Die Serie »Die Discounter« überzeugt mit schrägem Humor

Schauplatz Supermarkt: Alle dürfen Scheiße bauen

Die Mockumentary-Serie »Die Discounter« zeigt den Supermarkt als Spiegelbild einer orientierungslos gewordenen spätkapitalistischen Gesellschaft.

Als die Serie »Die Discounter« über den fiktiven Supermarkt »Feinkost Kolinski« vor gut drei Jahren bei Amazon Prime Video startete, wurde sie auf Anhieb viel beachtet. Nach nur einer Staffel galten Thorsten, Pina, Flora und Peter ihren Fans als Kult, »Die Discounter« hielt sich monatelang in den Streaming-Charts von Prime Video, es folgten zwei weitere Staffeln; die dritte ist seit November 2023 zu streamen.

»Die Discounter« hatte etwas Neues, Frisches, Anarchisches, das man so lange nicht gesehen hatte, nicht auf dem Streaming-Markt und schon gar nicht in einer deutschen (Serien-)Produktion. Einzigartig und originell wirkte der auf den ersten Blick politisch unkorrekte Humor, spürbar waren der jugendliche Esprit und die sprudelnde Kreativität der Schöpfer, liebenswert der zur Fremdscham einladende Charme der Besetzung.

Das Format war neu, insbesondere in der ersten Staffel: Folgen, die aufhörten, wenn sie eben fertig waren, selbst wenn das nur zehn Minuten Länge ergab. Die Machart ist ungewohnt, es ist eine Mischung aus Skript und ausgedehnter Improvisation.

Der Erfolg ist überraschend, auf den zweiten Blick aber vielleicht auch doch nicht so sehr: »Die Discounter« steht in der Tradition bekannter (deutscher) Mockumentary-Formate wie »Stromberg« und lässt eine Verwandtschaft mit dem typischen Humor ihres Produzenten Christian Ulmen erkennen, der den Witz dort findet, wo es unangenehm wird.

Sie stellt aber doch auch ein Unikat unter den derzeitig laufenden deutschen Serien dar. Das Format war neu, insbesondere in der ersten Staffel: Folgen, die aufhörten, wenn sie eben fertig waren, selbst wenn das nur zehn Minuten Länge ergab. Die Machart ist ungewohnt, es ist eine Mischung aus Skript und ausgedehnter Improvisation, in die die Darsteller:innen viel von sich einbringen können.

Daraus entsteht die eigenwillige Sprache, die die Dialoge kennzeichnet: eine Mischung aus bildungsfernem Jugend-Slang, Hipster-Sprache und Eigenheiten der jeweiligen Darsteller:innen. Kombiniert mit den branchenspezifischen Begriffen des Einzelhandels, die sich die Macher durch Praktika und Recherche in Supermärkten aneignen konnten.

Die Protagonist:innen der Serie als postmodernes Neoproletariat

Eine Entdeckung war das junge Regie-Trio aus den Zwillingen Oskar und Emil Belton und Bruno Alexander, die auch als Darsteller mitwirken und zudem seit 2023 ihre eigene Serie, »Intimate«, produzieren, obwohl sie erst 24 Jahre alt sind. Produktionserfahrung hatten sie zunächst mit einer selbstproduzierten Web-Serie gesammelt, bevor Ulmen mit einer Idee an sie herantrat. Zwei Monate später stand man am Set und aus der Idee wurde »Die Discounter«.

Der Schauplatz und das Milieu, die hier abbildet werden, waren und sind einzigartig für eine Serienproduktion. Welche bekannte Sendung gibt es sonst noch, die den (Arbeits-)Alltag des Supermarktpersonals behandeln? Wobei auch innovativ ist, wie die Belegschaft dieser heruntergekommenen Kolinski-Filiale in Hamburg-Altona dargestellt wird.

Man könnte die Protagonist:innen der Serie als postmodernes Neoproletariat bezeichnen, als Teil einer orientierungslos gewordenen spätkapitalistischen Gesellschaft, der die einende Erzählung vom »Wohlstand für alle, die sich etwas anstrengen«, abhanden gekommen ist. Die Protagonist:innen schweißt ihre Perspektivlosigkeit zusammen und sie machen das Beste aus dem, was sie nicht haben. Und das macht Spaß – den Figuren, den Schauspieler:innen und dem Publikum.

Die Serie wirkt wie eine seltsam empathische Feldstudie

Der erzählerische Ton der Serie kommt eben nicht klischeebehaftet oder überheblich daher, sondern zeichnet sich stets durch große Sympathie für deren flawed characters aus. Es wird nicht von oben herab geurteilt, vielmehr wirkt die Serie wie eine seltsam empathische Feldstudie, eine teilnehmende Beobachtung, in die die drei Macher auch viel von sich selbst hineingeschrieben haben, wie sie in Interviews schildern. Das betrifft allerdings weniger das gezeigte Milieu als vielmehr Beobachtungen aus ihrem eigenen Alltag, die sich im seltsam schrägen Humor der Serie offenbaren.

Die Belegschaft besteht aus höchst unterschiedlichen Persönlichkeiten. Die Unterschiede der ethnischen Herkunft, der sexuellen Orientierung und des Alters spielen im Arbeitsalltag keine besondere Rolle, was auch eine subtile politische Stellungnahme ist. Wichtiger sind die individuellen Geschichten der Figuren, aus denen sich divergierende Haltungen und Zukunftsentwürfe ergeben. Die Serie macht nicht den Fehler, ihre Protagonist:innen auf die Rolle als Supermarktmitar­beiter:innen zu reduzieren.

Titus beispielsweise (Bruno Alexander) hat Abitur, er ist klug und,wie alle wissen, zu Höherem bestimmt. In Staffel 3 will er in eine bessere Filiale wechseln, die ihm entsprechende Aufstiegschancen bietet. Er bleibt aber schließlich doch, weil er in Lia (Marie Bloching) verliebt ist. Flora, gespielt von der Musikerin Nura, sieht sich eigentlich als Rapperin, hat aber in der Kolinski-Belegschaft eine kaputte Ersatzfamilie gefunden.

Und die pflichtbewusste Pina (Klara Lange) zeigt alle Fähigkeiten einer künftigen Filialleiterin oder Managerin, als Problem erweist sich aber ihr überschießendes Pflichtbewusstsein. Sie wird als feministische Vorkämpferin gezeichnet, die sich in ihrem Umfeld glaubhaft für ihre Kolleginnen und für progressive Anliegen einsetzen will, dabei aber an der Igno­ranz und dem Widerstand der anderen scheitert.

Die Protagonist:innen schweißt ihre Perspektivlosigkeit zusammen und sie machen das Beste aus dem, was sie nicht haben.

In Interviews geben die Macher an, dass es ihnen in erster Linie um Unterhaltung gehe, aber »gesellschaftskritische Botschaften« und ihnen wichtige Themen auf subtile Art und Weise in die Serie eingewoben würden. Die Wichtigkeit starker Frauenfiguren müsse nicht ständig hervorgehoben werden, sie ergebe sich aus dem Schauspiel und der besonderen Persönlichkeit der Darstellerinnen, so die Beltons und Alexander. Und die Gleichheit aller Figuren ergibt sich auch daraus, dass alle gleichermaßen Scheiße bauen dürfen: die Typen ebenso wie die Mädels, die Jungen wie die Alten.

Dazu passt auch der Umgang mit dem homosexuellen Jonas (Merlin Sandmeyer): Er ist eine Witzfigur, schräg, völlig absurd, manchmal lächerlich, manchmal bemitleidenswert und dabei trotzdem liebenswert. Und vor allem: Seine Homosexualität hat damit nichts zu tun, sie dient nie als Aufhänger für seine Schrulligkeit, die seine Kolleg:innen und das Publikum amüsiert.

Der Serie gelingt damit ein seltenes Kunststück: über den Umweg eines auf den ersten Blick (politisch) sehr »unkorrekten« Humors so etwas wie Toleranz und Gleichheit herzustellen. »Mit starken Frauenfiguren meinen wir eben nicht, dass Frauen auch stark sind. Sondern unsere Frauenrollen sollen genauso verkacken wie die Männer, genauso witzig sein können«, sagt Bruno Alexander im Interview. Wenn vor den Augen des Publikums alle gleich »schlecht« sind, sind sie eben auch gleich. Für eine deutsche Serie ist das umso außergewöhnlicher, als sich deutscher Humor in der Regel nicht unbedingt durch Subversion oder Komplexität auszeichnet.

»Die Discounter« kann bei Amazon Prime Video gestreamt werden.