Das alte neue Fahrrad

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: Das gute alte Fahrrad

Nach einem kleinen selbstverursachten Fahrradunfall, bei dem ich abrupt bremste, meine hängende Kette heraussprang und ich so unglücklich mit dem Fuß umknickte, dass der Asphalt mir den Fußknöchel anschliff, stand mein Entschluss fest: Mein Fahrrad war nicht mehr verkehrstüchtig und musste zur Reparatur. Ich bin handwerklich nicht ungeschickt. Wenn unsere Mischbatterie in der Küche mal wieder durchgerostet ist, dann kaufe ich eine neue, schwinge mich unter die Spüle und wechsele sie aus. »Das hebt meinen Testosteronspiegel enorm«, erkläre ich Julia dann immer stolz. Es ist befriedigend, etwas wieder funktionstüchtig zu machen. Auch mein Fahrrad habe ich bisher immer selbst repariert. Aber jetzt war einfach zu viel kaputt.

Ich schämte mich ein bisschen, als ich zum vereinbarten Termin in den Fahrradladen kam, um mein Fahrrad abzugeben. Neben den glänzenden neuen Fahrrädern sah meins armselig aus. Allerdings war hinter der ­Fassade des rostige Schrottrads noch immer das klassische Design aus der Mitte des 20. Jahrhunderts erkennbar. Es ist eben kein modernes Rad. Die sehen oft aus wie ein Penis. In ihrer Funktionalität drückt sich eine toxische männliche Technikgeilheit aus. Mein Rad dagegen wird immer wieder gelobt, weil es elegant aussieht.

»Ich weiß, es wirkt nicht so, aber ich liebe mein Fahrrad sehr«, sagte ich zu dem Mann hinter dem Tresen. »Ich habe es nicht gut behandelt und jetzt ist es in einem wirklich schlechten Zustand. Dafür habe ich es schon 15 Jahre. Ich fahre es jeden Tag, auch im Winter, und muss es nie irgendwo fest anschließen …« »Das beste Fahrrad ist eines, das nicht gestohlen wird«, antwortete der Mann in meinem Alter, während er schon alles prüfte. »Machen Sie sich keine Sorgen. Mein Alltagsfahrrad sieht genau so aus.« »Der Mann versteht mich«, dachte ich. Gleich fühlte ich mich viel besser. Meine ganze Scham fiel von mir ab. »Die Reparatur wird allerdings nicht ganz billig …«, fügte er hinzu. »Das habe ich mir gedacht«, antworte ich. »Eigentlich funktioniert gar nichts mehr. Gangschaltung, Bremsen, Lichtanlage. Alles kaputt. Ich fahre seit Jahren immer im schwersten Gang, bremse nur mit der Rücktrittbremse und habe Aufstecklicht. Ich hätte auch gern neue Reifen.«

Eine Woche später konnte ich mein Fahrrad abholen. Es war, als hätte ­jemand das gesamte Fahrrad mit einem riesigen Schraubschlüssel richtig festgeschraubt. Alles war perfekt repariert. Nichts wackelte. Die Kette war neu und straff, die Reifen waren so fest und aufgepumpt, als wären sie aus Hartgummi. Ich konnte jetzt bergauf in den ersten Gang schalten. Das Licht funktionierte. Ich hatte ein neues Fahrrad – verkleidet als altes Schrottrad. Das beste Berliner Alltagsfahrrad, das ich mir vorstellen kann. Ich war begeistert! So sieht professionelle Handwerksarbeit aus. Dafür war ich bereit, Geld in die Hand zu nehmen. Und das habe ich: 422 Euro. Viele hätten sich dafür ein neues Fahrrad gekauft. Aber das wäre schäbiger Konsumismus. Nicht nachhaltig. Neue Fahrräder werden gern gestohlen. Ich hatte mein Rad nie zur Inspektion geschickt und nie reparieren lassen. Jetzt hatten sich die Kosten eben einfach summiert. Fair. Außerdem, und das ist das Wichtigste, liebe ich doch mein altes Rad – und so etwas tauscht man nicht einfach aus.