Montag, 18.04.2022 / 19:43 Uhr

Tunesien, zurück in der Autokratie?

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Gastbeitrag von Redaktion Mena Watch

Bildquelle: Wikimedia Commons

Nach zahlreichen Verordnungen seitens des Präsidenten zur Ausschaltung demokratischer Instrumente gerät das Land in Gefahr, wieder zu einem autoritären Staat zu werden.

 

Ende März kündigte Tunesiens Präsident Kais Saied die Auflösung des Parlaments an, nachdem es seine Entscheidung zur Ausschaltung demokratischer Institutionen aufgehoben hatte, die es ihm seit vergangenem Juli ermöglichten, per Dekret zu regieren.

Als Folge wurden Parlamentsmitglieder zu Befragungen einbestellt. Justizministerin Leila Jeffal rief den Staatsanwalt dazu auf, Haftbefehle gegen Abgeordneten zu erlassen, die gegen den Präsidenten gestimmt hatten, da sie eine »kriminelle Vereinigung bilden« würden mit dem Ziel, »den tunesischen Staat zu gefährden und Chaos auf seinem Territorium zu stiften«. Die Anti-Terror-Verordnung würde für solche Vergehen Strafen zwischen zwanzig Jahren Gefängnis und der Todesstrafe vorsehen.

Während Saied das Parlament auflöste, bekräftigte er, an seinem Fahrplan für eine Verfassungsreform festhalten zu wollen. Am 6. April kündigte der Präsident Parlamentswahlen für Dezember an, bei denen allerdings nur für einzelne Personen und nicht mehr für Listen oder Parteien wie in den Wahlen zuvor abgestimmt werden dürfen. Auch wurden Pläne Saieds zu einer Änderung der Zusammensetzung der Unabhängigen Wahlkommission bekannt.

Trotz anderslautender Ankündigungen hat Saied mit der Opposition bislang keine Gespräche über diese Änderungen abgehalten.

Angesichts dieser autoritären Wende zeigen sich Oppositionsgruppen im Land enttäuscht von der mangelnden Unterstützung der tunesischen Demokratie durch die Europäische Union, die Präsident Saieds Schritte nicht verurteilt hat. Anders als die USA, die künftige Finanzhilfen an die Wiedereinsetzung der demokratischen Institutionen gebunden hat, verkündete die Europäische Kommission Anfang April, Tunesien in diesem Jahr 450 Mio. Euro an Unterstützung zukommen zu lassen.

Ahmed Gaaloul, Angehöriger der oppositionellen islamischen Ennahda-Partei, sagte in einem Interview mit dem Internet-Nachrichtenportal Euractiv, er glaube, die geopolitische Lage habe zum Schweigen der EU beigetragen, nachdem Präsident Saied sich bei der UNO-Resolution nicht gegen Russland stellen wollte und jene Pipelines, die algerisches Gas nach Europa liefern, durch Tunesien verlaufen.

»Ich verstehe nicht, wie die EU solch eine Position einnehmen konnte. Die USA haben den Mut, die Dinge als das zu beschreiben, was sie sind, obwohl die internationale Gemeinschaft sich bislang nicht durchringen konnte, Kais Saieds Schritte als Putsch zu bezeichnen.

Die EU betrachtet Tunesien als vor ihrer Türschwelle liegend, die das Land nicht verlieren wollen. Jeder weiß, dass Kais Saied unglücklich darüber war, in der Ukraine-Frage gegen Russland zu stimmen und es auf seiner Agenda steht, Tunesien enger an Russland zu binden.«

Dennoch, so meint Gaaloul, werden die EU-Finanzhilfen nicht ausreichen, um das Land aus seiner sozialen Krise zu befreien. Während der politische Stillstand anhält, vertieft sich zusehends die soziale und wirtschaftliche Krise Tunesiens.

In diesem Zusammenhang suchte Saied beim Internationalen Währungsfonds um finanzielle Unterstützung an, allerdings ist es unwahrscheinlich, dass diese in naher Zukunft gewährt wird. Die Tunesier hatten schon unter einer – durch die COVID-19-Pandemie noch einmal verstärkten – wirtschaftlichen Stagnation gelitten, bevor sich die Lage aufgrund der durch die Ukraine-Krise bedingte Aussicht auf Weizenengpässe noch einmal verschlimmert hat.

Aufgrund der Budgetknappheit konnte Tunesien vor der Ukraine-Krise nur noch kleine Mengen an Weizen importieren. An dieser schlechten Ausgangslage wird auch der 200-Mio.-Euro-Fonds nicht viel ändern, den die EU für Marokko, Algerien, Tunesien und Ägypten bereitgestellt hat, um die durch den Ukraine-Krieg hervorgerufenen Teuerungen und Engpässe bei der Weizenversorgung abzumildern.