Mittwoch, 05.02.2020 / 13:43 Uhr

Lage in Lesbos eskaliert

Von
Thomas von der Osten-Sacken

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(Moria: Inzwischen Unterkunft für 19.000; Bild: Klaus Bietz)

Seit Tagen eskaliert auf Lesbos die Lage. Ungehört sind einmal mehr unzählige Warnung verklungen, dass, sollte nicht eine Lösung gefunden werden, die unhaltbare Situation eher früher als später explodieren würde. Nachdem vergangene Woche die Bevölkerung der Inselhauptstadt Mytillini in den Generalstreik getreten war, folgten diese Woche mehrere Demonstrationen von Flüchtlingen, die von der Polizei teilweise gewaltsam aufgelöst wurden:

"Leute von Lesbos, es tut uns leid", rufen die geflüchteten Frauen und Männer. "Freiheit! Freiheit!" Im Halbkreis stehen sie am Dienstagvormittag auf einem Platz in Mytilini, der Hauptstadt von Lesbos, und machen ihrem Ärger Luft. So zeigen es Videos lokaler Medien. "Stoppt die Abschiebungen", steht unter anderem auf den Plakaten der Flüchtlinge. Sie beschweren sich über die griechische Asylpolitik, die sie seit Monaten oder Jahren auf der kleinen Insel in der Ägäis gefangen hält.

Wenige Stunden später kommt es zu Reibereien mit der Polizei. Doch die greift am Dienstag nicht so brutal ein wie am Montag. Da waren mit 2000 Migranten noch deutlich mehr Menschen aus dem Flüchtlingslager in Moria Richtung Hauptstadt aufgebrochen. Das griechische Fernsehen zeigte Luftaufnahmen. Zu sehen waren Menschentrecks, die über Felder Richtung Mytilini zogen.

 

 

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Der Protestzug endete in Gewalt. Die Polizisten versuchten, die Demonstranten aufzuhalten, schossen mit Tränengas. Auf Fotos ist zu sehen, wie Kinder versuchen, dem Tränengas zu entkommen. Verwundete Asylsuchende wurden von anderen Demonstranten abtransportiert. Junge Männer, wohl ebenfalls Geflüchtete, warfen Steine auf die Polizisten. 40 Menschen wurden festgenommen.

Zum ersten mal innerhalb von fünf Jahren kam es danach auf der Insel zu Zusammenstößen zwischen Griechen und Flüchtlingen. Die Lage scheint so bedrohlich, dass der Gouverneur der ostägäischen Inseln nun sogar eine deutliche Warnung aussprach:

Northern Aegean Regional Governor Kostas Moutzouris, speaking to Greek daily newspaper To Ethnos said that Monday’s riots were the “first time” he had felt that a “clash between residents and migrants was about to take place.”

“I was shaking on the thought of where this climate can lead. Extreme things were heard by some residents. It was the first time I was scared we were moving into a conflict between Greeks and migrants,” the Governor said.

Für die nächsten Tage sind weitere Demonstrationen angekündigt. In einem Interview mit Radio Dreyeckland versuche ich zu erklären, wie es zu dieser Situation kommen konnte und welche Folgen erwartbar sind.

Um auf die unerträglichen Zustände eindringlich aufmerksam zu machen, ist heute die griechische Hilfsorganisation Stand by me Lesvos in den Streik getreten.

Hier ihre lesenswerte Stellungnahme:

"Stellungnahme für Medien und die Öffentlichkeit: Wir streiken!

Die Situation für Flüchtende und die Bürger*innen von Lesbos wird immer unerträglicher. Die lokale griechische Organisation Stand by me Lesvos (SBML) erklärt ihre Solidarität mit den anhaltenden Protesten. SBML ist eine Schule, die täglich Hunderten von Kindern und Frauen kostenlose Bildung bietet. Als Reaktion auf die sich verschlechternde Situation wird die Schule vorübergehend in einen Streik treten.

 

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Unsere Mitarbeiter*innen – Einheimische aus Mytilini, Flüchtende und internationale Freiwillige – streiken seit heute in Solidarität sowohl mit den Bürger*innen von Lesbos als auch mit den inzwischen 20. 000 Bewohner*innen des Flüchtlingslagers Moria.

Die Situation auf Lesbos hat die Grenze des Erträglichen längst erreicht. Die Einwohner*innen von Lesbos haben gestreikt und fordern eine Lösung, die sowohl ihnen als auch den Flüchtenden dient. In dieser Woche fanden Demonstrationen sowohl von griechischen Bürger*innen als auch von Flüchtenden statt, weitere sind in den nächsten Tagen geplant. Die schrecklichen Bedingungen im Lager sind unhaltbar und unmenschlich, inzwischen kommt es fast täglich zu nächtlichen Messerstechereien und wöchentlich zu Todesfällen.

Wir unterstützen die Forderungen der Lagerbewohner*innen nach Sicherheit, medizinischer Versorgung und Zugang zu Bildung für ihre Kinder voll und ganz, aber auch die Forderungen der Bürger*innen vor Ort, die ihre Regierung zu einer langfristigen Lösung auffordern.

Bis heute hat die Stand by me Lesvos- Academia jeden Tag Hunderten von Männern, Frauen und Kindern Bildung gewährt. Wir können diese Dienste jedoch nicht weiter anbieten, solange die Mindeststandards nicht erfüllt sind – die Umstände sind untragbar geworden. Wir fordern die Europäische Union und alle europäischen Regierungen auf, endlich aktiv zu werden und eine humane Lösung zu finden, um die Forderungen der Flüchtenden und der Bürger*innen vor Ort zu erfüllen.

Unsere Entscheidung ist von allen getragen, einheimischen Mitarbeiter*innen, Flüchtlingen und internationalen Freiwilligen. Dies wird ein aktiver Streik sein, eine symbolische Schließung – wir werden zu normalen Zeiten vor Ort sein, um weiter in Notfällen zur Verfügung zu stehen und auch zu informieren. Während dieser Zeit werden wir diskutieren, wie wir in dieser Krisensituation weitermachen können, und wir heißen jeden willkommen, der oder die die Academia besuchen möchte, um daran teilzunehmen oder Fragen zu stellen.

Die Schließung der Schule ist ein letzter Ausweg; wir möchten so jetzt unmissverständlich deutlich Machen, was auf dem Spiel steht, bevor die Situation endgültig explodiert. Denn sowohl die Bürger*innen von Lesbos als auch die in Moria lebenden Flüchtenden zahlen am Ende den Preis dafür.

Wir hoffen nicht nur auf Ihr  Verständnis, sondern auch auf eure aktive Unterstützung dieser wichtigen Maßnahme, die mit konkreten Forderungen an die EU, die griechische und die europäische Regierung einhergeht, endlich menschenwürdige Lösungen zur Lösung dieser unbeschreiblichen Lage zu finden."