In Kenia gab es landesweit Massenproteste gegen Steuererhöhungen

Jung, online, wütend

In Kenia gab es landesweit Massenproteste gegen neue Steuern und die Regierung. Die Polizei ging hart gegen die vornehmlich jungen Demonstranten vor.

Nairobi. Nach einer Reihe von Protesten in ganz Kenia Ende Juni ist eine Sache klar: Online-Aktivismus, der hauptsächlich von der Generation Z betrieben wird, hat sich in dem ostafrikanischen Staat fest etabliert. Vor den Protesten am 25. Juni, bei denen Hunderttausende kenianischer Jugendlicher auf die Straßen von mehr als 30 Städten gingen, um ihre Unzufriedenheit mit dem umstritten »Finance Bill 2024« zu zeigen, fand die Planung hauptsächlich auf Social-Media-Plattformen wie X und Tiktok statt.

Der Gesetzesentwurf sieht vor, durch die Einführung neuer Steuern zusätzliche 346 Milliarden Kenia-Schilling (umgerechnet 2,5 Milliarden Euro) zu beschaffen, um den Staatshaushalt zu entlasten. Anfang Juni hatte der Internationale Währungsfonds eine vorläu­fige Vereinbarung mit der kenianischen Regierung über die Auszahlung von Darlehen getroffen, in der diese aufgefordert wurde, ihre Einnahmen zu ­erhöhen. Allein Kenias Zinszahlungen verschlingen mehr als ein Drittel der jährlichen Staatseinnahmen. Die Regierung hatte geplant, mit Steuererhöhungen die Last auf die Bevölkerung abzuwälzen. Der Schritt hätte zu einem Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel wie Brot, Zucker und Speiseöl sowie der Kosten für mobile Geldtransaktionen und Internetdienste geführt, was die Ärmsten unverhältnismäßig stark getroffen hätte. Die hohen Lebenshaltungskosten im Land hatten bereits 2023 zu Protesten geführt.

Immer mehr Parlamentarier, die für die Steuererhöhung gestimmt hat­­ten, haben sich öffentlich entschuldigt.

Über die Hashtags #RejectFinanceBill2024, #OccupyParliament und ­#TotalShutdownKE mobilisierten junge Online-Aktivisten ihre Altersgenossen, um gegen das geplante Gesetz zu protestieren. Die Aktivisten druckten T-Shirts und Plakate im internetaffinen Jargon und erinnerten die Demons­tranten daran, mit Wasserflaschen und Taschentüchern zu den Protesten zu kommen, um sich gegen die Auswirkungen von Tränengas zu wappnen, das im Land häufig gegen Demonstranten eingesetzt wird. Tausende von überwiegend jungen Menschen gingen auf die Straße, um das Parlament davon abzuhalten, das Gesetz zu verabschieden. Kenia ist ein junges Land: Über 75 Prozent seiner 54 Millionen Einwohner sind unter 35 Jahre alt und ein Großteil davon ist arbeitslos.

Präsident William Ruto drohte mit harten Repressalien, bezeichnete die Proteste als »verräterisch« und die Teilnehmer als »Kriminelle« und wies die Sicherheitskräfte an, »alle Maßnahmen zu ergreifen«. Die Proteste eskalierten, als die Polizei Tränengas und scharfe Munition auf die Demonstranten abfeuerte. In der Hauptstadt Nairobi wurden Regierungsgebäude in Brand gesteckt. Während knapp zwei Drittel der Abgeordneten an diesem Tag für das Gesetz stimmten, durchbrachen die jungen Demonstranten schließlich die Absperrungen rund um den Parlamentssitz und drangen in das Gebäude ein.

Unter dem Druck der ­Situation und in dem Bemühen, die Spannungen zu entschärfen, zog Ruto am 26. Juni den eigentlich bereits verabschiedeten Gesetzentwurf zurück und verkündete, dass er einen Dialog mit der kenianischen Jugend aufnehmen und an Haushaltskürzungen arbeiten werde.
Die Aktivisten wollten nun die Abgeordneten, die für den umstrittenen ­Gesetzentwurf gestimmt hatten, zur Rechenschaft ziehen. Unter dem Motto »asalimiwe« (gegrüßt werden) wurden kenianische Abgeordnete online angegriffen oder sie bekamen Textnachrichten geschickt, in denen sie aufgefordert werden, solche Gesetzentwürfe zukünftig abzulehnen.

Die jungen Protestierenden werden von weiten Teilen der Gesellschaft unterstützt, darunter auch Kirchen, die einen Kern von Rutos politischer Basis bilden; Ruto hatte vor den Wahlen 2022, die ihn an die Macht brachten, Kenya Kwanza (Kenia zuerst), eine breite und heterogene politische Allianz, geformt.
Vor allem der Online-Aktivist Mwabili Mwagodi, ein Tourismusmanager aus Mombasa, hat sich dafür eingesetzt, dass auch die Wut auf Kirchen steigt, die Gottesdienste als Spendenveranstaltungen führender Politiker abhalten. Er hat eine Kampagne ins Leben gerufen, in deren Rahmen er Pastoren und Bischöfe direkt per SMS oder Anruf auffordert, kenianische Politiker von ­ihren Veranstaltungen auszuschließen. Mwagodis Mobilisierung unter den Hashtags #OccupyChurches und #CleanTheAltar hat bereits zur Absage geplanter Spendenaktionen des Vizepräsidenten Rigathi Gachagua und der First Lady Rachel Ruto in Kirchen geführt. Kenianer informieren Mwagodi über geplante Spendenaktionen in Kirchen im ganzen Land. In Kenia ist die große Mehrheit christlich und vor allem in protestantischen Kirchen organisiert.

Mittlerweile haben sich immer mehr Parlamentarier, die für das Gesetz gestimmt hatten, öffentlich entschuldigt. Ruto hat die Gründung einer Art Interessenvertretung für Jugendbelange vorgeschlagen, das National Multi-Sectoral Forum. Es soll aus 100 Mitgliedern bestehen, die wiederum alle landesweit agierenden Jugendorganisationen vertreten sollen. Der Vorschlag stieß ­jedoch auf Skepsis. Ein Gegenvorschlag lautete, dass der Präsident sich auf X mit Jugendlichen austauschen solle, die in jüngster Zeit stellvertretend für viele Altersgenossen ihre Frustration über eine Regierung äußerten, die sie als verschwenderisch, inkompetent und arrogant betrachten.

Seit Jahren gehören die Abgeordneten des kenianischen Zweikammerparlaments zu den bestbezahlten der Welt und stellen ihren Reichtum auch gern zur Schau. Im umstrittenen Gesetzentwurf waren auch hohe Summen für die Renovierung der Präsidentenresidenz und andere extravagante Ausgaben vorgesehen. Wie die Nachrichtenseite Nation Africa im Februar 2023 berichtete, sind in den fünf Jahren zuvor die Gehälter der Abgeordneten stetig gestiegen, während die von Arbeitern in den unteren Lohngruppen sich kaum verändert haben.

Auch Kenias Gesundheitswesen ist chronisch unterbesetzt und unterfinanziert. Die Ärzte haben im April landesweit gestreikt, um ausstehende ­Gehälter und die Ausbildung von mehr Ärzten einzufordern.

Die kenianischen Jugendlichen haben also allen Grund, sich politisch zu engagieren. Diese Generation ist mit dem Internet aufgewachsen und verfügt über eine gute Bildung, um ihre Wut öffentlich und in den sozialen Medien zu artikulieren. Allerdings ist das nicht eben ungefährlich in einem Land wie Kenia. Einige prominente Mitglieder der Protestbewegung gelten als entführt und vermisst. Das brutale Vor­gehen der Polizei gegen die friedlich begonnenen Demonstrationen forderte letztlich 23 Tote und rund 300 Verletzte.