Donnerstag, 07.03.2019 / 21:12 Uhr

"Ausgedeutscht"?

Von
Andreas Benl

Das eigentliche Problem kommt in dem, zahlreich in sozialen Medien geteilten Artikel "Jetzt wird ausgedeutscht!" von Mely Kiyak gar nicht vor - dass Deutschland und andere europäische Staaten ihre Djihadisten in der Vergangenheit ziehen ließen und ihre Strafverfolgung nun den Ländern, in denen sie gewütet haben, überantworten wollen, während das Geschrei groß ist, wenn etwa Tunesien mit tunesischen Terroristen ähnliches versucht.

Ansonsten ist an dem Text so ziemlich alles falsch und eine Mystifizierung von Geschichte, Gesetz und Staat:

1. der aktuelle Gesetzentwurf ist keine "echte Zäsur", sondern soll §28 Staatsangehörigkeitsgesetz von fremden Armeen auf fremde Milizen/Terrorgruppen ausweiten. Das hätte die Autorin auch in ihrer eigenen Zeitung nachlesen können. Das Gesetz stammt mal ausnahmsweise nicht aus der Nazizeit, es wurde 1913 erstmals verabschiedet.

2. Wer ausgerechnet den noch gar nicht verabschiedeten Entwurf für einen Entzug der Zweitstaatsbürgerschaft für klerikalfaschistische Menschheitsverbrecher zum nie dagewesenen Präzedenzfall macht, bringt die Vergangenheit der politischen Rechtspraxis geradezu geschichtsrevisionistisch zum Verschwinden: Das Staatsbürgerschaftsrecht und der Umgang mit Deutschen im Ausland waren nie politsch neutral. Man denke an den rechtlichen Schutz für in der Bundesrepublik kaum verfolgte Naziverbrecher, den das Auslieferungsverbot für deutsche Staatsbürger im Grundgesetz bot, ganz zu schweigen von der konsularischen Unterstützung für so ziemlich jeden ins Ausland geflohenen Nazimörder. *Umgekehrt* konnte die deutsche Diplomatie auch ganz anders, wenn es sich bei den deutschen Staatsangehörigen im Ausland um solche handelte, die im kalten Krieg vermeintlich oder wirklich auf der falschen Seite standen. Der Fall der von der argentinischen Militärjunta mit Wissen aber ohne Intervention des Auswärtigen Amtes umgebrachten Elisabeth Käsemann und anderer ist der Beleg.

3. Wer den Sündenfall dagegen mit der vermeintlichen 'Islamophobie' von Staat und Gesellschaft in Deutschland beginnen lässt, wird auch nicht fragen, ob es in der Geschichte des deutschen Staates und der deutschen völkischen Rechten überhaupt Belege für systematische Islamfeindlichkeit gibt. Skandalös wird es, wenn die noch gar nicht erfolgte Sanktionierung von IS-Untaten zu folgender Bemerkung veranlasst: "Diese geplante Gesetzesänderung muss jeder, der in diesem Land nachträglich eingebürgert wurde, unweigerlich als Bedrohung seiner Existenz verstehen."

Islamkonferenzen und Integrationsgipfel geben Zeugnis davon, dass in ihrer Existenz und mit ihrem Leben hierzulande nicht islamistische Täter, sondern ihre Ankläger wie Hamed Abdel-Samad, Ahmad Mansour, Seyran Ates, Kazem Moussavi und viele andere bedroht werden. Das Fehlen der Opfer von ISIS in der Jeremiade von Mely Kiyak rundet den Artikel denn auch ab.