In Belarus gab es landesweit ­Razzien bei Unterstützern politisch Verfolgter

Wahlkampf auf Belarussisch

In Belarus sind zahlreiche Angehörige von politischen Gefangenen und andere Personen festgenommen worden. Der Anlass soll ihre Kooperation mit einer Hilfsorganisation sein.

In der letzten Januarwoche führte der belarussische Sicherheitsapparat eine konzertierte Aktion durch, wie es sie in der von Diktator Aleksandr Lukaschenko über bald drei Jahrzehnte hinweg autoritär geführten Republik länger nicht mehr gegeben hat. Allein am 23. Januar nahmen Polizeikräfte etliche Dutzend Menschen fest. Innerhalb von zwei Tagen stieg deren Zahl auf über 200, wie das in Belarus wegen »Extremismus« verbotene Menschenrechtszentrum Wjasna mitteilte. In Brest an der Grenze zu Polen landeten über 70 Personen in Gewahrsam, hauptsächlich Frauen. Bei einem erheblichen Teil der Festgenommenen handelt es sich um Angehörige politischer Ge­fangener.

Seit den Massenprotesten im Zuge der Präsidentschaftswahlen von 2020 hat die politische Repression in Belarus ein immenses Ausmaß erreicht. Tausende Strafverfahren wurden eingeleitet, derzeit führt Wjasna 1.427 Namen von Belaruss:innen auf, denen aus politischen Gründen der Prozess gemacht wurde und die sich gegenwärtig in Haft befinden. Hunderttausende Staatsan­gehörige haben Belarus seither verlassen. Im Land Gebliebene mit einer kri­tischen Einstellung zum Regime sehen sich aus Angst vor Strafverfolgung gezwungen, äußerste Vorsicht walten zu lassen, doch ein Risiko besteht für sie dennoch.

Der Beginn der Festnahmen im großen Stil begann genau eine Woche, nachdem die Initiative »INeedHelpBY« in das Register »extremistischer Zusammenhänge« eingetragen worden war. Bei den Vernehmungen wurde nach Kenntnis von Wjasna immer wieder die Frage gestellt, ob die Betroffenen Hilfsleistungen von INeedHelpBY erhalten hätten. Eigentlich handelt es sich bei der Initiative nur um ein loses Netzwerk, das jene unterstützen soll, die aufgrund ihrer politischen Haltung in Not geraten, beispielsweise weil sie ihre Arbeit verloren haben, eine Haftstrafe absitzen oder eine beträchtliche Geldbuße entrichten mussten. Per Telegram-Bot nimmt INeedHelpBY Anfragen und Hilfsangebote entgegen und stellt direkte Kontakte zwischen Bedürftigen und Unterstützenden her. Dabei fließt kein Geld, vielmehr erhalten Familien Lebensmittel für einen Zeitraum von zwei Wochen.

Immer wieder gibt es Meldungen, dass die Polizei Regime­kri­ti­ker:in­­­nen zu Hause aufsucht und sie dazu nötigt, mit ihrer Unterschrift zu bestätigen, nicht gegen die öffent­liche Ordnung zu verstoßen.

Weil sich die Zielgruppe des Projekts als regimekritisch einordnen lässt, soll offenbar selbst diese grundlegende Form von Solidarität mit Menschen in existentieller Not unterbunden werden. Für viele der Festgenommen gab es bislang keine weiteren Konsequenzen, aber manche wurde zu administrativen Haftstrafen verurteilt, andere wurden gegen Auflagen freigelassen. In einigen Fällen laufen Strafverfahren wegen Zugehörigkeit zu extremistischen Gruppen und der Finanzierung extremistischer Tätigkeiten. In der Hauptstadt Minsk weisen seit kurzem große Hinweisschilder explizit darauf hin, dass für letzteres Vergehen Haftstrafen von drei bis acht Jahren drohen. Und dazu gibt es noch den zynisch anmutenden Satz als Zugabe: »Wer gerne spendet, trägt auch gerne die Verantwortung.«

Besuch von der Polizei erhielt unter anderem die Mutter von Anna Tuko­waja aus Polazk. Im September 2022 war die junge Frau bei einer öffentlichen Vorführung jugendlicher Mitglieder eines Wehrsportclubs mit erhobenen Armen und zum Victory-Zeichen gespreizten Fingern aus dem Publikum herausgetreten – eine klare Geste des Widerstands, die auf die Gebärden früherer Proteste verweist. Sie erhielt eine Geldstrafe. Die bekannteste unter den jüngst Festgenommenen ist Marina Adamowitsch, die derzeit einen 15tägigen Arrest wegen Vandalismus absitzt. Sie ist die Ehefrau von Nikolaj Statkewitsch, dem wohl profiliertesten Oppositionspolitiker in Belarus und Präsidentschaftskandidaten bei der Wahl 2010.

Auch damals war es zu Protesten gekommen. Anschließend wurde Statkewitsch zu einer sechsjährigen Haftstrafe wegen »Aufruhr gegen die Staatsgewalt« verurteilt, kam jedoch per Amnestie 2015 vorzeitig wieder auf freien Fuß. Doch da er seither als vorbestraft gilt, ­erhielt er zur Präsidentschaftswahl 2020 keine ­Zulassung. Deshalb unterstützte er die Kandidatur von Swetlana Tichanowskaja, die nach Ansicht der ­Opposition die eigentliche Wahlsiegerin war und seither vom litauischen Exil aus agiert.

Im Mai 2020 wurde Statkewitsch auf der Straße aufgegriffen und später ­wegen Organisierung von Massenunruhen zu 14 Jahren Freiheitsentzug unter verschärften Haftbedingungen verurteilt. Telefonanrufe, Empfang von Besuchen und der Erhalt von Lebensmittelpaketen sind ihm untersagt, Medikamente werden nicht übergeben, selbst sein Anwalt erhält keinen Zugang mehr zu seinem Mandanten. Seit Fe­bruar 2023 gibt es zum 67jährigen Statkewitsch keinerlei Kontakt mehr. Es dringen lediglich Gerüchte durch, die besagen, er sei nicht mehr am Leben. Das Nachrichtenportal Charter 97 zitierte im November einen namentlich nicht genannten Mitarbeiter der belarussischen Strafvollzugsbehörde mit den Worten, dass das Fehlen von Informationen über einen solch langen ­Zeitraum ein Zeichen dafür sein könne, dass Statkewitsch verstorben sei, das aber geheim gehalten werden solle.

Adamowitsch hielt all das nicht davon ab, weiterhin Pakete zu schicken, Informationen über ihren Mann einzufordern und Beschwerden an die Behörden zu verfassen. Aufgrund ihrer Hartnäckigkeit ist sie für Angehörige politischer Gefangener zu einer Symbolfigur geworden. Deshalb vermuten ­Oppositionelle, ihre Verhaftung sei ein Racheakt der Behörden. Damit sollen wohl auch andere Familien davon abgehalten werden, mit Menschenrechts­organisationen und Oppositionsmedien über die Situation der Gefangenen zu sprechen.

In der Bevölkerung hält sich das Interesse an dem schalen Spektakel in Grenzen.

Gleichzeitig verlängerte Lukaschenko bis Ende 2024 die Arbeit einer speziellen »Rückkehrkommission«, die darauf abzielt, ins Ausland ausgereiste belarussische Staatsangehörige zur Rückkehr zu bewegen, selbst wenn in Belarus Vorwürfe gegen sie vorliegen. Die Kommission entscheidet dann dar­über, ob eventuelle Anklagen in Strafverfahren abgemildert oder diese sogar beendet werden. Immer wieder gibt es auch Meldungen, dass die Polizei amtlich bekannte Regimekritiker:innen zu Hause aufsucht und sie dazu nötigt, mit ihrer Unterschrift zu bestätigen, nicht gegen die öffentliche Ordnung zu verstoßen. Außerdem verschickt der Sicherheitsapparat schriftliche Verwarnungen mit der Forderung, die Mitgliedschaft in bestimmten Telegram-Chatgruppen sofort aufzukündigen und auch sonst im Internet keine »ex­tremistischen Inhalte« zu lesen.

Die Abschreckung und Bevormundung der Bevölkerung dienenden Vorgängen steht in Zusammenhang mit den anstehenden Wahlen. Am 25. Fe­bruar dürfen die Wahlberechtigten nämlich die 110 Abgeordneten des parlamentarischen Unterhauses neu wählen, zugleich finden auch Regional- und Kommunalwahlen statt. Anfang April bestimmen die neugewählten Regionalvertretungen 56 der 64 Mit­glieder des neuen Oberhauses, die übrigen werden vom Präsidenten ernannt. In vielen Ländern wäre das ein Ereignis von bedeutender Tragweite, in Belarus hingegen ist es eine überreglementierte Formalität, die keine Überraschungen zulässt, genau genommen eine Farce.

Gesetze wurden vorsorglich so zurechtgestutzt, dass Oppositionsparteien grundsätzlich keine Chance auf eine Zulassung haben. Nach einer vorgeschriebenen Neuregistrierung blieben von 15 Parteien nur noch vier übrig – allesamt bis ins Mark regimetreu, egal ob sie unter dem Label Kommunistische, Liberal-Demokratische oder Republikanische Partei der Arbeit und Gerechtigkeit auftreten. Dazu kommt die bis 2023 noch als gesellschaftliche Vereinigung auftretende Belaja Rus (Weiße Rus) zur Unterstützung Lukaschenkos. Wahlwerbung im klassischen Sinne braucht es da gar nicht erst. In der Bevölkerung hält sich das Interesse an dem schalen Spektakel in Grenzen. Beschäftigte im umfänglichen staatlichen Sektor werden, davon ist auszugehen, ohnehin angehalten, im Sinne der Regierung wählen zu gehen. Eine Stimmabgabe bei belarussischen Auslandsvertretungen ist nicht vorgesehen, eine unabhängige Wahlbeobachtung ebenfalls nicht.