Sonntag, 17.12.2023 / 19:26 Uhr

Zerstörte Leben, geraubte Träume; Jesiden ohne Zukunft

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Gastbeitrag von Holger Geisler

Jesidin im Khanke Camp bei Dohuk, Bild: Philip Mollenhauer

Erst schöpften Jesidinnen und Jesiden in Deutschland und dem Irak Hoffnung für mehr Hilfe und Unterstützung nachdem der Bundestag die Massaker des Islamischen Staates als Völkermord anerkannte. Stattdessen drohen vielen von ihnen jetzt Abschiebungen.

 

Unzählige Völkermorde mussten die Jesiden, nach den eigenen Überlieferungen, über sich ergehen lassen.

Der letzte geschah 2014 und war der erste, der von der ganzen Welt wahrgenommen wurde. Der selbsternannte Islamische Staat versuchte das uralte Volk der Jesiden endgültig auszurotten. Was ihnen nicht gelang könnte nun durch die westliche Welt tatsächlich geschehen. Warme Worte und symbolische Akte gab es genug. Sacharow Menschenrechtspreis, Friedensnobelpreis, Anerkennung des Völkermordes durch UN, EU Parlament und etliche nationale Abgeordnetenhäuser wähnte die Jesiden in Sicherheit.

Eine der wichtigsten Abstimmungen gab es am 19. Januar diesen Jahres. Der Deutsche Bundestag verabschiedetes einstimmig, über alle Parteigrenzen hinweg die Verbrechen des IS an den Jesiden als „Völkermord“ einzustufen. Dieser Entscheid ging einher mit starken Äußerungen der Parlamentarier. „Wenn ihr den Jesiden ihre Welt raubt, so geben wir ihnen die unsere“ erklärte der CSU MDB Dr. Jonas Geisler. „Von dauerhafter Unterstützung“ war ebenso die Rede wie davon „den Genozid nicht verhindert zu haben aber dies nie, nie wieder zuzulassen“

Zweite Heimat

Dies alles führte dazu, dass die Jesiden sich in ihrer neuen zweiten Heimat noch mehr zu Hause, vor allem aber sicher fühlten. Immerhin leben hier rund 300.000. Das sind rund 25% der insgesamt noch existierenden 1,2 Millionen Jesiden weltweit. Rund 30.000 von ihnen sind nun aber von der Rückführung, ein schöneres Wort für Abschiebung, von der Ausweisung in die alte Heimat bedroht.

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Massenflucht von Jesiden vor dem IS, Bildquelle: The New Arab

 

Was war geschehen? Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschied 2019, höchstrichterlich „es gibt keine Gruppenverfolgung von Jesiden im Irak mehr“. Seitdem gibt es immer weniger positive Asylentscheide. Waren es zuvor fast 98 % die anerkannt wurden, werden heute mehr als jeder zweite abgelehnt. Führte dies aber, auch Dank einer Einigung aller Innenminister aus dem Jahr 2019, bislang aber zu keinen vermehrten Abschiebebemühungen.

Noch immer 300.000 in Camps im Nordirak

Dies ist seit Mitte des Jahres aber anders. Seitdem der Sonderbeauftragte für Rückführungen ein Abkommen mit dem Irak abgeschlossen hat, wurden Abschiebungen verstärkt vorbereitet und auch durchgeführt. Dabei trifft es sehr oft gut integrierte Menschen, die berufstätig sind, Steuern zahlen, deren Familie eine neue Heimat gefunden hat. Diese Familien werden nun willkürlich auseinandergerissen. Jedem ist klar, dass junge jesidische Frauen alleinstehend, keine Überlebenschance im Irak haben. Alle wissen, dass Jesiden als Gruppe allenfalls in Kurdistan, oder im Shingal leben können. Im Shingal toben jedoch weiterhin Kämpfe, der international versprochene Wiederaufbau ist allenfalls theoretischer Natur. Zudem sorgen stetige Bombenangriffe aus der Türkei, sowie die Präsenz iranischer, aber auch irakischer, kurdischer und anderer Milizen für eine stetige Lebensgefahr. In Kurdistan sind derzeit noch mehr als 300.000 Shingal Jesiden in schlecht ausgestatteten Camps untergebracht, es gibt schlichtweg keinen Platz für die zurückkehren sollen.

Keiner will zuständig sein

Dies alles ist den planenden und ausführenden Akteuren bewusst. Zudem will keiner in Deutschland Schuld am derzeitigen Status Quo haben. Der Bund verweist auf die Länder, die Länder wiederum auf Bund und die Kommunen. Die Städte und Gemeinden fühlen sich an die Weisung des BAMF gebunden, das wiederum sagt die Länder könnten die Abschiebungen verhindern.

Jeder mag in seiner Argumentation in großen Teilen recht haben, aber es geht nicht darum „Schuldige“ zu benennen, sondern Lösungen zu finden. Den Jesiden ist egal, welcher der Akteure ihnen den Verbleib in der neuen Heimat ermöglicht. Die Bundesländer Niedersachsen, Bremen und Berlin schieben keine Jesiden ab. Auch aus Baden Württemberg ist kein Fall bekannt. Dies zeigt, dass die Bundesländer durchaus in der Lage sind die Rückführungen zu verhindern.

Dennoch haben die Regierungsfraktionen in NRW einen Antrag zum sofortigen Abschiebestopp abgelehnt. Natürlich könnte auch der Bund einen nationalen Abschiebestopp erlassen, vor allem da das Auswärtige Amt noch immer eine Reisewarnung für den Shingal ausspricht. Aber das SPD geführte Innenministerium des Bundes, mag sich zu diesem Schritt nicht durchringen. Die Unterstützung die die Jesiden aber derzeit aus der Zivilgesellschaft, insbesondere der Wissenschaft aber auch anderen Religionsgemeinschaften erfährt ist überwältigend. Egal ob Katholische, Evangelische oder Orthodoxe Christen sowie insbesondere die Jüdische Religionsgemeinschaft, sie alle sind bereit für die verfolgten Jesiden einzustehen.

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Im Ausland werden diese Geschehnisse genau verfolgt. Im Land das für den Holocaust verantwortlich zeichnet, engagieren sich Shoa Überlebende für ein anderes, kleines Volk – dass immer wieder ausgerottet werden soll.

Bleibt zu hoffen, dass diese ganzen Anstrengungen zu einem Umdenken in der Deutschen Politik führen. Wenn nicht, dann gibt es keine Sicherheit für die Jesiden, nirgendwo auf der Welt. Und dann ist es nur eine Frage der Zeit bis der versuchte Genozid im vollständigen Verschwinden der Jesiden führen wird.

Wenn die Politik, egal auf welcher Ebene eine Lösung finden will, wird es eine geben. Sollte diese Lösung ausbleiben, dann hat die Politik diese auch nicht gewollt. So bleibt abzuwarten ob „Nie wieder“ mehr als ein Lippenbekenntnis ist, oder ob künftige Generationen die Jesiden nur noch aus Geschichtsbüchern erleben wird.