Donnerstag, 14.04.2022 / 22:26 Uhr

„Aber Bandera“ – Die Begleitmusik zum Vernichtungskrieg

Von
Gastbeitrag von Utz Anhalt

Denkmal für Stephan Bandera, Bildquelle: Wikimedia Commons

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 gibt es kaum eine Äußerung, in der sich Todenhöfer-Anhänger, Wagenknecht-Fans, AfDler, Impfgegner, sprich die üblichen Verdächtigen breitmachen, der ohne „aber Bandera, aber Asow” auskommen würde. 

 

Als wir 2014 das schwierige Terrain zwischen ukrainisch-nationalistischen Rechtsextremisten auf dem Euromaidan und prorussischen Rechtsextremisten analysierten, stießen wir bei sogenannten „Mahnwachen für den Frieden“ auf ein merkwürdiges Phänomen: Deutschdeutsche Neonazis, deutsche Nationalbolschewisten, deutsche rechtsextreme Antisemiten und deutsche „antizionistische Antiimps“ demonstrierten auf einmal "gegen Faschisten in der Ukraine" und skandierten „Kein Krieg mit Russland“: Während russische Geheimdienstler rechtsextreme „Separatisten“ in Donezk aufbauten.

Naive Mitläufer „wussten“ nach einigen Mahnwachenbesuchen, dass das US-amerikanische Federal Reserve System (FED) für alle Kriege der letzten hundert Jahre verantwortlich sei (2014 also sowohl für den ersten wie den zweiten Weltkrieg). Während die einen den antisemitischen NS-Ökonomen Gottfried Feder vom „schaffenden vs raffendem Kapital“ priesen, machten andere „Rothschild und Bilderberger“ für „alle Kriege“ verantwortlich. Wer die antisemitischen Querfront-NS-Codes nicht kannte, wunderte sich vermutlich, was das alles mit der Ukraine zu tun hatte.

Wer die Codes kannte, wurde hingegen aufmerksam auf etwas „Neues“: Deutschnationale Rechtsextremisten und AfDler riefen brüderlich, in Eintracht mit abgestandenen „Antiimps“: „Wir sind die einzigen, die gegen die Faschisten in der Ukraine demonstrieren!“

Wie kommen Rechtsextreme dazu, gegen Faschisten zu demonstrieren?

Wie kamen jetzt Rechtsextreme, Nationalradikale bis hin zu Neonazis dazu, „gegen Faschisten“ zu demonstrieren? Die ukrainisch-nationalistische Swoboda, die ihren Ursprung in der Organisation Unabhängiger Nationalisten (OUN) des ukrainisch-nationalistischen Faschisten Stepan Bandera sieht, stand unter den Rechtsextremen Europas recht isoliert da. Putins Regime förderte rechtsextreme Parteien in ganz Europa, um die EU zu zersetzen: Marine Le Pen, der  Rechtspopulist Geert Wilders, die FPÖ, Matteo Salvinis Lega Nord, die „Unabhängigen Griechen“, Viktor Orban Premier Viktor Orban, die rechtsextreme Jobbik und die AfD waren treue Verbündete des Putinschen Regimes.

Das russische System ist eine Mischung aus kleptokratisch-korporativem Mafia-Kapitalismus, über dem ein Autokrat steht, mit stalinoider Propaganda und unterfüttert durch eine imperialistisch-nationalistische Mythologie. Für europäische Rechtsextreme ist es ihr Gegenbild zu Selbstbestimmung, pluraler Demokratie und politischer Liberalität. Swoboda, Rechter Sektor und das Regiment Asow hätten zwar gut zu den Demokratiefeinden gepasst -als ukrainische Nationalisten waren sie aber radikal gegen Putins Regime.

Alice Schwarzer posaunte, als arbeite sie selbst beim russischen Staatsfunk, 2014 nach der Annektion der Krim: „Würde die Ukraine Teil der EU, stünde die NATO direkt an der russischen Grenze. Darum ist heute selbst Gorbatschow, der einstige Gegenspieler, an Putins Seite: Der Präsident der Öffnung hält Putins wehrhafte Strategie der eisernen Faust heute für richtig. Denn die Einkreisung Russlands macht nicht nur Putin Angst.”  2018 verbreitete EMMA sogar unmittelbar die Propaganda der „Russia Today“-Chefin Margarita Simonjan. Vor allem aber verbreitete Schwarzer das russische Staatsmärchen, Putin würde in Tschetschenien “Islamisten” bekämpfen. Grosny wurde die, laut UNO, am schwersten zerstörte Stadt der Welt. Putins Regime hatte  mutmaßlich mehr als 100 000 Tote auf dem nicht vorhandenen Gewissen und installierte mit Kadyrow einen Halsabschneider der Weltklasse, der in Tschetschenien die Scharia ausrief.

Politische Newcomer, die sich nie zuvor mit faschistischen Bewegungen der Gegenwart und Vergangenheit beschäftigt hatten, warnten 2014 „vor der Gefahr“, dass in der Ukraine eine „Bandera-Regierung“ geputscht hätte. Neben „Rothschild“ und „raffenden Zinsbanken“ waren die „Bandera-Faschisten“ ein immer wiederkehrender „Bösewicht“ auf den „Mahnwachen für den Frieden“.

Manche wussten nicht einmal, dass „Bandera-Faschisten“ sich von dem ukrainischen Nationalisten Stepan Andrijovyč Bandera (1909-1959) ableitet, sondern hatten den Begriff lediglich bei Russia Today aufgeschnappt. In der russisch-imperialistischen Propaganda ist “Bandera” seit Stalins Zeiten ebenso wichtig wie in der Ukraine in Ablehnung großrussischer Übergriffe.

Wer war Bandera?

Stepan Andrijovyč Bandera schloss sich 1928 der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) an, und in den 1930ern gehörte er zu deren Führern. Mehrere Jahre saß er in Polen in Haft, kam aber nach der Besatzung Ostpolens durch die UDSSR 1939 frei. Sein Stellvertreter Jarolaw Stezko rief 1941 eine unabhängige Regierung der Westukraine aus. OUN-Milizen verübten Pogrome an jüdischen Zivilisten und machten die Vorarbeit für Massenerschießungen der deutschen Sicherheitspolizei. Ob Bandera selbst an diesem Progrom mitwirkte ist nicht belegt, aber auch nicht widerlegt.  Juli 1941 wurde Bandera von den Nazis verhaftet, weil sie keine unabhängige Ukraine wollten, und saß bis September 1944 im Konzentrationslager Sachsenhausen. Dann wurde er entlassen, um ein “ukrainisches Nationalkomitee” zu gründen und mit den Nazis gegen die Rote Armee zu kämpfen. Bandera lehnte dies ab. Nach dem Krieg floh er nach München, weil er wegen antisowjetischen Aktionen zum Tode verurteilt worden war. 1959 wurde er von einem KGB-Agenten ermordet.

„Banderiwzi”, also „Bandera-Leute” oder “Faschisten” wurde bereits unter Stalin eine Bezeichnung für Ukrainer, insofern diese nicht hinter dem Regime in Moskau standen. Dem Historiker Timothy Snyder zufolge ist in der russischen Propaganda ein „Nazi“ ein Mensch in der Ukraine, der sich weigert, ein Russe zu sein. Jeder von Russland unabhängige Staat in der Ukraine, ist, laut Snyder, ein „Nazi-Staat“. Die Mörder in Butscha suchten nach „Banderiwzi”. “Nazis in der Ukraine” haben, laut Synder, im russischen Verständnis nichts mit realem Faschismus zu tun, mit Massendeportation, völkischer Ideologie, Angriffskriegen oder Massenmorden an Zivilisten.

So kann sich dann das putinistische Regime dem Level von Nord-Korea nähern, wo Kindergartenkinder mit dem “Z” paradieren wie seinerzeit die Hitlerjugend, ohne dass Indoktrinierte auf die Idee kommen, dass Faschismus nicht in der Ukraine herrscht, sondern in Russland.

 Von “Bandera-Faschisten” in der Ukraine war nach 2014 im rechten Querfront-Milieu über Jahre nichts zu hören. Hetze gegen Flüchtlinge 2015 und Coronaleugung 2020 boten ein besseres Agitationsfeld für Verschwörungsmärchen. Seit dem putinistischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 gibt es hingegen kaum einen Thread, in dem sich Todenhöfer-Anhänger, Wagenknecht-Fans, AfDler, Impfgegner, sprich die üblichen Verdächtigen breitmachen, der ohne „aber Bandera, aber Asow” auskommt: Bevorzugt dann, wenn neue systematische Kriegsverbrechen der russischen Invasoren aufgedeckt werden.

Framing

Thomas Osten-Sacken verglich dieses Framing damit, beim Kampf der Kurden gegen den IS in Rojava plötzlich daran zu erinnern, dass es auch unter Kurden Islamisten gibt. Man könnte auch noch an kurdischer Milizen beim Völkermord an den Armeniern erinnern oder sich böse Taten kurdischer Herrscher der letzten 2000 Jahre herauspicken. In der konkreten Situation läuft ein solches Framing darauf hinaus, dass hängen bleibt und hängen bleiben soll "naja, "die Kurden" sind ja auch nicht besser als der IS".

Mit einer Kritik des Banderakults in der Ukraine, von der die derzeitigen "Bandera"-Brüller indessen nichts mitbekommen haben, hat das nichts zu tun. Gerhard Simon schrieb 2019 zu Recht: "Rechts­ex­tre­mis­ti­sche Par­teien und Bewe­gun­gen haben in der Ukraine keine Mas­sen­ba­sis. (...) Der reale Bandera hätte heute in der Ukraine, müsste er sich in Wahlen legi­ti­mie­ren, keine Chance." 

Wem dient dieses „Aber Bandera“-Brüllen also, während das russische Staatsorgan RIA Nowosti ganz offen den Plan eines Genozids in der Ukraine mit Neuaufbau nach putinschen Konstrukten vorstellt?

Es dient dazu, Angreifer und Verteidiger, Täter und Opfer gleichzusetzen. In der real existierenden Ukraine dient es dazu, faschistischen Terror eines Imperiums mit dem Überlebenskampf einer jungen Demokratie gleichzusetzen. Ob die „Aber Bandera“-Brüller im konkreten Fall lediglich nützliche Idioten sind, sei dahingestellt. Manche von ihnen, wissen, was sie tun.