Montag, 23.12.2019 / 10:15 Uhr

Im Namen der Moral: Nehmt keine Flüchtlingskinder auf!

Von
Thomas von der Osten-Sacken

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(Flüchtlingslager Moria in Lesbos; Bild: Klaus Bietz)

 

Über den Bourgeois hat einst Franco Moretti ein ebenso wunderbar zu lesendes wie erhellendes Buch mit gleichem Titel geschrieben.

Der Bourgeois sei, schreibt er, eine durch und durch "zerrissene Figur," denn an die Macht kam er mit dem moralischen Anspruch, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu verwirklichen, nur um, kaum an der Macht, alles zu tun, um diesen Anspruch zu konterkarieren.

Anders aber als eine Marie Antoinette, die dem Volk empfohlen haben soll, Kuchen zu essen, wenn es kein Brot habe, also ganz dem Zynismus einer herrschenden Klasse verpflichtet war, deren Legitimation sich auf Gott und nicht irgend eine Ethik berief, muss der Bourgeois, wenn er sich wie ein zynischer Drecksack aufführt, trotzdem immer noch die höhere Moral anrufen. Dies gilt insbesondere um Weihnachten, eine Zeit, in der dieser Zwiespalt so offen zu Tage tritt, wie sonst selten: Angeblich geht es da um Werte, Liebe, Caritas und alles mögliche, in Wirklichkeit sollen die Kassen klingeln und vor dem heiligen Familienabend gruseln sich die meisten schon Wochen zuvor.

Derweil verrecken, hungern und leiden Millionen Menschen weltweit und auch das legt sich irgendwie auf die Seele, besonders wenn es vor  der eigenen Haustür stattfindet. In Griechenland etwa, wo in diesen Zeltlagern, die fälschlicherweise Flüchtlingscamps genannt werden, obwohl sie keiner einzigen Mindestanforderung des UNHCR an solche Einrichtungen entsprechen, tausende unbegleitete und oft schwer traumatisierte Kinder hausen müssen.

Sicher, man kann vielleicht ein paar Euro spenden, aber muss ausgerechnet der Chef der Grünen dieser Tage dazu aufrufen, der Forderung Griechenlands nachzukommen, und ein Kontingent dieser Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen?

Da findet der Bourgeois sich in der von Moretti beschriebenen Zwickmühle wieder. Einfach zynisch "Nein" zu sagen, geht nicht, also muss er selbst irgend eine Moral in Stellung bringen. Das sei ja keine Lösung der Flüchtlingskrise, meinen die einen, nur Anreiz für noch mehr Menschen, die gefährliche Überfahrt anzutreten die nächsten. Was mit den Kindern anderswo, etwa in Libyen, denen gehe es doch auch schlecht, moniert der nächste und so geht es weiter. Kein Argument ist ihnen dabei zu dumm und herzlos.

Nein, falsch, nicht herzlos, sondern moralisch! Warum, erklärt Ansgar Graw in der Welt.Denn unmoralisch sei in Wirklichkeit die Forderung, einfach so ein paar Kinder aufzunehmen:

Doch Habecks Lösungsvorschlag, der so moralisch klingt, birgt neben wirtschaftlichen auch ethische Risiken. Kleine Kinder reisen nicht allein, und wer sie holt, wird ihre Mütter, ihre Eltern kaum im Lager zurücklassen können. So fordert Habeck in der „Frankfurter Allgemeinen“ ja auch keine Beschränkung auf die Kinder. Sie solle man vielmehr „als Erstes“ rausholen. Würde man diesem Muster folgen und zuerst Kinder (und deren Familien) einreisen lassen, dürfte man nicht überrascht sein, wenn in naher Zukunft immer mehr Kleinkinder und Babys in überfüllten Lagern vegetieren müssten.

Natürlich möchte man auch den Erwachsenen ein Leben in Europa gönnen. Doch viele dieser Menschen, hauptsächlich aus Afghanistan und Pakistan, kommen ohne jede Qualifikation, die Hoffnung zulässt auf eine mittelfristige Integration in den Arbeitsmarkt. Bilden sie dann ein Milieu der Enttäuschten in Deutschland? Oder reisen sie weiter zu Freunden in Nachbarländern, die sich bislang gegen jede zusätzliche Aufnahme sperren? Und, dank Deutschland und offener Schengen-Grenzen, trotzdem weitere Migranten bekämen?

Die sympathische Forderung, jedem, der an die Tür klopft, zu öffnen, ist nicht fantasievoller als das unfreundliche Postulat, alle Grenzen dichtzumachen. Und Habecks hypermoralischer Anspruch hat eine gesinnungsnationalistische Logik. Die Bedenken nahezu aller Nachbarn würden ignoriert, würde Deutschland im Alleingang zur Migration ohne Obergrenze einladen, beginnend (aber eben nicht endend) bei Kindern.

Eine Marie Antoinette hätte damals vielleicht einfach gesagt, sie wolle die Kanakenkinder nicht bei sich haben. Über so eine eine Aussagen hätten Graw und Konsorten als gute Bürger sich sicher ganz furchtbar empört. Sie wollen sie auch nicht. Aber immerhin haben sie gute, ganz hehre Gründe dafür.

Der Bourgeois nämlich handelt immer ganz moralisch. Und er leidet am meisten unter seiner Moralität, denn, nein, einfach ist nicht, solche Entscheidungen zu treffen. Habt Mitleid nicht mit den Kindern in Lesbos, sondern denen, die ihnen die Einreise verweigern!