Elke Steding, Ökolandwirtin, im Gespräch über die Bauernproteste

»Die Agrarwende betrifft die gesamte Wertschöpfungskette«

Im Januar blockierten wütende Landwirte deutschlandweit mehrere Tage lang mit Traktoren Autobahnen und städtische Straßen. Anlass waren geplante Sparmaßnahmen der Bundesregierung. Der Höhepunkt der Protestwoche war eine Großdemonstration in Berlin rund um das Brandenburger Tor. Ein Gespräch mit der Biolandwirtin Elke Steding über niedrige Erzeuger:innenpreise, aufwendige Bürokratie und sterbende Höfe.
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Die deutsche Öffentlichkeit ist gerade überrascht, beeindruckt und irritiert von den Bauernprotesten der vergangenen Wochen, die eine hierzulande bislang nicht gekannte Intensität aufweisen (Jungle World 2/2024). Was ist da los?
Die Proteste werden stark vom Deutschen Bauernverband (DBV) forciert. Das geschieht so tatsächlich das erste Mal. Ich habe das Gefühl, der Bauernverband hat jetzt das Demonstrationsrecht für sich entdeckt. Es gab in der Vergangenheit schon Proteste, zum Beispiel von Milchbäuer:innen, die gegen niedrige Milchabnahmepreise und niedrige Verkaufspreise protestierten, hinter denen damals aber der DBV nicht in dieser Form stand. Anlass sind nun die Subventionskürzungen. Von diesen Einsparmaßnahmen sind alle landwirtschaftlichen Betriebe betroffen. Deshalb gehen da auch Bäuer:innen gemeinsam auf die Straße, deren betriebliche Situation sehr unterschiedlich ist. Und als die Bäuer:innen gemerkt haben, dass die Regierung auf ihre Proteste reagiert, wurde das zum Selbstläufer.

»Wir haben die günstigsten Lebensmittel in Europa. Eine starke Lobby der Lebensmittelindustrie stellt sicher, dass das so bleibt.«

Mittlerweile haben die Proteste eine Dynamik, dass viele Betriebe sich angesprochen fühlen, auch wenn deren Hauptproblem nicht vorrangig die Kürzung beim Agrardiesel ist. Weitere wichtige Themen sind der Wettbewerb um Pachtflächen und dadurch teils zu hohe Pachtpreise sowie zu niedrige Erzeuger:innenpreise in verschiedenen Bereichen. Für die Intensität der Proteste spielt aber auch eine wichtige Rolle, dass es jetzt breite Solidarität aus der Bevölkerung gibt. Die war so bisher nicht da, da gab es eher Kritik, beispielsweise an zu wenig Tier- und Naturschutz in der Landwirtschaft.

Woher kommt diese Solidarität?
Zum einen haben Landwirt:innen in den vergangenen Jahren an ihrem Image gearbeitet. Es ist aber vor allem die allgemeine Unzufriedenheit. Alle haben Einschränkungen in den letzten fünf Jahren erlebt, sei es wegen Corona, der Wirtschaftskrise, des Ukraine-Kriegs, gestiegener Strom- oder Heizpreise, Schäden durch Wetterextreme aufgrund des sich verändernden Klimas. Viele Bürger:innen sind unzufriedener als vor fünf Jahren, dass macht es sehr einfach, sich mit diesen Protesten zu solidarisieren.

Von Seiten der Protestierenden wird gesagt, dass die Kürzung der Subventionen für den Agrardiesel das Höfesterben beschleunigt und die Versorgung Deutschlands mit Lebensmitteln gefährdet. Wie sehen Sie das?
Ich denke, die Subventionskürzungen werden das Höfesterben nicht beschleunigen. Das dauert seit Jahrzehnten an und hat sich in den vergangenen 15 Jahren beschleunigt. Vor allem kleine und mittlere Betriebe haben mittlerweile ganz schwere Probleme, am Markt zu existieren, weil sich die Landwirtschaft mehr und mehr zu
Agrarfabriken entwickelt hat. So haben Investoren aus Belgien und Holland vor allem in Ostdeutschland riesige Flächen gekauft und betreiben in großem Maßstab auf Profitmaximierung zielende industrielle Landwirtschaft, das hat mit bäuerlicher Landwirtschaft nichts mehr zu tun.
Die Konkurrenz um Flächen ist enorm gestiegen, seit Betriebe sehr viel Mais für die Biogaserzeugung anbauen. Die haben ganz andere Kalkulationen und können viel höhere Pachten zahlen. Auch die großen Fleischerzeuger:innen brauchen Flächen, um ihre Gülle entsorgen zu können. Dadurch ist ein hoher Druck entstanden. Mittelständische Betriebe können in dieser Konkurrenz die Pachtpreise nicht mehr bezahlen. Gleichzeitig sind viele Subventionen flächenabhängig, das heißt, die eh schon großen Betriebe werden durch die Agrarförderung bevorzugt. Das führt dann oft dazu, dass die Nachkommen von Bauern den Betrieb nicht fortsetzen, weil sie keine Zukunft darin sehen.

Und die Ernährungssicherheit?
Es wäre aus ökologischen Gründen gut, wenn Lebensmittel regional produziert werden. Gemüse ist aber zeitweise in Deutschland kaum noch angebaut worden. Das deutsche Getreide geht zumeist in die Tierfütterung. In den Bäckereien wird australisches und französisches Getreide verwendet, weil hierzulande produziertes Getreide angeblich die notwendigen Qualitätsstandards nicht erfüllt. In der Biobäckerei werden stattdessen die Backprozesse möglichst an die hiesige Getreidequalität angepasst. Unsere Nahrungsmittelversorgung wird durch die Subventionskürzungen nicht lahmgelegt.

Wie geht der Bauernverband mit diesen Widersprüchen in der Landwirtschaft um?
Ich als Biolandwirtin fühle mich bei meinen Problemen vom Bauernverband nicht vertreten. Deswegen sind wir schon früh Mitglied der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) geworden. Seit 14 Jahren veranstalten wir in Berlin die Demonstration »Wir haben es satt!« parallel zur internationalen Landwirtschafts- und Ernährungsmesse Grüne Woche, bei der wir gemeinsam mit Verbraucher:innen- und Umweltorganisationen unsere Forderungen vortragen.

Die da wären?
Dieses Jahr ging es um ein klares Nein zum Gebrauch des Totalherbizids Glyphosat, zu Gentechnik und zu Patenten auf Saatgut, ein Thema, das gerade wieder aktuell ist, weil Regelungen aktualisiert werden. Und natürlich um ein Ende des Höfesterbens, um den Schutz von Artenvielfalt und Klima. Das sind nicht nur Forderungen ökologisch wirtschaftender Bauern, sondern sie ergeben sich aus einer nachhaltigen bäuerlichen Landwirtschaft.

»Die Bürokratie ist tatsächlich ein großes Problem für uns Landwirt:innen. In den vergangenen Jahren ist der diesbezügliche Aufwand enorm gestiegen.«

Wie sollen diese Forderungen realisiert werden?
Die Umsetzung der Forderungen benötigt einen umfassenden Umbau der Landwirtschaft, wir nennen das die Agrarwende. Damit aber mehr Bäuer:in­nen dazu bereit sind, brauchen sie fachliche Beratung, vor allem aber eine umfassende ökonomische Unterstützung durch Politik und Verbraucher:in­nen. Wir haben die günstigsten Lebensmittel in Europa. Eine starke Lobby der Lebensmittelindustrie stellt sicher, dass das so bleibt.
Die Agrarwende betrifft natürlich nicht nur die Landwirtschaft, sie betrifft die gesamte Wertschöpfungskette, auch und gerade die Konsument:in­nen. Ein Beispiel: Unter ökologischen und gesundheitlichen Gesichtspunkten ist unser Fleischkonsum viel zu hoch. Der muss runtergehen, aber die Betriebe müssen weiterexistieren können. Und wir müssen Wege finden, dass das freiwillig geschieht, durch positive Anreize und Sensibilisierung durch die Politik.

Wie sieht es aus mit der praktischen Umsetzung dieser Forderungen?
Dass auch in der Landwirtschaft viel mehr für den Klimaschutz getan werden muss, ist schon vor langem erkannt worden, auch von vielen konventionellen Betrieben. Wir waren schon mal weiter auf dem Weg zur Agrarwende, aber durch die Entwicklung der vergangenen Jahre, vor allem die Steigerung der Preise für Energie und Dünger, die sich verschärfenden globalen Probleme, ist das wieder in weitere Ferne gerückt. Zudem führt die parteipolitische Aufladung der jetzigen Auseinandersetzungen, der Kampf gegen die Grünen in der Bundesregierung, auch dazu, dass umweltpolitische Forderungen diskreditiert werden. Das ist nicht gut.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) bietet den protestierenden Bauern an, als Ausgleich für die wegfallenden Subventionen Bürokratie abzubauen und Standards im Bereich Umwelt- und Tierschutz abzusenken …
Die Bürokratie ist tatsächlich ein großes Problem für uns Landwirt:innen. In den vergangenen Jahren ist der diesbezügliche Aufwand enorm gestiegen. Insbesondere im Zusammenhang mit den EU-Subventionen sind die Anträge mittlerweile sehr kompliziert und die Dokumentationspflichten sehr hoch, jede Flächennutzung, jede Düngergabe muss da aufwendig dokumentiert werden. Kleinere Betriebe können bestimmte Hilfen gar nicht in Anspruch nehmen, weil das so kompliziert geworden ist, dass sie die notwendigen Formalitäten gar nicht neben der tatsächlichen landwirtschaftlichen Arbeit erfüllen können.
Aber niedrigere Standards sind aus meiner Sicht kein Weg, es bräuchte umgekehrt viel mehr Unterstützung für eine nachhaltigere, den Tierschutz im Betrieb und den Artenschutz auf den Flächen berücksichtigende Landwirtschaft. Das müsste viel stärker gefördert werden. Aber in den Protesten gibt es natürlich auch Stimmen, die die Wiederabsenkung solcher Standards fordern.

Bei der großen Demonstration des Bauernverbands am 15. Januar am Brandenburger Tor in Berlin waren auch Mitglieder der AbL präsent. Für wie sinnvoll halten Sie es, sich an den Bauernprotesten zu beteiligen?
Nun, einige Forderungen dieser Proteste überschneiden sich ja durchaus mit unseren Positionen als AbL-Mitglieder. Die Senkung der Subventionen für den Agrardiesel betrifft uns alle. Deswegen gibt es Kolleg:innen, die versuchen, da ihre Position zu artikulieren. Ich persönlich halte es aber nicht für sinnvoll, sich daran zu beteiligen. Es muss sich grundlegend etwas ändern, damit wir es schaffen, die Probleme mit dem Klima, der Umwelt und der Welternährung in den Griff zu bekommen. Bei den derzeitigen Protesten geht es aber meiner Ansicht nach gerade darum, dass alles so bleibt, wie es ist, oder wieder so wird, wie es einmal war; das zeigt der Ruf danach, dass Auflagen im Tier- und Naturschutz zurückgenommen werden. Deshalb sehe ich da nicht die Forderung nach diesen notwendigen Veränderungen einer Agrarwende.

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Biolandwirtin Elke Steding

Biolandwirtin Elke Steding

Bild:
privat

Elke Steding von der Biolandhof Steding betreibt in Niedersachsen in der Nähe von Bremen einen am Gedanken der ökologischen Kreislaufwirtschaft orientierten Direktver­markter:innen-Hof. Sie baut Gemüse, Kartoffeln und Getreide an und hält Hühner und Hähnchen. Als Mitglied der 1980 gegründeten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) ist sie agrar- und umweltpolitisch aktiv. In der AbL sind konventionell und ökologisch
arbeitende Höfe organisiert, die sich für eine sozial- und umweltverträgliche Landwirtschaft einsetzen.