Montag, 12.11.2018 / 12:17 Uhr

Jugendliche Islamisten in kurdischen Gefängnissen

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Aus dem Netz

Judith Neurink berichtet über inhaftierte jugendliche IS-Kämpfer in Irakisch-Kurdistan und macht wenig Hoffnung:

In den drei Jahren Krieg gegen den "Islamischen Staat" wurden rund 20.000 Männer und Jugendliche wegen Verbindungen zu der Terrorgruppe verhaftet und in kurdischen oder irakischen Gefängnissen inhaftiert. Wie viele Minderjährige darunter sind, ist nicht ganz klar, die Statistiken sind unvollständig. Gefängnisbesuche von Journalisten und Beobachtern sind selten und Kameras, Handys oder Aufnahmegeräte gänzlich verboten.

Aus Sicht dieser Jugendlichen werde sich die Welt erst dann zum Guten wenden, wenn sie zu "wahren Muslimen" werden.

Soviel ist klar: Im irakischen Kurdengebiet sitzen mehr als hundert Minderjährige in Gefängnissen. Im März 2017 befragte die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" (HRW) 150 inhaftierte Unter-Achtzehnjährige. Inzwischen dürfte diese Zahl vermutlich höher liegen, da der Krieg erst drei Monate später endete. Unlängst berichtete das HRW, dass irakische Richter zwischen vier- bis fünfhundert Minderjährige zu teilweise langen Gefängnisstrafen verurteilt hatten, darunter auch Ausländer. 

Die Schnellprozesse irakischer Gerichte gegen ausländische IS-Kämpfer, stießen bislang auf großes mediales Interesse. Nicht so sehr die Verfahren gegen einheimische Jugendliche, die sich im IS-Netz verfangen hatten. Die Überlebenden und später Gefassten unter ihnen ließen sich in drei Kategorien unterteilen, erzählt der Gefängnis-Sozialarbeiter Jwanro Majid: Zum einen gab es solche, die wegen Geld, Waffen oder Autos mit dem IS zu tun hatten. Dann jene, die eine Grundausbildung des IS durchlaufen haben.

Und schließlich seien da noch die ehemaligen Kämpfer. Zu dieser letzten, zahlenmäßig kleinsten Kategorie gehört Khayralah Mezadivan. Auf die Frage, was denn angeblich so gut am IS gewesen sei, antwortet er:" Wir waren auf dem Weg in den Himmel, wo wir Frauen bekommen hätten, ja, sogar Freunde des Propheten Mohammed geworden wären."

Damals habe er das geglaubt, erzählt Khayralah. "Jetzt denke ich, dass es nur Märchen sind." Er bedauere, so viele Menschen im Kampf getötet zu haben, sagt er. Seine Kleidung und Gestik sagen etwas anderes. Da ist diese Art, mit der er immer wieder Koranverse einfließen lässt. Und dann verteidigt er plötzlich vehement den IS. Nichts sei dran an der Behauptung, die Kämpfer hätten mit Hilfe von Drogen ihre Angst unterdrückt: "So waren wir nicht, das sind nichts als Geschichten", sagt er. Schließlich lehre der Koran, wer die Angst nicht spüre, sei dumm.

Auch das Buch, das er sich in dieser Woche in der Bücherei ausgeliehen hat, verdeutlicht, wie nahe er dem IS noch steht. "Ich träume viel", sagt er. "Also habe ich mir ein Buch ausgeliehen, das Träume erklärt." Radikalislamische Gruppen wie Al-Qaida oder der IS sehen in der Traumdeutung ein bedeutsames prophetisches Potenzial.

Unverändert geblieben ist auch Khayralahs feindliche Haltung gegenüber den Schiiten-Milizen, gegen die er gekämpft hatte. Wegen ihnen wolle er nach seiner Freilassung nicht zurück nach Mossul: "Die Stadt ist noch in der Hand der Hashd", sagt er, und fügt an:" Das sind alles Verbrecher." (...)

Auch gegenüber dem Gefängnispersonal, den Wachen oder den Sozialarbeitern zeigten diese Inhaftierten keinerlei Respekt. "Für sie sind wir Ungläubige. 'Ihr seid keine Muslime', sagen sie uns." Aus Sicht dieser Jugendlichen werde sich die Welt erst dann zum Guten wenden, wenn sie zu "wahren Muslimen" werden.

Sozialarbeiter Majid und seine Kollegen versuchen, die Jugendlichen von weiteren Radikalisierungstendenzen fernzuhalten. Es gebe Kurse, Computer, Bücher und Fußball, berichtet Majid. "Wir sorgen dafür, dass sie beschäftigt sind". Auch gibt es Diskussionsveranstaltungen mit ausgesuchten jungen Imamen. "Die scheinen die Jungs besser zu erreichen. Wir wollen hier aber keine alten Sheikhs mit überkommenen Ideen", so Majid. Zum Gefängnisangebot gehört ebenso Musik. Die war beim IS verboten. "Doch wir mussten feststellen, dass einer unserer Musiker, der hier Klavier und Gitarre unterrichtet, doch erstaunlich beliebt bei den Jungs hier ist", berichtet Majid.