Donnerstag, 24.01.2019 / 19:22 Uhr

Bagdad am 27.01.1969

Von
Aus dem Netz

Für Audiatur schreibt Stefan Frank über die Geburtsstunde des baathistischen Staates im Irak:

Am diesjährigen 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, sollte auch einem anderen Ereignis aus der Geschichte der mörderischen Verfolgung der Juden gedacht werden, das in der westlichen Welt so gut wie vergessen ist.

Vor 50 Jahren, am 27. Januar 1969, wurden in Bagdad auf dem sogenannten „Platz der Befreiung“ vor den Augen einer riesigen Menschenmenge 14 unschuldige Menschen – neun Juden, drei Muslime und zwei Christen – gehängt, die fälschlicherweise der Spionage für Israel bezichtigt worden waren.

Seit über 2.700 Jahren hatte es auf dem Gebiet des heutigen Irak jüdische Gemeinden gegeben, im Jahr 1936 hatte der Irak laut einer offiziellen Statistik 120.000 jüdische Bürger. Heute ist der Irak, wie fast alle arabischen Länder, judenrein. Die erste Etappe auf dem Weg der gewaltsamen Vertreibung der irakischen Juden waren die Pogrome vom 1. und 2. Juni 1941, die von Hadschi Amin el-Husseini, dem Grossmufti von Jerusalem, der ein gegen Grossbritannien und die Juden gerichtetes Bündnis aller arabischen Muslime mit dem Dritten Reich anstrebte, angeregt worden waren. Bei dem Farhud (das Wort bedeutet soviel wie „gewaltsame Enteignung“), einer Welle von Plünderungen, Vergewaltigungen und Morden, wurden Hunderte irakischer Juden ermordet.

Nach der Gründung Israels waren die Juden im Irak weiter starker Verfolgung ausgesetzt – Zionismus galt als Verbrechen – und emigrierten massenhaft, die meisten zwischen 1949 und 1951. Wer das Land verliess, musste auf seine Staatsbürgerschaft verzichten und seinen Besitz zurücklassen. 1969 lebten noch etwa 3.000 Juden im Irak. Es war das dritte Jahr gesteigerter antijüdischer Agitation im Zuge der Niederlage der arabischen Armeen gegen Israel im Juni 1967. Die Ba’ath-Partei unter General Ahmed Hassan al-Bakr und Saddam Hussein hatte sich im Juli 1968 an die Macht geputscht. Schon am 6. September 1967 hatte sie eine grosse Demonstration angeführt. In seinem Buch Republic of Fear. The Politics of Modern Iraq schreibt der irakisch-britische Historiker Kanan Makiya: „Sie [die Führer der Ba’ath-Partei] verlangten ein Vorgehen gegen örtliche Agenten des Zionismus und Imperialismus und brachten etwas in die politische Arena zurück, das es seit Jahren nicht mehr gegeben hatte: die Idee einer fünften Kolonne, die verantwortlich war für die Verheerungen im Juni-Krieg.“ Iraks eigene Verluste waren gering; die Regierung meldete zehn getötete und 30 verwundete irakische Verluste in den sechs Tagen des Krieges. Doch viele im Irak begriffen sich als Teil eines grösseren Verbunds, der besiegt worden war: „Die Geister Zehntausender gefallener Ägypter, Syrer, Jordanier und Palästinenser, nicht zu sprechen von der Besatzung von Territorien, dem Kollaps ganzer Armeen und der Zerstörung von Gerät – all dies fügte sich in der Phantasie gewöhnlicher Männer und Frauen als das Werk von Iraks winziger jüdischer Gemeinde zusammen …“, so Makiya.