Mittwoch, 26.07.2017 / 12:52 Uhr

Brief aus dem Gefängnis

Von
Aus dem Netz

Deniz Yücel schreibt aus dem Gefängnis:

Türkei-Korrespondent müsste man jetzt sein. Womöglich müsste man den nach dem „Gerechtigkeitsmarsch“ des Oppositionsführers Kemal Kilicdaroglu und der Verfassungsabstimmung wohlverdienten Urlaub abbrechen, aber das wäre es wert. Man dürfte, ja müsste die Zeitung oder den Sender vollklatschen mit Berichten, Analysen und Kommentaren.

Man müsste erläutern, warum es der türkischen Wirtschaft nicht halb so gut geht, wie die teils aufgeblähte, teils erschummelte amtliche Wachstumszahl von fünf Prozent vielleicht vermuten lässt.

Zugleich müsste man erörtern, welche der Maßnahmen, die nun im Raum stehen, sachdienlich sind (Antwort: fast alle, dazu das Thema Kredite) und welche nicht (Antwort: Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der EU, denn das ist genau das, was die türkische Staatsführung möchte: ein Ende der als lästig und – zu Recht – verlogen empfundenen Verhandlungen, das man aber aus Rücksicht auf internationale Investoren nicht selber herbeiführen will).

Natürlich müsste man die Reaktionen der türkischen Seite betrachten, und zwar nicht auf Grundlage der gekürzten englischsprachigen Übersetzungen, die Nachrichtenagenturen wie Anadolu oder Reuters liefern, sondern anhand des vollständigen Originalwortlautes. Man müsste herausarbeiten, dass diese Reaktionen viel verhaltener ausfallen als das Nazi-Hitler-Getöse vom Frühjahr.

Insbesondere müsste man auf die Beteuerungen eingehen, dass der Bericht der „Zeit“ über Ermittlungen gegen deutsche Unternehmen nicht stimme und die deutschen Firmen in der Türkei geschützt seien. Nicht übersehen dürfte man dabei die Bemerkung des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci, wonach die Ankündigungen der Bundesregierung nur heiße Luft seien, weil in einer liberalen Wirtschaftsordnung keine Regierung den Unternehmen vorschreiben könne, in welchem Land sie investieren.

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