Das neue Album der Berliner Band The Big Five

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: Big Five

»Verdammte Scheiße! Was ist das denn?« rief ich überrascht. Es war Freitagmittag, mein Freund und DJ-Kollege Christopher Rose war gerade vorbeigekommen und hatte »The Bellmer Session«, das neue Album der Berliner Band The Big Five mitgebracht. Wir machten uns einen Kaffee, legten die Scheibe auf den Plattenspieler und lehnten uns gemütlich zurück. Und wurden dann regelrecht aus den Socken gehauen. »Das sind ja richtig gute Songs«, entfuhr es mir. »Stimmt. Schon der erste Song ist mega. Das ist Jack. Der singt super«, meinte Christopher. Wir waren begeistert. Dabei hatten wir die Band schon oft live gesehen und für gut befunden. Jetzt waren wir allerdings wirklich beeindruckt.

Das einschmeichelnde Timbre von Jack Latimer in den Mittelpunkt des ersten Songs zu stellen, ist bemerkenswert. Der Song hat trotz seiner Jazz-Elemente ein Pop-Feeling. Die meisten traditionellen Jazz- und Swing-Bands produzieren und verlegen ihre Alben selbst. Die sortierende Kraft spezialisierter Labels, die kuratieren und produzieren, fehlt ihnen daher. Leider macht dieser Umstand viele Alben schwächer.

In diesem Fall ist jedoch jeder einzelne Song eingängig und tanzbar. Die Leichtigkeit und Spontanität der Live-Sessions ist erhalten geblieben. Die hervorragenden Instrumentalisten haben Gelegenheit zu improvisieren. The Big Five sind eine Small Band, die aus der Andrej Hermlin Big Band hervorgegangen ist. Aus Verzweiflung, Spielfreudigkeit und weil sowieso nichts anders zu tun war, spielte eine kleine Formation während der Pandemie jeden Tag und streamte die Live-Session. Die Eingespieltheit und tightness dieser Zeit sind hier noch zu hören.

Vor einigen Jahren sah ich Andrej Hermlin gelegentlich, wenn er seinen noch minderjährigen Sohn von Jam-Sessions abholte und sich vielleicht sogar selbst noch ans Klavier setzte, in der Villa Neukölln, im Crack Bellmer oder im Freudenzimmer am Mehringdamm.

Die feierwütige Berliner Swingtanzszene ist in den vergangenen Jahren immer enger mit der traditionellen Jazzmusikszene zusammengewachsen. Jeden Dienstag wird zum Beispiel im Crack Bellmer auf dem RAW-Gelände getanzt, oft zu Live-Musik von Berliner Bands wie The Jungle Jazz Band, The Syncopation Society Orchestra, Time Rag Departement und The Toolbox Orchestra. Einmal im Monat findet sogar eine Jam-Session statt, auf der eine wechselnde Zahl kollektiv improvisierender Musiker die Anwesenden zum spontanen Tanzen inspiriert.

Folgerichtig wurde »The Bellmer Session« an eben diesem vom Groove geprägten Ort in nur einer Session aufgenommen. Es ist das beste Berliner Swing-Album seit Jahrzehnten geworden. Es bedient Swing-Puristen, ist aber trotzdem gut. Traditionalismus ist fast immer öde, hier aber sind die Songs wirklich wunderschön, leidenschaftlich und berührend.

Vor einigen Jahren sah ich Andrej Hermlin gelegentlich, wenn er seinen noch minderjährigen Sohn von Jam-Sessions abholte und sich vielleicht sogar selbst noch ans Klavier setzte, in der Villa Neukölln, im Crack Bellmer oder im Freudenzimmer am Mehringdamm. Sein Sohn als Schlagzeuger und Sänger und er als Pianist sind ein fester Teil unserer kleinen, randständigen Traditional-Jazz- und Swingtanzszene.

Zugleich ist Andrej Hermlin als Jazzmusiker schon seit Jahrzehnten im Geschäft. Mit seiner Swing Dance Band, die heute Swing Dance Orchestra heißt, und seiner Familienband, den Swingin’ Hermlins, ist er Teil einer viel größeren Welt, tritt vor allem auf sehr viel größeren Veranstaltungen auf.

So auch am Sonntag, als Andrej Hermlin, selbst jüdischstämmig, zusammen mit seinem Sohn Daniel und seiner Tochter Rachel auf der Kundgebung gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel am Brandenburger Tor vor mehr als 10.000 Menschen auftrat. Tags zuvor hatte er angekündigt, aus der Partei »Die Linke« auszutreten, deren Mitglied er seit 1990 war.

Nach den Terrorangriffen gegen Israel hatte der Parteivorstand der Linken einen Beschluss mit dem Titel »Für ein Ende der Gewalt in Israel und Palästina« gefasst, den er »im Angesicht von über 1.400 ermordeten Jüdinnen und Juden«, so Hermlin, als »politisch falsch und moralisch niederträchtig« bezeichnet, »weil er den Jüdinnen und Juden gewissermaßen eine Mitschuld zuweist an dem, was geschehen ist.« Inzwischen hat der Musiker die Partei verlassen.
 

Albumcover "Bellmer Sessions"