Die Band Oum Shatt und ihr zweites Album »Opt Out«

»Deutschland ist ein bisschen spießig, wenn es um neue Musik geht«

Oum Shatt haben kürzlich mit »Opt Out« ihr zweites Album veröffentlicht und klingen mit ihrem Ansatz, Rockklischees zu umgehen, nun sogar noch geradliniger als auf ihrem Debütalbum aus dem Jahr 2016.

Vorbands haben traditionell keinen leichten Stand. Oft werden sie von erfolgssüchtigen Labelbetreibern ziemlich wahllos ausgesucht und stehen am Ende vor einem undankbaren Publikum, das im besten Falle Interesse suggeriert und schlimmstenfalls das Desinteresse durch laute Gespräche, lange Zigarettenpausen oder demonstrative Barbesuche offensiv nach ­außen kehrt.

Ganz anders war das im Februar 2014 im Leipziger »Conne Island«, als ein stilsicher gekleidetes Quartett, unter anderem mit einem adretten Frontmann (Jonas Poppe) und einem irren und irre guten Drummer (Chris Imler), den Abend für die Berliner Band Ja, Panik eröffnete. Verspielte Rhythmen trafen auf sonderbar erscheinende Harmonien, dazu ein Sänger, der sich mit Charme und Lässigkeit durch das Set croonte. Wie ­beschreibt man das, was da auf der Bühne passierte? Franz Ferdinand auf LSD? Omar Souleyman im Indie-Gewand?

Diese vier Herren nennen sich Oum Shatt. Der erste Teil des Namens ist eine Hommage an die Grande Dame der ägyptischen Musik des 20. Jahrhunderts, Oum Kalthoum (in anderer Transkription: Umm Kulthum), deren Präsenz seinerzeit mit der von Musikern wie Maria Callas oder den Beatles verglichen wurde; der zweite Teil verweist auf einen Ort in der tunesischen Wüste.

»Für mich ist das eigentlich sehr eingängige Popmusik, die wir machen.« Oum Shatt-Frontmann Jonas Poppe

Nachdem 2013 die erste EP »Power to the Women of the Morning Shift« mit dem gleichnamigen Hit für einige Furore innerhalb der Berliner Musikszene gesorgt hatte, folgte drei Jahre später das selbstbetitelte Debütalbum, das mit tollen Songs wie »Tripped Up/Laid Low« oder »Gold to Straw« die bereits hohen Erwartungen noch übertraf. Die Band absolvierte in den Folgejahren mehrere Tourneen, insbesondere im europä­ischen Ausland. Hierzulande schien man hingegen außerhalb der ur­banen Metropolen zuweilen mit der Band zu fremdeln.

Frontmann Jonas Poppe, der Sohn der beiden DDR-Bürgerrechtler Gerd und Ulrike Poppe, ahnt im Interview mit der Jungle World, woran das gelegen haben könnte: »Deutschland ist ein bisschen spießig, wenn es um neue Musik geht. Es gibt mittlerweile haufenweise deutschsprachige Singer-Songwriter-Musik, die wird immer wieder dankend aufgenommen. Aber die Abweichung davon hat es oft ein bisschen schwer.« Erst wenn sich ein Trend in England oder den USA durchgesetzt hat, habe dieser auch hierzulande eine realistische Chance. Dabei kommt ihm die eigene Musik gar nicht so sonderbar vor: »Für mich ist das eigentlich sehr eingängige Popmusik, die wir machen.«

Keine kulturelle Aneignung

Das hat sich auch auf dem Ende Januar erschienenen zweiten Album »Opt Out« (zu Deutsch: nicht mitmachen, sich ausklinken) nicht geändert. Noch immer dominieren Harmonien auf Basis der phrygischen Tonleiter, die den psychedelischen Charakter der Band untermauern und dazu führen, dass dem Sound in ­öffentlichen Besprechungen immer wieder Anlehnungen an arabische oder anatolische Musik nachgesagt wird.

Mit Vorwürfen der kulturellen Aneignung, wie sie sich in den vergangenen Jahren gehäuft haben, sei die Band jedoch zu keinem Zeitpunkt konfrontiert worden, so Poppe. Wäre das anders gewesen, hätte er sich der Diskussion darüber aber gestellt, statt ihr auszuweichen. Denn es sei ja nicht so, »dass wir uns eine fremde Kultur schnappen, sie ausbeuten und damit dann großes Geld verdienen. Deshalb verstehe ich den Einbezug sogenannter orientalischer Harmonien mehr als Hommage denn als Aneignung oder Diebstahl. Es zeigt, dass man andere Sichtweisen mit einbezieht in den Blick auf die Welt.«

Oum Shatt sind Sänger Jonas Poppe (links), Schlagzeuger Chris Imler (rechts), Gitarrist Richard Murphy und Rémi Letournelle

Oum Shatt sind Sänger Jonas Poppe (links), Schlagzeuger Chris Imler (rechts), Gitarrist Richard Murphy und Rémi Letournelle

Bild:
Galya Feierman

Ob die Referenz überhaupt streng musikwissenschaftlichen Standards standhalten würde, weiß auch Poppe nicht. Vielmehr stand am Anfang des Projekts eine bewusste Entscheidung, den konventionellen westlichen Dur-Moll-Dualismus zu durchbrechen und ihn mit hierzulande ungewöhnlich erscheinenden und dennoch eingängigen Melodien zu durchsetzen. Die Band habe dabei immer versucht, typische Rockklischees zu vermeiden. So habe es zum Beispiel kaum Gitarrenakkorde oder verzerrte Gitarren gegeben. Stattdessen dominierten repetitive Gitarrenmelodien, die eher Anleihen an Synthesizer-Loops aufweisen, wie man sie aus der New Wave kennt. Damals, so Poppe, sei es ihnen so erschienen, als seien Oum Shatt eine der wenigen Bands, die einen derartigen Ansatz verfolgen.

So leichtfüßig und spielfreudig die Band auch auf »Opt Out« über weite Strecken wieder klingt: Der Aufnahmeprozess sei dieses Mal deutlich nervenaufreibender gewesen, als es vielleicht den Eindruck macht, sagt Poppe.

Mittlerweile ist das anders. Interkulturelle Musikkonzepte sind zunehmend en vogue, weshalb Oum Shatt auf dem neuen Album die Koordinaten neu justiert haben und im Jahr 2024 deutlich straighter und weniger verspielt daherkommen als noch vor acht Jahren. Das macht bereits der Opener »Off to St. Pete« deutlich, der mit einem ungewohnt treibenden Rhythmus von Drummer Imler beginnt und sich mit einer repetitiven, leicht verschobenen Synthesizer-Melodie in die Hirnwände fräst. Die Vorabsingle »Play!« klingt mit gebrochenen Beats ungewöhnlich düster, während Songs wie »Madame LeSoleil Levant« oder »Sure Cure« mit ihrer reduzierten Rhythmik die Band von einer eher balladesken Seite zeigen.

Mix aus Rock ’n’ Roll und arabischen Referenzen

Ein Mix aus Rock ’n’ Roll und arabischen Referenzen. So beschrieben Oum Shatt ihre Musik einmal selbst

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Galya Feierman

So leichtfüßig und spielfreudig Oum Shatt auch auf »Opt Out« über weite Strecken wieder klingen: Der Aufnahmeprozess, so Poppe, sei dieses Mal deutlich nervenaufreibender gewesen, als es von außen vielleicht den Eindruck mache. Als die Band ihre Songs im Studio eingespielt habe, sei das Ergebnis sei zunächst nicht zufriedenstellend gewesen, so dass das Material überarbeitet und neu eingespielt wurde. Das sei durchaus nichts Ungewöhnliches: »Es ist ein typisches Phänomen von uns, dass wir schlecht vorbereitet sind. Und ich bin als Songwriter generell sehr perfektionistisch, so dass ich oft ein bis zwei Jahre an einem Song arbeite, bis er mir gefällt.«

Der umtriebige Chris Imler

Das sei aber nur ein Grund für die achtjährige Wartezeit nach dem ­Debüt gewesen. Hinzu kam, dass alle Beteiligten noch in diversen anderen Musikprojekten involviert sind. Vor allem Chris Imler ist überaus umtriebig und mit seinem exaltierten, höchst kreativen Stil ein begehrter Drummer innerhalb der Berliner Musikszene. Er trommelte in der Vergangenheit unter anderem auch für Acts wie Peaches, Maximilian Hecker, Golden Showers oder Jens Friebe. Gegenwärtig ist er außer in Oum Shatt noch in der »Haus- und Hofband« des Berliner Labels Staatsakt, nämlich Die Türen, tätig und betreibt darüber hinaus sein nach ihm benanntes Soloprojekt, mit dem er seit 2014 drei ­Alben veröffentlicht und national wie international unzählige Auftritte ­gespielt hat.

Poppe selbst war seit den neunziger Jahren als Frontmann in Berliner Electropunk-Bands wie Kissogram und Sitcom Warriors aktiv, in deren Umfeld er bereits als Teenager den gut 20 Jahre älteren Imler kennenlernte. In den vergangenen Jahren war er zudem als Film- und Theatermusiker tätig.

Vielleicht rührt es auch daher, dass Oum Shatt auf »Opt Out« ein Stück opulenter und mehrdimensionaler klingen als auf ihrem eher sparta­nischen und transparent daherkommenden Vorgänger. Bis zu 80 Spuren habe die Band pro Song übereinandergeschichtet, so Poppe, der darin aber keine Tendenz für die weitere Entwicklung der Band sieht: »Das kann beim nächsten Mal schon wieder ganz anders sein.«

Opt Out Albumcover

Oum Shatt: Opt Out (Wanda Y Records./Border Music/Redeye)