28.03.2024
Thailands größter Oppositionspartei droht ein Verbot

Politiksperre für die Reformer

In Thailand droht der größten Oppositionspartei Move Forward ein Verbot, weil sie für die Änderung eines umstrittenen Strafrechtsartikels eintritt.

Manila. Erneut steht Thailands demokratisches System vor einer schweren Erschütterung. Nicht nur anderthalb Dutzend Staatsstreiche und Putschversuche haben dem Königreich – zuletzt 2006 und 2014 – seit dem Zweiten Weltkrieg zu schaffen gemacht. Auch Parteienverbote sorgten schon mehrfach für Turbulenzen. Ein solches droht nun der linksliberalen Phak Kao Klai, international besser bekannt als Move Forward Party (MFP), die als klarer Sieger der Parlamentswahl im Mai 2023 hervorgegangen ist.

Mit ihren Bestrebungen, den umstrittenen Artikel 112 im Strafrecht zu reformieren, der Beleidigung des Monarchen oder der Monarchie (Majestätsbeleidigung) verbietet, hat die Partei das erzkonservative Establishment gegen sich aufgebracht. Nach einem Urteil der Verfassungsrichter im Januar, das die MFP bereits anwies, jegliche weiteren Kampagnen in der Sache zu unterlassen, hat die Wahlkommission nun beim selben Gericht die Auflösung der Partei beantragt. Begründung: Die MFP untergrabe die konstitutionelle Monarchie. Derzeit deutet fast alles dar­auf hin, dass die höchste juristische ­Instanz dem folgen könnte.

Die MFP überholte bei den Wahlen die zuvor in Umfragen führende Oppositionspartei Pheu Thai (PT) und wurde überraschend stärkste Kraft. Vor allem junge Leute hatten sie gewählt – die MFP gilt als Stimme der studentisch dominierten Demokratiebewegung. Bei von Jugendlichen angeführten Demonstrationen in den Jahren 2020 und 2021 gingen Zehntausende gegen die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten General Prayut Chan-o-cha auf die Straße, dessen Militärjunta 2014 gegen die damalige demokratische Regierung geputscht hatte, und viele forderten eine Änderung der strengen Gesetze gegen Majestätsbeleidigung.

Überraschend wäre eine Verbotsverfügung nicht. Seit 2006 wurden neun Parteien mit unterschiedlichen Begründungen verboten.

Allerdings verhinderte der mit Prayuts konservativen Gefolgsleuten besetzte Senat, das Oberhaus der Nationalversammlung, dass der vormalige MFP-Vorsitzende Pita Limjaroenrat, der bis heute höchste Popularität genießt, zum Ministerpräsidenten einer liberalen Koalition aus MFP, PT und sechs kleineren Parteien gewählt wurde. Stattdessen führt seit August die PT eine Regierungskoalition ohne die MFP an, dafür mit Pro-Junta-Parteien. Pita trat im September als MFP-Vorsitzender zurück, ist aber Mitglied des Repräsentantenhauses, des Unterhauses des Zweikammerparlaments.

Im Januar wurde der 30jährige Ak­tivist Mongkol Thirakot zu 50 Jahren Haft wegen Majestätsbeleidigung verurteilt – das bisher höchste Strafmaß für solche Vergehen. Ein Berufungsgericht hatte den Online-Händler aus Chiang Rai elf zusätzlicher Anklagepunkte für schuldig befunden und den 28 Jahren aus der ersten Instanz noch 22 Jahre weitere hinzugefügt. Dieses Strafmaß sei, hieß es, wegen Kooperation mit der Justiz bereits um ein Drittel reduziert – eigentlich hätten die zusätzlichen Verfehlungen 33 weitere Jahre ergeben.

Thirakot hatte sich bereits früher mit einem Hungerstreik für politische Gefangene eingesetzt und war erstmals 2021 bei einem Protest für deren Freilassung verhaftet worden. Seine Strafe übertraf sogar noch jene 43,5 Jahre Haft, die im Januar 2021 gegen Anchan P. verhängt worden waren. Die Straßenhändlerin und frühere Staatsangestellte hatte in den sozialen Medien Clips einer Satireshow geteilt, die als monarchiekritisch galten. Das Gericht hatte die zunächst 87 Jahre (je drei Jahre für 29 Einzeldelikte) im Urteil halbiert.

Schon seinerzeit forderte Amnesty International eindringlich eine Reform der Anwendung des umstrittenen Gesetzes, das missbraucht werde, um freie Meinungsäußerung einzuschränken. Auch der Thai Enquirer schrieb: »Die Rückkehr von Artikel 112 bedeutet einen Anstieg der royalistischen Hexenjagden«, als das Gesetz im November 2020 nach mehr als zweijähriger Pause wieder in Kraft gesetzt wurde. Allein 262 Anklagen gab es der Bangkok Post zufolge seither, mit Stand vom Jahresende 2023.

Die MFP forderte nicht gleich eine Streichung von Artikel 112, sondern vorrangig, dass nur noch das Königshaus Klage einreichen kann. Der häufige Missbrauch rührt daher, dass nach geltender Fassung jeder einen anderen beschuldigen kann. Das Verfassungsgericht wies Ende Januar aber auch diesen Vorschlag zurück. Es dürfe nicht sein, dass das Königshaus direkt in juristische Verfahren gegen Einzelpersonen verstrickt werde.

Außer der Anordnung, weitere Kampagnen für eine Reform zu unterlassen, hatte das Urteil zunächst keinen unmittelbaren Effekt auf die MFP. Die Justiz hätte es bei dieser Warnung be­lassen können, doch erwartungsgemäß prüfte die Wahlkommission auf dieser Grundlage, ob eine Auflösung der MFP angemessen sei. Zu diesem Schluss ist sie – einstimmig, wie es heißt – mit ihrem nun eingereichten Verbotsantrag gekommen. Eigentlich wollte das Verfassungsgericht am 20. März mitteilen, ob es den Fall annehme. Die Richter forderten aber erst noch weitere Dokumente an. Das Gericht sieht die Anschuldigungen einer »Gefährdung der Monarchie« demnach als zumindest prüfenswert an.

Die südostasiatische Menschenrechtsvereinigung Fortify Rights forderte am 20. März ein Ende der Diffamierungen. Im Fall eines MFP-Verbots solle die internationale Gemeinschaft davon Abstand nehmen, Thailand in den UN-Menschenrechtsrat zu wählen, wie das Land es für 2025 anstrebt. Überraschend wäre eine Verbotsverfügung nicht. Seit 2006 wurden neun Parteien mit unterschiedlichen Begründungen verboten, darunter im Februar 2020 die MFP-Vorgängerin Future Forward, genauso wie 2008 die Vorläuferpartei der PT, die People Power Party.

Die Führung der MFP will ein Verbot unbedingt verhindern. Ein solches könnte nur der Anfang sein, denn auch die PT hatte sich vor der Wahl, wenngleich vorsichtiger, für eine Reform des Artikels 112 ausgesprochen. Außer weiteren Parteiverboten könnte führenden Vertretern von Regierung und Opposition auch eine zehnjährige Politiksperre drohen.