiert.

Zwischen 6.000 und 7.000 Kleidungsstücke sind für das Label Manifiesta 2021 verkauft worden – ein Achtungserfolg. Allerdings stammen nicht alle aus Icononzo, sondern ein paar Hundert auch aus der Werkstatt von Nicolás Galvis in Soacha. Der 34jährige leitet den zu Manifiesta gehörenden Familienbetrieb in der südlich von Bogotá gelegenen Stadt. Die Jacken, Blousons und Jacketts des Jungdesigners hängen nicht nur im Shop im Haus des Friedens, sondern werden auch auf den Modenschauen von Manifiesta präsentiert. Das hat seinen Grund, so Beltrán. »Wir als Kollektiv ehemaliger Guerilleros wollten nicht nur ­einen persönlichen Neubeginn, sondern auch etwas gutmachen, uns mit ehemaligen Gegnern und Opfern versöhnen. Nicolás ist dafür das beste Beispiel«, sagt er und reibt sich über den dünnen Schnurrbart.

Ein Wandbild mit der Parole »Das Leben ist das Weben von Träumen« zeugt vom Optimismus des ersten Jahrs. Doch längst ist die Stimmung gedämpft.

Den Kontakt zu Galvis hat Ángela Herrera über eine Stiftung geknüpft, die Angehörige getöteter Soldaten vertritt. Ein solcher war der 23jährige jüngere Bruder von Nicolás Galvis, David Sebastián Galvis. Er hatte kaum seine Grundausbildung absolviert, als er in die Konfliktregion geschickt wurde. Der junge Soldat geriet im ­Departamento Arauca, damals wie heute eine der gefährlichsten Regionen ­Kolumbiens, mit seiner Einheit in einen Hinterhalt der Farc. Zwölf Soldaten starben.

Unverantwortlich sei dieser Einsatz gewesen, meint Nicolás Galvis. Er ist gar nicht gut auf das Militär zu sprechen. »Wir wurden damals mit unserem Schmerz, unserer Ohnmacht allein gelassen. Heute hilft es mir und meiner Mutter, die andere Seite kennenzulernen, deren Geschichten zu hören. Wir sind alle Opfer eines Konflikts, der dieses Land polarisiert«, sagt der drahtige Mann am Frühstückstisch im Haus des Friedens.

Nähstube in Icononzo

Fuerzas Manufactureras Revolucionarias de Colombia. In der Nähstube in Icononzo produzieren ehemalige Guerilleros der Farc und ihre Familien die Kleidung

Bild:
Knut Henkel

Regelmäßig schaut er dort am Wochenende vorbei, weil er an einer nahegelegenen Universität Kurse in Design belegt und die Pausen nutzt. Meist herrscht dann im Haus des Friedens, wo sich Student:innen der um­liegenden Universitäten für den Wandel in einem polarisierten Land engagieren, Hochbetrieb. Veranstaltungen, Diskussionen, Filme und Lesungen sorgen neben dem Verkauf der Produkte aus den verschiedenen Reintegrationszentren für ein reges Kommen und Gehen.

Anfang mit drei Nähmaschinen
Das verhilft Manifiesta zu Einnahmen. Nicolás Galvis und Ángela Herrera hoffen auf einen weiteren Schub unter der neuen Regierung von Präsident Gustavo Petro, der im August vergangenen Jahres sein Amt antrat. »Gerade weil er anders auftritt, den Gegnern die Hand reicht und einen echten Wandel inklusive sozialer Programme ­anstrebt«, erklärt Galvis mit ruhiger Stimme. Für ihn ist das der einzig sinnvolle Weg, um die Folgen des jahrzehntelangen Bürgerkriegs zu meistern. Der Anruf, den er vor drei Jahren von Ángela Herrera erhielt, sei ein Wendepunkt gewesen. Sie erzählte ihm von den ehemaligen Kämpfer:innen der Farc und ihrem Wunsch nach Versöhnung. Daraufhin fuhr Nicolás Galvis nach Icononzo. »Das war ein ehrlicher Austausch. Wir haben uns unsere Geschichte erzählt. Das ist hart, aber es hilft, und heute sind wir Partner. Wir treten für etwas ein, was es so in Kolumbien kaum ein zweites Mal gibt: eine Modemarke, die für Versöhnung und Frieden steht.«

Ungewöhnlich dabei ist zudem, dass das kleine, aufstrebende Label ganz ohne externe Unterstützung ­begann. 150.000 Peso, umgerechnet rund 33 Euro, legten Ángela Herrera und ihre Freundin Sara Arias auf den Tisch, die gleiche Summe Gonzalo Beltrán und seine Gruppe. Dafür wurde Stoff gekauft und auf drei von einer Gewerkschaft gespendeten Nähmaschinen in Icononzo zu Kimonos ­verarbeitet.

Der Laden von Manifiesta im Haus des Friedens in Bogotá

Der Laden von Manifiesta im Haus des Friedens in Bogotá

Bild:
Knut Henkel

»Das war der Startschuss von Manifiesta, und trotz Pandemie haben wir überlebt«, freut sich Herrera. Sie hat schon wieder Achtungserfolge vorzuweisen. Am 4. Juli eröffnete ein kleiner Manifiesta-Verkaufsstand in einem der größten Einkaufszentren von Bogotá. »Unicentro heißt es, und da verkehrt die konservative Elite des Landes, es sind Anhänger des erzkonservativen ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez«, erklärt sie mit einem stolzen Grinsen. Und Ende Juli steht mit Colombiamoda die größte Modeschau des Landes in Medellín auf dem Programm. Da werden die Genossen aus Icononzo und Soacha mit neuen Entwürfen aufwarten.

Das werde auch Zeit, so Yohana, die Verkäuferin im Shop im Haus des Friedens. »Die letzten drei Monate waren nicht so prall, was die Verkäufe angeht, wir brauchen mehr Absatz«, meint die junge Frau. Das weiß auch Ángela Herrera, die alles für Mani­fiesta in Nebentätigkeit organisiert, denn hauptberuflich arbeitet sie für eine Nichtregierungsorganisation.

Derzeit sucht sie wieder einmal händeringend nach Möglichkeiten, um eine neue Ladung Stoffe in das nur rund 150 Kilometer entfernte Reinte­grationszentrum in Icononzo zu schaffen. Das ist nach wie vor kostspielig wegen der miesen Infrastruktur und steigender Preise. Dabei verwertet ­Manifiesta Stoffe, die in Kolumbiens Textilindustrie nicht mehr verarbeitet werden. »Weil sie für die großen Maschinen zu klein sind, aussortiert und billig verscherbelt werden. Eine Freundin hat die Kontakte«, erklärt Herrera mit einem Lächeln. Diese Nachhaltigkeit passe sehr gut zu Manifiesta.