Die Bauern protestieren, obwohl die Bundesregierung ihnen schon entgegengekommen ist

Ein widersprüchliches Milieu

Bauern protestieren gegen den Staat, von dessen Subventionen sie abhängig sind. Dank hoher Lebensmittelpreise erwirtschaftet die Branche derzeit Rekordgewinne, trotzdem kämpfen viele bäuerliche Betriebe ums Überleben.

Als wütende Landwirte vergangene Woche versuchten, eine Fähre in Schlüttsiel (Schleswig-Holstein) zu stürmen, um Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zur Rede zu stellen, war die Bundesregierung ihren Forderungen eigentlich bereits entgegengekommen. Die Kfz-Steuer-Begünstigung für Landwirte soll nun doch bleiben, die Subventionen für den Agrardiesel nur schrittweise abgeschafft werden, hatte die Bundesregierung am selben Tag mitgeteilt. Die Bauern besänftigte das nicht. Die Polizei setzte Pfefferspray ein, um sie aufzuhalten. Die Fähre musste wieder ablegen, mit Habeck an Bord.

Auch die Bauernverbände sind noch nicht zufrieden. Die schon vorher angekündigten bundesweiten Proteste diese Woche fanden trotzdem statt. Am Montag wurden im ganzen Land Straßen und Autobahnen blockiert. In München waren 5.500 Traktoren unterwegs, in Berliner Regierungsviertel mehrere Hundert. Im brandenburgischen Cottbus blockierten Traktoren weiträumig den Verkehr. Die dortige Demonstration mit 2.000 Teilnehmern wurde von der AfD dominiert. In Dresden fand eine Demonstration unter Führung der rechtsextremen Kleinstpartei Freie Sachsen statt, mit Tausenden Teilnehmern.

Der Ton des Protests war durch das Kompromissangebot der Bundesregierung keineswegs gemäßigt worden, im Gegenteil. An verschiedenen Orten waren Darstellungen von Ampeln an Galgen zu sehen – gemeint ist die »Ampel«-Regierungskoalition.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz versuchte, sich als Vertreter der Proteste zu präsentieren. Der Kompromiss der Bundesregierung sei ein »faules Ei«, sagte er bei einer Kundgebung im Sauerland. Dabei hatten Mitte Dezember im Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestages die Abgeordneten der Union – ebenso wie die der AfD – für die Kürzungen gestimmt.

Der durchschnittliche Gewinn eines Haupterwerbsbetriebs ist im Wirtschaftsjahr 2022/2023 um 45 Prozent auf rund 115.000 Euro gestiegen.

Die Kürzungspläne waren Teil des großen Sparpakets, dass die Bundesregierung Ende des Jahres in großer Eile beschlossen hatte, um 2024 die sogenannte Schuldenbremse einzuhalten. Beide Maßnahmen hätten jeweils etwa 450 Millionen Euro eingespart. Das Geld wird jetzt stattdessen bei Projekten für den Meeresschutz und nachhaltiger Fischerei gekürzt, berichtete Table Media.

Die Bauern hatten von Anfang an Unterstützung von rechten wie von linken Kräften erhalten – von der AfD, von Hubert Aiwanger (Freie Wähler), von der CDU/CSU, aber auch von Bodo Ramelow, dem Ministerpräsidenten Thüringens von der Linkspartei in. Sogar die anarchosyndikalistische Gewerkschaft FAU postete den Slogan »Für den Erhalt von Agrardiesel und Kfz-Steuerbefreiung«.

Die Regierung wankte schon, seit im Dezember die ersten Trecker für bundesweite Proteste auffuhren. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) wollte von Anfang an nichts gewusst haben und kritisierte die Kürzungen, die seine eigene Regierungskoalition beschlossen hatte. Ebenso die SPD-Ministerpräsident:innen von Brandenburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki versprach eine »Nachbesserung«, denn man dürfe die Landwirte, die ums Überleben kämpften, nicht über Gebühr belasten.

Zustimmung war lediglich aus den Reihen der Umweltverbände gekommen, etwa von Greenpeace. Der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt unterstützt zwar die Abschaffung der Agrardieselvergünstigung als »Schritt hin zu weniger Treibhausgasen«, nicht aber die der Kfz-Steuerbefreiung. Beides zusammen sei eine »deutliche finanzielle Mehrbelastung« für einen Berufsstand, der »seit Jahren enormen Veränderungsdruck ausgesetzt ist«.

Viele Bauern und Agrarunternehmen verdienen gut

Typisch für Debatten über Landwirtschaft ist, dass pauschal von Bäuer:innen gesprochen wird, die allesamt schwer geplagt seien. Dabei wird leicht vergessen: Viele Bauern und Agrarunternehmen verdienen gut, und sie erhalten enorme staatliche Subventionen. Die Bundesregierung subventioniert die Landwirtschaft jährlich mit rund 2,4 Milliarden Euro; darin enthalten sind die Förderungen für den Agrardiesel und die Befreiung von der Kfz-Steuer.

Noch mehr Geld kommt von der EU. Die Unterstützung der Landwirtschaft macht ein Viertel des Budgets der Europäischen Union aus. Im vergangenen Jahr trugen Subventionen fast die Hälfte zum Einkommen deutscher Landwirte bei, wie im Situationsbericht des Deutschen Bauernverbands nachzulesen ist.

Diesem Report ist auch zu entnehmen, dass die allermeisten Betriebe von den gestiegenen Lebensmittelpreisen profitiert haben. Bereits im Wirtschaftsjahr 2021/2022 gab es kräftige Zugewinne, im Wirtschaftsjahr 2022/2023 habe die Branche ein »Allzeithoch« und »Spitzenergebnisse« erlebt. Der durchschnittliche Gewinn eines Haupt­erwerbsbetriebs sei im Vergleich zum Vorjahr um 45 Prozent auf rund 115.000 Euro gestiegen. Zum Vergleich: laut der Fachzeitschrift Agrarheute würde eine Streichung der Steuervergünstigungen für Agrardiesel einen durchschnittlichen Haupterwerbsbetrieb etwa 3.000 Euro im Jahr kosten.

Solche Durchschnittswerte sagen jedoch wenig über die Lage der einzelnen Betriebe aus. Diese sind sehr unterschiedlich: Es gibt Bauern, die einen anderen Beruf ausüben und nur nebenher einen kleinen Hof betreiben, es gibt Klein­bäuer:innen, Höfe mittlerer Größe, Groß­bäuer:innen und riesige Agrarholdings, die Industrie- und Handelsunternehmen gehören.

Sie haben allerdings eines gemeinsam, ob riesige Agrarfabrik oder kleiner Ökohof: Sie produzieren Waren, die auf Märkten verkauft werden müssen. Gegenüber Lebensmittelindustrie und Einzelhandel, die oligopolistisch strukturiert sind, haben Bauern den Status von Zulieferern und ziehen in Preisverhandlungen oft den Kürzeren.

Konkurrenzdruck wie in allen Bereichen der kapitalistischen Wirtschaft

Die Branche unterliegt dem Konkurrenzdruck wie alle Bereiche der kapitalistischen Wirtschaft. Vor allem kleine Unternehmen kämpfen angesichts kleiner Stückmargen ums Überleben. Subventionen werden allerdings nach dem Gießkannenprinzip verteilt, mit dem Ergebnis: je größer der Betrieb, desto mehr Knete vom Staat und der EU.

Die Konzentration in der Branche schreitet stetig voran. Von 2000 bis 2020 sank die Zahl der Betriebe von über 450.000 auf nur rund 263.000. Der Trend geht zum Großbetrieb. Etwa 3.700 Betriebe gehören Unternehmensgruppen, sie bewirtschaften inzwischen mehr als elf Prozent der Fläche.

Es gibt die Profiteure des Agrarkapitals und wohlhabende Großbäuer:in­nen, die immer mehr Land aufkaufen oder pachten. Und es gibt viele Bäuer:in­nen, deren Betriebe überschuldet sind, mit überlangen Arbeitszeiten und ohne Urlaub. Psychische Erkrankungen, Burn-out und Selbstmorde häufen sich, bilanzierte Isabella Hirsch, stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Bayern, in ihrem Beitrag zum Kritischen Agrarbericht 2023.

Einen Hof aufzugeben, der manchmal seit Generationen einer Familie gehört, fällt vielen schwer. Oft führt diese Entscheidung aber nicht ins Armenhaus, im Gegenteil. Land ist wertvoll und kann verkauft oder verpachtet werden. Der Kaufpreis für Ackerland hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdreifacht.

Angesichts der enormen Subventionen kann leicht vergessen werden, dass in Deutschland weniger als zwei Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft arbeiten.

Angesichts der enormen Subventionen kann leicht vergessen werden, dass in Deutschland weniger als zwei Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft arbeiten. 2020 waren es nur noch knapp unter einer Millionen Menschen, die Zahl sinkt seit langem stetig. Rund die Hälfte davon stellen keine Unternehmer:innen oder deren Familienangehörige dar, sondern Lohnabhängige, von denen wiederum mehr als die Hälfte Saisonarbeiter:in­nen sind, häufig aus Osteuropa, denen oft nicht einmal der Mindestlohn gezahlt wird.

Ein undifferenziertes Mitleid mit »den« Landwirt:innen ist darum fehl am Platz. Naheliegend ist die Forderung der AbL nach einer Obergrenze für Subventionen: Wer mehr als 10.000 Liter im Jahr für Traktoren, Mähdrescher und sonstige Autos verbraucht, soll Steuern zahlen. Das würde kleinen Betrieben helfen. Freilich stellt sich die Frage, ob es – außer Agrarromantik, wie sie besonders unter Großstädtern immer beliebter wird – einen Grund gibt, warum kleine Bauernhöfe den großen Betrieben vorzuziehen wären.

Die extreme Rechte versucht, die Bauernproteste für sich zu nutzen

Unterdessen versucht die extreme Rechte, die Bauernproteste für sich zu nutzen. In einschlägigen Telegram-Kanälen wurde schon von einem »Generalstreik« und »Umsturz« geträumt, der aus den Bauernprotesten entstehen sollte. In Cottbus und Dresden waren am Montag die Proteste rechtsextrem dominiert. Bereits im Dezember tauchten in Stuttgart bei Protesten Banner der Partei »Die Heimat« (früher NPD) auf, der Slogan »Bauern wählen AfD« war zu sehen, ebenso eine schwarze Fahne mit Symbolen der antisemitisch-völkischen Landvolkbewegung aus den 1920er Jahren.

Die große Mehrheit der Landwirte fühlte sich lange Zeit von der CDU/CSU am besten repräsentiert, doch das hat sich geändert. Bei der Bundestagswahl 2021 stimmten laut Forschungsgruppe Wahlen nur noch 45 Prozent für die Union, ein herber Verlust gegenüber 74 Prozent acht Jahre zuvor. Die FDP kam auf 14 Prozent, gefolgt von der SPD mit zwölf und der AfD mit acht Prozent.

Der Zuspruch für die FDP rühre daher, dass diese sich als Partei der Selbständigen präsentiere, was dem Selbstbild vieler Landwirt:innen vom freien Unternehmer entspreche, analysierte der Soziologe Rolf G. Heinze in einem Beitrag für den Kritischen Agrarbericht 2022.

Statt wie die FAU billigen Agrardiesel für alle zu fordern, wäre die Agrarindustrie einer demokratischen Kontrolle zu unterwerfen und planmäßig neu zu strukturieren.

Angesichts der enormen Subventionen ist das zumindest ironisch, aber diese Diskrepanz zwischen Ideologie und Realität teilt der Bauernstand mit anderen bürgerlichen Schichten, die vom Staat profitieren. Heinze diagnostizierte, dass sich viele Landwirt:innen als vom Abstieg bedrohte Gruppe sehen, als gesellschaftlich isoliert und nicht richtig anerkannt.

Das politische Bewusstsein der Bauern ist also keineswegs nur von ökonomischen Sorgen geprägt, sondern ebenso von diffusen Statusängsten. Wie der Rest des Kleinbürgertums sind sie damit eine leichte Beute für faschistische Parteien, die dem Bauernstand als Quelle völkischen Lebens schmeicheln. An der Regierung würden die Rechtsextremen das Höfesterben natürlich auch nicht aufhalten. Denn dieses liegt im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf begründet – im Kapitalismus also.

Zwar machen Bäuer:innen hierzulande nur noch einen kleinen Teil der Bevölkerung aus, dennoch ist Landwirtschaft aus sozialistisch-ökologischer Perspektive von zentraler Bedeutung. Schließlich geht es um die Produktion von Nahrung und die Bewirtschaftung eines Großteils der Umwelt. Statt wie die FAU billigen Agrardiesel für alle zu fordern, wäre die Agrarindustrie einer demokratischen Kontrolle zu unterwerfen und planmäßig neu zu strukturieren. Das würde es ermöglichen, die ökologische Verwüstung und die Tierquälerei der kapitalistischen Landwirtschaft abzumildern. Und Bauern könnten ihrem Beruf nachgehen, ohne sich im ständigen Konkurrenzkampf aufzureiben.