Montag, 03.12.2018 / 09:45 Uhr

Befreit Euch! Lieber echt als richtig!

Von
Amed Sherwan

Die Männer in meiner alten Heimat Irakisch-Kurdistan sind „richtige“ Männer. Sie haben ihr Leben und ihre Familie im Griff. Sie sind gottesfürchtig, schrecken aber sonst vor nichts zurück. Und sie haben selbstverständlich Waffen in ihrem Schrank, um jederzeit die Ehre ihrer Familie oder ihres Volkes verteidigen zu können. Eine Wehrpflicht gibt es da zwar nicht, aber wer was auf sich hält, meldet sich freiwillig, sobald das Land in Gefahr ist.

Dass ich damals im Gefängnis mit Elektroschocks gezwungen worden bin „wie ein Affe zu tanzen“, weil ich „an Darwin glaube“, und deshalb nicht gut auf das Thema zu sprechen bin, ist ihm völlig egal.

Selbst bei freudigen Anlässen holt ein „richtiger“ Mann lieber das Gewehr raus, um damit laut in die Luft zu schießen, statt Blumen zu streuen. Das Leben ist hart und nur die Harten kommen in den Garten. Wer eher weich ist, muss das tarnen, sonst gilt man schnell als Versager und im schlimmsten Fall sogar als schwul. Wobei es keine Schande ist, einen anderen Mann zu ficken – doch wer gefickt wird, ist kein „richtiger“ Mann.

Seitdem ich wieder Kontakt zu meinen Eltern habe, machen Sie sich deshalb Sorgen um meine Männlichkeit. Erst sind sie darüber verstört gewesen, dass ich Fotos von küssenden Männern poste und auf Fotos lieber niedlich als hart aussehe. Aber seitdem sie meine Freundin kennengelernt haben, sind sie diese Sorge los und sehen sogar darüber hinweg, dass wir ohne Ehe glücklich sind.

Ich versuche bewusst, mit meinen Eltern nur über Alltagsdinge zu sprechen und Konfliktthemen auszuklammern. Aber es kracht trotzdem immer wieder zwischen uns. Stein des Anstoßes ist zum Beispiel die Tatsache, dass ich nach meinem ersten allgemeinen Schulabschluss weiter zur Schule gehen möchte statt zu arbeiten. Vor einiger Zeit habe ich deswegen einen brüllenden Vater am Apparat gehabt: Wie lange ich denn noch zur Schule gehen und ob ich danach noch 20 Jahre studieren wolle?

Es regt meinen Vater auch auf, dass ich mich nicht für Autos interessiere: Wann ich endlich meinen Führerschein machen und ein Auto kaufen wolle? Ich entgegne, dass mir solche Dinge nicht wichtig sind und versuche ihm meine Werte zu erklären. Und dann reden wir wieder über Religion und es knallt schon wieder: Wann ich endlich erwachsen werde und einen Glauben fände? Ich könne ja Christ werden oder Jude, aber an Gott ginge kein Weg vorbei.

Ich erkläre ihm dann meine Gedanken zur Evolution. Aber wer habe die Evolution gemacht, fragt er dann. Auf meine Gegenfrage, wer Allah gemacht habe, wird er wütend. Dass ich damals im Gefängnis mit Elektroschocks gezwungen worden bin „wie ein Affe zu tanzen“, weil ich „an Darwin glaube“, und deshalb nicht gut auf das Thema zu sprechen bin, ist ihm völlig egal.

Dass ich meine Familie und Heimat verlassen habe, um endlich frei sprechen und ohne Religionszwang leben zu können, vergessen meine Eltern auch immer wieder. Meinungsfreiheit sei Unfug, sagt mein Vater. Ich solle endlich lernen, mich unterzuordnen und die Klappe zu halten und vor allen Dingen endlich mal ein „richtiger“ Mann werden!

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mein Vater fast wortwörtlich das sagt, was mir in Hasskommentaren von einigen Deutschen entgegen schlägt: Ich solle doch lieber arbeiten gehen und eigenes Geld verdienen, statt ständig meine Klappe aufzumachen. Meine muslimischen Eltern würden sich mit einigen der Flüchtlingshasser sehr gut verstehen.

Ich weiß inzwischen, dass ich ohne meine Familie leben kann. Deswegen tun mir solche Anrufe zwar weh, aber sie bringen mich nicht vom Weg ab. Den meisten meiner Freunde geht es anders. Sie machen keine Ausbildung und nehmen lieber Aushilfsjobs an, um ihren Eltern zu beweisen, dass sie echte Männer sind. Und um etwas Geld nach Hause schicken zu können, gehen sie zur Not auch illegale Wege, um bloß nicht als Versager zu gelten.

Ich mag Menschen, denen Geschlechterrollen egal sind.

Viele meiner Kumpel übernehmen die Vorstellungen ihrer Elterngeneration aber nicht nur in Bezug auf Geld und Autos. Genau wie ihre Väter sich lieber um die Ehre ihrer Frauen und Kinder gekümmert haben, als ihr eigenes Verhalten zu reflektieren, mackern sie durch die Gegend, kontrollieren ihre Schwestern und verachten alles, was in ihren Augen unmännlich und weich ist.

Wäre ich damals nicht vom Glauben abgefallen, wäre ich jetzt wahrscheinlich auch so oder hätte zumindest versucht, genauso zu wirken. Welch ein Glück, dass mir dieses Schicksal erspart worden ist und ich durch meine Flucht nach Europa Menschen kennengelernt habe, die ganz anders ticken und sich trauen echt zu sein. Ich mag Menschen, denen Meinungen wichtiger sind als Geld. Und ich mag Menschen, denen Geschlechterrollen egal sind.

Natürlich gibt es auch hier viele Menschen, die sich an veraltete Vorstellungen davon klammern, wie Menschen zu sein haben, aber es gibt glücklicherweise auch sehr viele Leute, die sich davon befreit haben. Die LGBTTIQ-Parties in meinem neuen Heimatort sind das genaue Gegenteil zu den Discos, wo aufgebrezelte Frauen und aufgepumpte Männer versuchen, irgendwelchen „richtigen“ Männern und Frauen aus den Medien zu ähneln.

Ich liebe es, wenn es egal ist, wie man aussieht, was man anhat, wie man sich gibt und mit wem man flirtet.

Es inspiriert mich, mit Menschen zusammen zu sein, die dazu stehen, wie sie sind, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was andere deswegen von ihnen denken. Meine schwulen Freunde verstehen, was es heißt, für das wie man ist, verstoßen oder als „falsch“ betrachtet zu werden, weil man einfach sich selber ist. Und sie verstehen auch, warum ich offensiv damit umgehe, dass ich anders leben und glauben will.

Wenn Männer in Deutschland nicht irgendwann damit angefangen hätten, sich auch in der Öffentlichkeit zu küssen, wäre Homosexualität bestimmt auch hier immer noch strafbar. Wenn man etwas verändern will, darf man sich nicht verstecken. Und wenn etwas in der muslimischen Community passieren soll, dürfen sich alle die, denen die vielen Tabus und stereotypen Geschlechterrollen nicht passen, auch nicht mehr verstecken.

Wenn euer Umfeld euch nicht so akzeptiert, wie ihr wirklich seid, findet euch neue Freundinnen und Freunde. Befreit euch von dem Scheiß und seit lieber „echt“ statt „richtig“.