Montag, 04.12.2017 / 21:15 Uhr

'Man hätte den IS viel früher gehen lassen müssen'

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Aus dem Netz

Die taz hat Abdulaziz Alhamza von der Organisation "Raqqa is being slaughtered silently" über die Lage in Raqqa interviewt:

taz: Herr Alhamza, gut drei Jahre hat das vom „Islamischen Staat“ ausgerufene Kalifat überdauert. Im Oktober haben die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), ein Bündnis aus kurdischen, sunnitisch-arabischen und assyrischen Milizen, das zur IS-Hauptstadt deklarierte syrische Rakka zurück erobert. Ist Rakka jetzt frei?

Abdalaziz Alhamza: Nein: 90 Prozent der Gebäude in Rakka sind zerstört, Tausende Zivilisten sind gestorben. Wer überlebt hat, hat Freunde und Familie verloren. So hatten wir uns die Befreiung nicht vorgestellt.

Raqqa is being slaughtered silently (RBSS) hat bisher vor allem die Verbrechen des IS dokumentiert. Was bedeutet die Vertreibung des IS für Ihre Arbeit?

Wir arbeiten weiter wie bisher. Der IS ist weg, aber wir haben jetzt eine neue Gruppe in der Stadt, die Menschenrechtsverletzungen begeht: die SDF.

Die kurdisch-dominierte SDF sind keine religiösen Fanatiker.

Aber auch sie begehen Verbrechen, außer uns berichtet nur kaum jemand darüber: sie brennen Häuser nieder, vertreiben Menschen aus ihren Wohnungen, die oft eh nur noch Ruinen sind. Zivilisten werden willkürlich festgenommen, Kinder werden gezwungen, sich der Armee anzuschließen. Kinder, die ihr Leben lang nie etwas anderes gesehen haben als Besatzung, wurden erst vom IS zwangsrekrutiert, jetzt sollen sie für die SDF gegen den IS kämpfen.

In Deutschland werden die SDF als Befreier gefeiert. Beweise, dass die SDF so brutal morden wie der IS, gibt es bisher nicht.

Aber auch sie scheren sich nicht um Menschenrechte. Das zeigen unsere Aufnahmen und Berichte. Rakka wird nicht frei sein, bevor nicht die Bürger von Rakka die Macht übernehmen.

Die BBC hat gerade berichtet, dass US-Militärs und die Kurden hochrangigen IS-Leuten freies Geleit aus Rakka gewährt haben. Bestätigen das Ihre Recherchen?

Ja, wir hatten schon vor der BBC darüber getwittert. Nur finde ich, dass dieses Abkommen viel früher hätte greifen müssen. Es macht mich sauer, das sie den IS so spät haben ­gehen lassen. Hätten die Militärs dem IS gleich zu Beginn ihrer Offensive auf Rakka freies Geleit gegeben, hätten Tausende Zivilisten gerettet werden können. Aber nein, man hat zugesehen, wie der IS wochenlang Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt hat, wie er sie an die Kanonen verfüttert hat. Das zeigt, dass die Zivilisten der internationalen Gemeinschaft egal sind.