Mittwoch, 03.07.2024 / 22:50 Uhr

Ankara und Damaskus gemeinsam gegen die PYD

Die kurdische Autonomieverwaltung in Nordsyrien möchte Kommunalwahlen durchführen, was die Türkei vehement ablehnt und sich um eine Normalisierung der Beziehungen zum syrischen Regime bemüht.

 

Schon vor Wochen beschlossen die Kurden, die ursprünglich für den 11. Juni angesetzten Wahlen zu verschieben, da die Vereinigten Staaten sie nicht unterstützten und die Türkei sie komplett ablehnte. Dieser Schritt scheint die stagnierende politische Lage in Syrien wieder zu beleben. So traf der türkische Außenminister Hakan Fidan am 11. Juni am Rande des BRICS-Gipfels mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammen. In seinen Erklärungen nach dem Treffen bestätigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, sein Außenminister habe mit Putin ausführlich über die von den Kurden angestrebten Wahlen im Nordosten Syriens gesprochen.

Erdoğan drohte erneut mit der Option einer Militäroperation, indem er erklärte, sein Land werde alle Kräfte mobilisieren, um tätig zu werden, sollten sich die Kurden für die Abhaltung von Wahlen in Nordsyrien entscheiden.

Der Türkeiforscher Taha Odeh Oglu ist der Ansicht, das Treffen zwischen Fidan und Putin, bei dem es vor allem um die Lage in Syrien und die von den Kurden angekündigten Wahlen ging, habe die Apathie zwischen der Türkei und Russland überwunden und den weiteren Akteuren in der Syrienfrage eine Botschaft übermittelt. 

Die türkische und die russische Seite hatten bereits im Oktober 2019 eine Absichtserklärung zu Syrien unterzeichnet, welche die Bekämpfung des Terrorismus, die Gewährleistung der territorialen Integrität Syriens und die Rückkehr der Flüchtlinge aus der Türkei vorsieht.

Das Memorandum beinhaltete auch den Rückzug der kurdischen Streitkräfte von der türkischen Grenze bis zu einer Tiefe von dreißig Kilometern. Die Umsetzung beschränkte sich dann jedoch auf gemeinsame türkisch-russische Patrouillen in der Region, ohne dass es zu einem vollständigen Abzug der Kurden gekommen wäre, weshalb die Türkei wiederholt von Russland die Umsetzung seiner Zusagen forderte.

Angesichts der Sezessionsforderungen der Kurden in der Türkei betrachtet Ankara die Präsenz einer kurdischen Behörde, die ein Gebiet an ihrer Grenze zu Syrien kontrolliert, als große Bedrohung für ihre nationale Sicherheit.

Diesmal erfolgreicher?

Nach dem Treffen zwischen Fidan und Putin deutete Erdoğan an, dass die »syrische Verwaltung« (d. h. das syrische Regime) die Abhaltung kurdischer Wahlen in Syrien nicht zulassen werde. Hakan Fidan sagte Anfang vergangener Woche in einer Fernsehansprache, die Türkei wolle, dass das syrische Regime die derzeitige Ruhe ausnutze, um »verfassungsrechtliche Probleme zu lösen« und »Frieden mit der Opposition zu schließen«. Ankara glaube nicht, dass das Regime diese Chance »ausreichend ausnutzt«, meinte Fidan und betonte, wie wichtig es sei, »die syrische Regierung und die Opposition zu vereinen, um den Terrorismus durch den Kampf gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu bekämpfen«.

Die Erklärungen Erdoğans und seines Außenministers gaben Anlass zu Spekulationen über eine mögliche Annäherung zwischen Damaskus und Ankara auf der Grundlage der Kurdenfrage. Die Erklärungen fielen zusammen mit von türkischen Medien veröffentlichten Informationen über die Wiederaufnahme von Sicherheitstreffen zwischen der Türkei und dem syrischen Regime.

Vor einigen Tagen berichtete etwa die Zeitung Aydınılık unter Berufung auf informierte Quellen, syrische und türkische Militärdelegationen hätten unter russischer Vermittlung Verhandlungen auf dem Luftwaffenstützpunkt Hmeimim geführt. Das nächste Treffen wird voraussichtlich in Bagdad stattfinden. Bereits vor Wochen kündigte der irakische Premierminister Muhammad Shiaa al-Sudani an, sein Land werde eine neue Vermittlungsaktion leiten, um die Türkei und das syrische Regime einander näher zu bringen. Er hoffe, dass die Gespräche dieses Mal anders und besser verlaufen würden als bei den vorherigen Versuchen.

Obwohl Syrien und die Türkei in den vergangenen Jahren eine Reihe von geheimdienstlichen und diplomatischen Treffen abgehalten haben, blieben diese Schritte ergebnislos, nachdem Damaskus auf dem Abzug der türkischen Streitkräfte aus dem syrischen Hoheitsgebiet bestand und Ankara sich weigerte.

Kurdische Karte

Der Politikanalyst Omar Kosh ist der Ansicht, dass die jüngsten türkischen Äußerungen zu Syrien in den allgemeinen Rahmen der türkischen Politik und der Vorgehensweise des Außenministeriums fallen. Laut Kosh hat Ankara die Bedingungen vorgegeben, indem sie die kurdische Karte zog. »Die Türkei hat es zur Notwendigkeit erklärt, die ganz oben auf der Prioritätenliste steht, dass die Gründung jedweder Entität durch die die kurdische Partei der Demokratischen Union und die ihr angeschlossenen Milizen verhindert werden müsse.«

Auf dieser Grundlage, so Kosh weiter, soll der Aufruf der Türkei, die Opposition und das Regime in Syrien zu vereinen, dazu beitragen, das Ziel zu erreichen, »die kurdische Autonomieverwaltung in Nordsyrien und ihren primären Ursprung zu bekämpfen: die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die einen erheblichen Einfluss auf die militärischen und zivilen Formationen im Nordosten Syriens hat.«

Der Forscher Taha Odeh Oglu ist der Ansicht, das syrische Regime habe in letzter Zeit eine gewisse Flexibilität bei den Gesprächen mit Ankara gezeigt. Er betonte jedoch die weiterhin bestehende Schwierigkeit und Komplexität der Differenzen zwischen den beiden Ländern, darunter die Bekämpfung des Terrorismus, die Erleichterung der Rückkehr syrischer Flüchtlinge und die Beteiligung des syrischen Regimes an einer politischen Lösung im Land.

Der Türkei-Experte Mahmoud Alloush wiederum weist darauf hin, die Türkei habe »drei Ziele für ihre derzeitige Politik in Syrien festgelegt, darunter die Förderung des Prozesses einer politischen Lösung des Syrienkonflikts«. Er ist der Ansicht, dass die von der Türkei geforderte Versöhnung zwischen dem Regime und der Opposition mit dem allgemeinen Prinzip der Beilegung des Konflikts im Einklang steht, was aus türkischer Sicht mehrere Schritte erfordert: die Abhaltung fairer Wahlen, die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und die Umstrukturierung der Sicherheits- und Militäreinrichtungen.

Laut Alloush verfolgt Ankara diesen Ansatz, seit es vor mehr als anderthalb Jahren einen Dialog mit dem syrischen Regime aufgenommen hat.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Normalisierungsprozess zwischen der Türkei und Syrien noch immer vor großen Problemen steht, darunter die Präsenz türkischer Streitkräfte auf syrischem Gebiet. Der gemeinsame Wunsch von Damaskus und Ankara, die Unabhängigkeit der kurdischen Gebiete in beiden Ländern zu verhindern, könnte jedoch eine Grundlage für die Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen sein.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch