Freitag, 11.03.2022 / 00:47 Uhr

Kurzer Zwischenruf über die falsche Äquidistanz mancher Linker im Krieg

Von
Tilman Tarach

Karl Marx Denkmal in Chemnitz, Bildquelle: Wikimedia Commons

Liebe Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten und andere Linke,


wieder einmal sind allzu viele von euch auf dem Holzweg. Ausgerechnet jetzt glaubt ihr, euch tatsächlich zu Experten für Rechtsradikalismus in der Ukraine gemausert zu haben. Wer es wissen wollte, konnte jedoch schon immer wissen, dass die Ukraine durchaus keine lupenreine Demokratie ist. Ja, es gibt Nazigruppen. Diese haben aber weniger Einfluss als in Russland und anderen postsozialistischen Staaten (wie ein Blick auf die letzten Wahlergebnisse zeigt). Die russische Wagner-Gruppe etwa wurde unlängst darauf angesetzt, den jüdischen Präsidenten der Republik Ukraine zu ermorden. Und ja, es gibt ukrainischen Antisemitismus. Doch wiederum: Deutlich weniger als in Russland und den anderen umliegenden Staaten.


Im Angesicht eines klaren Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat ist es manchen von euch nicht zu peinlich, mit Schimpfworten wie "Nato-Knecht" um sich zu werfen. Vernünftige Menschen wurden indessen schon lange als "Imperialistenknechte" und "Judenknechte" bezeichnet. Mit der nötigen Prise Ironie lachen wir gerne über eure neuesten Invektiven.


Im Ernst und ganz grundsätzlich: Wer nicht versteht, dass das Schlechte gegen das viel Schlechtere unbedingt zu verteidigen ist, hat nichts verstanden. Äquidistanz hingegen führt letzten Endes dazu, dass stets das Übelste überhaupt sich durchsetzt.


"Wenn man an die Grausamkeit, das Elend und die Sinnlosigkeit des Krieges denkt", schrieb George Orwell anlässlich des spanischen Bürgerkriegs, "liegt die Versuchung nahe, zu sagen: ›Die eine Seite ist ebenso schlecht wie die andere. Ich bleibe neutral.‹ In Wirklichkeit jedoch kann man nicht neutral bleiben, und es gibt kaum einen Krieg, bei dem es keinen Unterschied macht, wer gewinnt. Fast immer steht die eine Seite mehr oder weniger für den Fortschritt, die andere Seite mehr oder weniger für die Reaktion."


Auch wenn Putins semi-zaristisches Russland formal keine Monarchie ist, passt durchaus auch Mikhail Bakunins Diktum: "Wir sind fest davon überzeugt, dass die fehlerhafteste Republik tausendmal besser ist als selbst die aufgeklärteste Monarchie. In einer Republik gibt es zumindest kurze Zeiträume, in denen die Menschen, wenn sie auch dauerhaft ausgebeutet werden, nicht unterdrückt sind. In der Monarchie ist die Unterdrückung ohne Unterlass."


Mit Marx kennt ihr euch besser aus als ich, gleichwohl weiß ich, dass auch er ähnliches fomuliert hat. Sucht euch das doch bitte selbst raus. Dann könnt ihr in der Zwischenzeit zumindest keinen Quatsch auf den sozialen Medien verzapfen.


Merci und herzallerliebst, TT