Das "Recht auf Rückkehr" in palästinensischen Meinungsumfragen
Meinungsumfragen aus den palästinensischen Gebieten gehören zu den Dingen, die internationale Geldgeber offenbar mit großem Vergnügen finanzieren. Jedenfalls kann, wer will und Interesse hat, so ungefähr alles über Meinungen und Vorlieben von Palästinensern erfahren: etwa wie lange sie im Durschnitt nachts schlafen, wie oft sie Bücher lesen, ins Ausland reisen, wie viele von ihnen noch rauchen und welcher Fußballmannschaft sie die Daumen drücken. Aber auch zu Politik und ihrer Haltung gegenüber den palästinensischen Parteien und Israel werden sie regelmäßig befragt und in der Regel geben Antworten eher selten Grund, optimistisch in die Zukunft zu schauen, vor allem wenn diese in einer friedlichen Koexistenz mit Israel als jüdischem Staat bestehen sollte.
Diese Ergebnisse sind auch deshalb überraschend, weil schließlich alle palästinensischen Parteien auf dem „Recht auf Rückkehr nach Israel“ bestehen.
Umso überraschender zeigten sich Analysten wie etwa David Pollock vom Washington Institute for Near East Policyüber einige der Ergebnisse zweier erst jüngst getätigter Umfragen. Denen zufolge würden nämlich sogar eine Mehrheit der Bewohner des Gazastreifens und fast die Hälfte in der Westbank eine Forderung nach „Rückkehr“ nach Kernisrael der Flüchtlinge fallen lassen, sollte es im Gegenzug einen palästinensischen Staat geben. Das so genannte Rückkehrrecht sieht ursprünglich vor, dass Menschen die vom UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA als Flüchtlinge definiert werden (und diese Definition umfasst jeden, dessen Eltern oder Großeltern 1947 aus dem damaligen Mandatspalästina geflohen sind), an ihren Ursprungsort zurückkehren sollen. Da ein Großteil dieser Familien aus Städten wie Lot, Jaffa und Haifa, also aus Israel in den Grenzen vor 1967 stammt, hieße diese auch von Organisationen wie dem BDS-Movement erhobene Forderung, dass Millionen von Palästinensern nach Israel „zurückkehren“ sollen.
In Realität nicht umsetzbare Forderung
Seit Jahrzehnten weiß jeder, der sich ein ganz klein wenig mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt auskennt, dass eine solche Forderung in Realität nicht umsetzbar wäre, ohne Israel als jüdischen Staat zu zerstören.
„Zwei Drittel der Bewohner von Gaza sagen, die Palästinenser sollten akzeptieren, dass das ‚Rückkehrrecht‘ nicht für Israel gilt, sondern nur für die Westbank und den Gazastreifen, wenn dies der Preis für einen palästinensischen Staates sein sollte. Bei der Frage nach ihren persönlichen Vorlieben sagten nur 14 Prozent, dass sie ‚wahrscheinlich‘ nach Israel ziehen würden, wenn sie die Möglichkeit hätten. Darüber hinaus würde die überwältigende Mehrheit von 79 Prozent die ‚dauerhafte Neuansiedlung‘ von Palästinensern aus anderen Ländern allein im Westjordanland oder im Gazastreifen akzeptieren, ‚auch wenn ihre Familien ursprünglich nicht von dort stammen.‘ 59 Prozent sagen, dass es eine gute Idee wäre, wenn ‚arabische Staaten zusätzliche wirtschaftliche Hilfe anbieten würden um palästinensische Flüchtlinge im Westjordanland oder im Gazastreifen, aber nicht innerhalb Israels‘ anzusiedeln.
Die Einstellung zu diesen Fragen ist im Westjordanland ebenfalls relativ moderat, wenn auch uneinheitlicher. Die Bewohner der Westbank sind in etwa gleichmäßig gespalten, wenn es um den Vorschlag geht, dass Flüchtlinge nicht nach Israel ziehen sollen. 48 Prozent würden diesen Vorschlag akzeptieren, 52 Prozent sprachen sich dagegen aus. Lediglich fünf Prozent sagten, dass sie wahrscheinlich nach Israel ziehen würden, wenn sie könnten. Darüber hinaus würden zwei Drittel die dauerhafte Ansiedlung von Palästinensern der Diaspora im Westjordanland oder im Gazastreifen akzeptieren, selbst wenn ihre Familien aus Israel stammten.“
Forderung aller Parteien
Diese Ergebnisse sind auch deshalb überraschend, weil schließlich alle palästinensischen Parteien auf dem „Recht auf Rückkehr nach Israel“ bestehen und schon so manche israelisch-palästinensische Verhandlung an dieser Frage gescheitert ist. Ob in politischen Reden, Freitagspredigten oder in ihren hauseigenen Medien: Überall wird dieses „Recht“ propagiert und eingefordert. Auch die diesjährigen blutigen Massenproteste an der Grenze zu Gaza nennen sich aus diesem Grund „March of Return“.
Immerhin aber riskiert ein Gutteil derjenigen, die antworten, offene Opposition gegen die in Westbank und Gazastreifen herrschenden Parteien Fatah und Hamas.
Wie Pollock richtig bemerkt, scheinen viele Palästinenser in dieser Frage klüger und realistischer zu sein als ihre Führung und zu wissen, dass es eine solche Rückkehr nicht geben wird, solange der Staat Israel existiert. Und so sind laut diesen Umfragen und entgegen der ganzen Propaganda, nicht wenige bereit, langfristig Israel eben als jüdischen Staat anzuerkennen allerdings immer unter unter der Bedingung, dass ein eigener palästinensischer Staat geschaffen wird:
„Wenn Israel ‚einen unabhängigen palästinensischen Staat anerkennt und die Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens beendet,‘ beträgt der Prozentsatz der Palästinenser, die Israel als ‚Staat für das jüdische Volk‘ akzeptieren würden wie folgt: Gaza: 55 Prozent; Westjordanland: 36 Prozent und Ostjerusalem: 60 Prozent.“
In all diesen Umfragen fällt auf, dass die Antworten ím Gazastreifen sogar moderater ausfallen, als in der Westbank.
Auf die Frage: „‚Sollte die Hamas aufhören zu Israels Zerstörung aufzurufen und stattdessen eine dauerhafte Zwei-Staaten-Lösung akzeptieren, die sich auf die Grenzen von 1967 stützt?‘ zeigen zwei getrennte Untersuchungen, dass mehr Menschen diese fundamentale und friedliche politische Wende unterstützen, als sie ablehnen würden. Auch die Bewohner der Westbank unterstützten in einer Umfrage mit einer Mehrheit von 58 Prozent (bei 30 Prozent Ablehnung) eindeutig diesen Vorschlag. Eine andere Umfrage, die allerdings eine höhere Fehlerquote aufweist, zeigte hier eine knappe Mehrheit auf.“
Was folgt daraus?
Natürlich sind solche Umfragen mit Vorsicht zu lesen. Immerhin aber riskiert ein Gutteil derjenigen, die antworten, offene Opposition gegen die in Westbank und Gazastreifen herrschenden Parteien Fatah und Hamas, die ja beide ganz dezidiert auf Umsetzung des vermeintlichen Rückkehrrechts insistieren.
Was folgt aus solchen Erkenntnissen? Wenig, denn Fatah und Hamas bleiben auch weiterhin, selbst wenn die Herrschaft von keiner der beiden mehr in irgend einer Weise noch demokratisch legitimiert ist, die offiziellen Vertreter der Palästinenser und damit die Ansprechpartner von EU, USA, den arabischen Ländern und auch Israels. Sie werden in absehbarer Zeit nicht von ihren Forderungen abrücken, denn das Rückkehrrecht stellt für sie nicht nur ein wichtiges politisches Kapital dar. Ließen sie es fallen lassen, würden sie außerdem umgehend jedwede Unterstützung der Bewohner der palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon, in Syrien und anderswo verlieren, auf die sie beide angewiesen sind.
Gut zu wissen aber bleibt trotzdem, dass eine beträchtliche Zahl von Menschen in der Westbank und im Gazastreifen ganz offenbar ansprechbarer für politische Lösungen ist als ihre Führung.
Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch