Dienstag, 01.02.2022 / 18:33 Uhr

Online-Event in Gaza: Unmut über Hamasregime in Gaza

Von
Gastbeitrag von Redaktion Mena Watch

Kinder in Gaza, Bildquelle: Marcin Monko, Flickr

Gazaner beschuldigten die Hamas in einer Online-Diskussionsrunde, den Gaza-Streifen gekidnappt und dafür gesorgt zu haben, dass die junge Generation bloß noch emigrieren wolle.

 

Vergangene Woche fand ein für Gaza äußerst ungewöhnliches Ereignis statt, als Hunderte palästinensische Aktivisten an einem Online-Event teilnahmen, auf dem die Hamasregierung scharf kritisiert wurde.

Die Veranstaltung mit dem Titel »They Kidnapped Gaza« fand am Donnerstag auf Twitter statt. Organisiert worden war die Live-Diskussionsrunde von fünf Gazanern, die den Küstentreifen 2019 verlassen hatten, nachdem die »We Want to Live«-Proteste gewaltsam niedergeschlagen worden waren.

Damals brachten Proteste gegen die hohen Lebensmittelpreise und die hohe Arbeitslosigkeit hunderte Gazaner zu Demonstrationen auf die Straße, die in ihrer Größe und Intensität einmalig unter der Hamas-Herrschaft waren. Videos der Demonstrationen zeigten, wie Hamas-Sicherheitsleute mit Gewalt versuchen, die Demonstrationen aufzulösen und dazu auch mit scharfer Munition in die Luft schießen.

Amer Balosha, der aktuell in Istanbul lebt, nachdem er 2019 als einer der Organisatoren der Demonstration am 14. März von der Hamas verhaftet worden war, wies bei der Twitter-Veranstaltung auf das Schicksal von mehr als 100 Gazanern hin. Diese befinden sich zurzeit in der Türkei in Haft, weil sie beim Versuch aufgegriffen wurden, im Zuge ihrer Flucht nach Europa illegal die Grenze zu Griechenland zu überqueren.

»Die Hamas-Funktionäre haben Milliarden an Dollar in vielen Ländern der Welt investiert, während sich die Bevölkerung in Gaza zu Tode hungert und auswandert, um Arbeit zu finden. Die Hamas, die aufgrund ihrer Politik schuld ist an ihrem Wunsch zu emigrieren, hat nicht einmal versucht zu intervenieren, um ihre Freilassung zu erreichen.«

Die Lebensbedingungen in Gaza sind fatal: Es herrscht schwerer Wassermangel, die Kanalisation ist marode und die Menschen haben jeden Tag mit stundenlangen Stromausfällen zu kämpfen. Unter Jugendlichen herrscht eine Arbeitslosenquote von 67 Prozent, wobei die höchsten Zahlen unter Universitätsabgängern zu finden sind.

Die Corona-Pandemie hat den Küstenstreifen schwer getroffen und der von der Hamas ausgelöste Krieg mit Israel im Mai 2021 hat die Lage weiter verschlechtert. Dennoch wird aus Angst vor Repression selten offene Kritik an den Herrschern des Gazastreifens laut.

Statt auf die geäußerte Kritik einzugehen, machte die Hamas Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) verantwortlich.

Doch die Teilnehmer an dem Twitter-Event weigerten sich – so wie die Hamas es tut –, Israel die Schuld an der schlechten Lage zu geben. So fragte der in Gaza lebende Hosam Elmadhon:

»Wie kann man behaupten, die [israelische] Besatzung sei schuld an der Situation in Gaza? Hebt die Besatzung Steuern ein? Kassiert die Besatzung jeden Monat Steuern in der Höhe von 270 Millionen Euro [auf Zigaretten und Tabak]? Ist die Besatzung verantwortlich für die Emigration von 60.000 jungen Menschen?

Ich habe eine Frage an die Führer von Gaza, die Handel mit unserer Blockade und unserem Leid treibt: Wie hat diese Blockade mich arm und Euch reich gemacht?

Wie hat die Blockade so viele junge Leute dazu gezwungen, auszuwandern, und Euch Staatsbürgerschaften fremder Länder beschert und es Euch ermöglicht, in Villen und Hotels zu leben? Wie lässt die Blockade unserer Kindern hungern, während Eure im Reichtum leben? Wie erlaubt es die Blockade, die meine Familie von der Elektrizität abschneidet, dass eure Häuser 24 Stunden beleuchtet werden?«

Die verfehlte Politik der Hamas habe die halbe Welt dazu gebracht, die Palästinenser zu hassen, während das Mitgefühl mit ihrer Sache immer weiter schrumpfe, schrieb Khaled Noor. Dass die Hamas Appeasement mit dem Iran betreibe, während diese arabische Städte zerstöre, mache die Situation noch schlimmer.

Der Fotojournalist Walid Mahmoud kommentierte:

»Die Islamische Bewegung [Hamas] ist daran gescheitert, die Krise in Gaza zu bewältigen. Sie ist daran gescheitert, irgendeine Lösung für die Einwohner von Gaza zu finden. Kein vernünftiger Mensch kann das leugnen. Sollten die Einwohner das Recht haben offen und ehrlich über ihre Erfahrungen mit der islamischen Herrschaft zu sprechen?«

Und der Gazaner Bisan Issam tweetete:

„Vor fünfzehn Jahren wurden zwei Millionen im Gazastreifen von einer Bande namens ›Wechsel und Reform‹ [der Name der Hamas-Wahlliste bei den Parlamentswahlen von 2006] gekidnappt.

Die Leben und Träume einer ganzen Generation gingen verloren; erdrückt von Verzweiflung und dem Mangel an Einfallsreichtum. Eine ganze Generation, die nun bereit, ist, ihre Leben aufs Spiel zu setzen, um dem permanenten Tod in Gaza zu entrinnen. «

Statt auf die geäußerte Kritik einzugehen, machte die Hamas Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) verantwortlich, hinter dem Twitter-Event zu stecken. So beschuldigten Hamas-Aktivisten und -Unterstützer die PA der Korruption und der Kollaboration mit Israel. Die Anti-Hamas-Kampagne sei – ebenso wie die über Gaza verhängten Sanktionen – Teil des Versuchs, eine Revolte gegen die Hamas anzuzetteln.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch