Sonntag, 18.11.2018 / 20:21 Uhr

Die Fakten und der Syrienkrieg

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Aus dem Netz

In der taz setzt sich Kristin Helberg in einem lesenswerten Essay über die Berichtersttatung des Syrienkonflites auseinander:

Je differenzierter die Analyse, desto anstrengender die Lektüre. Deswegen verkaufen sich einfache Erklärungen besser, vor allem, wenn sie selbstkritisch – also antiwestlich – daherkommen. Der Krieg in Syrien wird dann wahlweise auf einen westlichen Regimewechsel, einen geplatzten Pipelinedeal oder eine Anti-Iran-Intervention reduziert.

Syrer tauchen in diesen geostrategischen Planspielen um Geheimdienstdokumente und Rohstoffe bezeichnenderweise kaum auf – zumindest nicht als Handelnde, höchstens als Opfer von Missbrauch und Manipulation. Dadurch machen sich ihre Verfechter ausgerechnet das zu eigen, was sie kritisieren: eine zutiefst paternalistische Sichtweise. Als wären Syrer ohne die CIA nicht in der Lage, gegen ein Unrechtsregime aufzustehen.

Manche Pseudolinke haben den syrischen Konflikt so an ihr ideologisiertes Weltbild angepasst, dass sich eine „demokratisch legitimierte syrische Regierung“ gegen „westlichen Imperialismus zur Wehr setzt“.

Vor allem Linke und Friedensbewegte greifen die Thesen von Regimewechsel und Pipelines gern auf, weil sie in ihr Jahrzehnte altes Denkschema von „Gut“ (antikapitalistischer Osten) und „Böse“ (rohstoffgieriger imperialistischer Westen) passen. Dabei finden sich besonders unsoziale Auswüchse eines entfesselten Kapitalismus inzwischen in Russland und China, Syrien steht für Neoliberalismus und Nepotismus in Reinform.

Außerdem gibt es in der internationalen Politik grundsätzlich keine Guten und Bösen, sondern nur Interessen. Außenpolitisch verfolgt jeder Staatsführer die Belange des eigenen Landes oder der eigenen Klientel – ob Donald Trump oder Kim Jong Un, Angela Merkel oder Wladimir Putin. Eine moralische Überlegenheit ergibt sich höchstens aus der Wahl der Mittel zur Durchsetzung dieser Interessen, da diese internationales Völkerrecht berücksichtigen müssen, was sie – auf allen Seiten – selten genug tun.

Trotzdem gibt es in Syrien Gute und Böse, denn bei menschlichem Handeln gelten sehr wohl moralische Standards. Ein Arzt, der Medikamente in ein abgeriegeltes Gebiet schmuggelt, tut Gutes, ein Söldner, der sich an einem Checkpoint persönlich bereichert, nicht. Geheimdienstchefs, die sadistische Folter in ihren Haftzentren als legitimes Mittel der Einschüchterung betrachten, sind nach menschlichem (nicht westlichem) Verständnis ziemlich böse.

Genauso wie Rebellenführer, die ihr Bedürfnis nach Rache an gefangenen Soldaten ausleben. Ein unbewaffneter junger Mann, der für Freiheit demonstriert, ist besser als der Soldat, der auf ihn schießt, oder sein Vorgesetzter, der ihn dazu zwingt.

Diesen moralischen Kompass drohen wir in Syrien zu verlieren, wenn wir vorgeben, nichts zu wissen, weil alle Seiten nur versuchten, mit Manipulation und Inszenierung unsere Wahrnehmung zu beeinflussen. Am Ende verwechseln wir Verbrecher und Leidtragende und erweisen damit jenen Wahrheitsverweigerern einen Dienst, die jedes Gerücht im Internet dankbar aufgreifen, um das Regime Assads vom Täter zum Opfer zu machen.

Manche Pseudolinke haben den syrischen Konflikt so an ihr ideologisiertes Weltbild angepasst, dass sich eine „demokratisch legitimierte syrische Regierung“ gegen „westlichen Imperialismus zur Wehr setzt“.