Dienstag, 20.11.2018 / 10:09 Uhr

Angst als Waffe gegen Meinungsfreiheit

Von
Amed Sherwan

Anders als viele Kriegsflüchtlinge habe ich mir Deutschland nicht nur ausgesucht, um hier in Sicherheit leben zu können. Deutschland macht mich glücklich und bedeutet für mich Freiheit. Denn solange ich niemandem damit schade, kann ich hier glauben, denken und sagen, was ich will, ohne dafür mit Repressionen rechnen zu müssen. Oder doch nicht?

Konservative Muslime empfanden meine Schilderungen als islamfeindlich.

Anfangs war ich allerdings gar nicht in der Lage, meine Meinung zu formulieren. Ich sprach etwas Englisch, musste mir deutsche Sprachkenntnisse aber erstmal mühsam erarbeiten. Und auch sonst bot mir das neue Leben viele Hürden und Probleme. Ich war einsam, hatte furchtbares Heimweh und litt unter Alpträumen. Für meine Fluchtgründe interessierte sich kaum jemand und ich hatte ganz andere Sorgen, als politisch oder journalistisch aktiv zu sein. Erst zwei Jahre später machte ich im Rahmen eines Schulpraktikums erste Erfahrungen damit. Ich interviewte einen schwulen Freund aus dem Irak für die Lokalzeitung, mein Anleiter half mir mit dem Aufbau und der Rechtschreibung und ich konnte stolz meinen allerersten eigenen Artikel präsentieren.

'Atheismus als Fluchtgrund'

Ich hatte die schlimmsten Sprachbarrieren inzwischen überwunden und viele Freunde gefunden. Deutschland war meine neue Heimat geworden und ich hatte einen Bereich gefunden, wo ich beitragen konnte. Mit meinem muslimischen Hintergrund auf der einen und meiner Begeisterung für die westliche Kultur auf der anderen Seite würde ich Welten öffnen können. Genau sowas hatte ich mir immer erträumt. Deshalb meldete ich mich natürlich sofort, als ein lokales Flüchtlingsmagazin gegründet wurde. Unter der Überschrift „Atheismus als Fluchtgrund“ schilderte ich meine Erlebnisse in Irakisch-Kurdistan und meine Freude darüber, nun in einem Land mit Meinungs- und Religionsfreiheit zu leben.

Doch wie die Ironie des Schicksals es wollte, erlebte ich mit diesem Artikel die Grenzen eben dieser Meinungsfreiheit. Konservative Muslime empfanden meine Schilderungen als islamfeindlich. Dabei hatten sie den Artikel offensichtlich gar nicht wirklich gelesen. In den darauffolgenden Auseinandersetzungen erhielt ich Morddrohungen, wurde ausgegrenzt und verlor viele Freundschaften. Ich war zutiefst schockiert darüber, dass mir sowas mitten in Deutschland passieren konnte.

Nicht den Mund verbieten lassen

Das Erlebnis veränderte mich. Ich war nicht aus dem Irak geflüchtet, um mir wieder von konservativen Muslimen den Mund verbieten zu lassen. Auf Facebook hatte ich schon im Irak geschrieben und natürlich auch in meinen Anfangsjahren in Deutschland, erst auf Kurdisch und dann auf Englisch. Aber seit meinem Praktikum wusste ich, wie meine Texte auch auf Deutsch funktionieren konnten. Statt meines Anleiters stand mir nun meine Freundin zur Seite. Ich verfasste Skizzen auf einer Mischung aus Englisch, Deutsch, Autokorrektur und Voicenachrichten, sie machte den sprachlichen Feinschliff. Dass wir dabei oft unterschiedlicher Meinungen waren, machte den Prozess nur interessanter und meine eigene Argumentation besser.

Rechtsextremen drohen mir, der Welt schon noch zeigen zu werden, dass ich genauso ein krimineller Schmarotzer bin wie alle anderen Flüchtlinge.

Ich konnte mich endlich selber zu Wort melden und meine Erfahrungen einem breiteren Publikum zugänglich machen. Ich wehrte mich gegen die Anfeindungen aus der muslimischen Exilcommunity und erhielt dafür viel Zuspruch aus islamkritischen Kreisen. Mein flüchtlingssolidarischer Freundeskreis hatte hingegen große Sorge, ich könne mit meiner Kritik zum Islamhass anstacheln. Aber auch von ihnen wollte ich mir nicht untersagen lassen, die Sachen so darzustellen, wie ich sie nun mal erlebt hatte.

'Allah is gay'

Ich wollte die Islamkritik nicht den Rechtspopulisten überlassen, die selber genau die Werte propagierten, die sie im Islam kritisierten.  Ohne meine Islamkritik aufzugeben, distanzierte ich mich daher genau so deutlich von Muslimenhass und Rassismus. Die Idee, mit der Aktion „Allah is gay“ auf dem CSD in Berlin für mehr Toleranz im Islam zu werben und gleichzeitig die Vielfalt im muslimischen Kulturkreis zu zeigen, entstand ganz spontan aus diesen Gedanken heraus.

Aber kaum hatte ich meine Aktion angekündigt, trudelten die Morddrohungen fantastischer Muslime bei mir rein. Sie hatten sich nicht die Mühe gemacht, die Idee hinter der Aktion zu verstehen, sondern sich einfach von Schlüsselwörtern reizen lassen. Das Szenario war mehr als bedrohlich, aber glücklicherweise ging alles gut. Ich erhielt nicht nur großen Zuspruch aus unterschiedlichsten Kreisen, ich konnte die Aktionen mit Personenschutz durchführen. Im Irak wäre ich für diese Aktion vermutlich gestorben, hier wurde mein Recht auf freie Meinungsäußerung von der Polizei geschützt. Ja, das war Meinungsfreiheit!

Erfolg ist gefährlich

Seither gebe ich viele Interviews, nehme an Veranstaltungen teil, mache Videos und schreibe weiter Beiträge über Religionskritik, Rassismus, Flucht und Alltagserfahrungen. Ich bin kein wissenschaftlicher Experte, aber ich kann als ganz normaler Geflüchteter mit Perspektiven beitragen, die manchmal im Diskurs fehlen. Und ich erlebe an der positiven Resonanz, dass mein Blick auf die Dinge einen Wert hat und Brücken bauen kann.

Mich haben weder Gefängnis, Folter, Ächtung, Flucht oder Morddrohungen davon abgehalten, meine Meinung öffentlich zu sagen.

Doch Erfolg ist gefährlich. Seitdem meine Beiträge auch von größeren Onlinemagazinen geteilt werden, werde ich von Hassnachrichten regelrecht überschwemmt und auf in allen Social-Media-Portalen beschimpft. Einige Rechtsextreme mit vielen tausenden Followern machen aktiv Stimmung gegen mich. Neue Hassnachrichten erscheinen gerade im Minutentakt im Netz und fordern Gleichgesinnte dazu auf, meine Beiträge zu kommentieren. Die Hasskommentare beziehen sich kaum auf die Inhalte meiner Beiträge, die viele der Kommentatoren offensichtlich gar nicht gelesen haben, sondern ziehen mich als Person und mein Privatleben durch den Schmutz. Unterstützung kriegen die Rechten interessanterweise von einigen (Ex-)Muslimen, die mich als „Schande für dein Volk“ bezeichnen.

Facebook Account gesperrt

Doch damit nicht genug, die Rechtsextremen drohen mir, der Welt schon noch zeigen zu werden, dass ich genauso ein krimineller Schmarotzer bin wie alle anderen Flüchtlinge. Sie haben meine Profile durchgesucht, aber augenscheinlich nichts Belastendes gefunden und dann einen ganz absurden Weg gewählt: Um auf den wachsenden Antisemitismus hinzuweisen, habe ich vor einiger Zeit ein Bild von einer Situation gepostet, wo ein jüdischer Bäcker in den USA eine empfangene Hassnachricht mit einem Hakenkreuz zeigt. Mit Verweis auf dieses Symbol, ist es ihnen offensichtlich gelungen, meinen Facebook-Account für 30 Tage zu sperren. Damit ist mir nicht nur mein wichtigster privater Kommunikationskanal genommen worden, sondern auch mein zentralstes öffentliches Sprachrohr.

Während ich im Irak im Gefängnis saß, gelang es mir über Freunde, weiter auf Facebook zu posten und ein Unterstützungsnetzwerk aufzubauen. Als mich Islamisten in Deutschland bedrohten, konnte ich mich über Facebook dagegen wehren und mir Hilfe organisieren. Aber jetzt, wo mich Rechtsextreme angreifen, ist meine Facebook-Account der Onlineattacke hilflos ausgeliefert. Das macht mir große Sorgen.

Immer wieder berufen sich gerade Rechtsextreme auf das Recht auf Meinungsfreiheit. Aber wenn ihnen die Inhalte nicht passen, ist ihnen offensichtlich kein Mittel zu krass, um anderen die Freiheit zu nehmen. Sie bringen die Meinungsfreiheit in Deutschland damit aus meiner Sicht ernsthaft in Gefahr. Aber mich haben weder Gefängnis, Folter, Ächtung, Flucht oder Morddrohungen davon abgehalten, meine Meinung öffentlich zu sagen. Und natürlich werden mich auch Rechtsextreme davon nicht abhalten.

Dieser Beitrag ist auch in der Huffington Post erschienen.