Vom Marxismus-Leninismus zum Islamismus

Khomeinis Kinder vor dem Kadi

Im Gerichtssaal gibt AIZ-Angeklagter Bernhard Falk Schnellkurse in Islam

Schwer verdauliche Kost wurde am Freitag vergangener Woche im Sondergerichtsgebäude des Düsseldorfer Oberlandesgerichts serviert. Dreieinhalb Stunden dozierte Bernhard Falk über islamisches Selbstverständnis. Der Ex-Physikstudent und spätere Lagerarbeiter soll zusammen mit seinem Mitangeklagten Muslim-Bruder Michael Steinau Mitglied der Antiimperialistischen-Zellen (AIZ) und für mehrere Sprengstoffanschläge gegen CDU- und FDP-Geschäftsstellen und Bundestagspolitiker in den Jahren 1994 und 1995 verantwortlich sein. Beide wurden im Februar 1996 bei Hamburg verhaftet.

Die MedienvertreterInnen waren auf Rituale eingestellt: geballte Fäuste von gefesselten Gefangenen und SymphatisantInnen, die Parolen skandieren. Doch das knappe Dutzend Menschen verliert sich im Zuschauerraum und auch ihnen ist nicht gerade Sympathie für die beiden Muslime anzumerken. Selbst die beiden bärtigen Angeklagten entsprechen so gar nicht dem Medienbild fanatisch-kaltblütiger Terroristen. Sie wirken eher wie der nette Junge von nebenan.

Höflich geht's im fensterlosen Gerichtssaal zu. Mit sonorer Stimme stellt der Vorsitzende Richter Ottmar Breitling wie ein Talkmaster sämtliche Prozeßbeteiligten vor. Nach knapp zwanzig Minuten kann der Anklagevertreter der Karlsruher Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Peter Ernst, die Anklageschrift verlesen. Der Vorsitzende Richter wird von den Angeklagten standesgemäß mit "Herr Vorsitzender" angesprochen und sie selbst warten, bis ihnen Breitling das Wort erteilt. Der Ton bleibt moderat und von ausgesuchter Höflichkeit, als Falk das Wort ergreift. Die Tonlage ändert sich auch nicht, als er die Anklage als "substanzloses Konstrukt" bezeichnet und dem Senatsvorsitzenden vorwirft, dieser wolle sich mit dem AIZ-Verfahren als Staatsschutzexperte profilieren.

Eine linke Fundamentalopposition gibt es nach Ansicht Bernhard Falks heute nicht mehr. Nach der Deeskalationserklärung der RAF sei die AIZ als die "einzige fundamentaloppositionelle Gruppierung" übriggeblieben. Neun militante Aktionen habe die Gruppe durchgeführt, insgesamt 17 Positionspapiere veröffentlicht. Der 30jährige bezeichnet sich als "jüngsten politischen Gefangenen in der BRD". Für seine Mitgliedschaft in der AIZ gebe es keine Beweise und er werde mit seiner Verteidigung alles tun, um diese Anklage scheitern zu lassen.

Auf 100 Seiten und unterteilt in 20 Kapitel umschreibt der ehemalige Physikstudiosus, der mit der Abiturnote 0,72 Jahrgangsbester des Landes Schleswig-Holstein war, sein Weltbild. Das Manifest adressiert er ausdrücklich "an die Linke in der BRD" und fordert diese zu einem "fundamental oppositionellen Bündnis" auf.

Zusammenschließen müßte sich seiner Meinung nach die Linke mit dem Islam, der "keinen tyrannischen Kapitalismus billige, der sozialer Gerechtigkeit entgegensteht". In den drei "weltbeherrschenden Staaten", den USA, der BRD und dem "zionistischen Staat Israel" sieht er nicht nur eine Bedrohung der Menschheit, sondern auch "Feinde des Islam". Um dies zu beweisen, zitiert er ellenlang den Koran, das "wichtigste Buch der Menschheit", und das politische Testament von Ajatollah Khomeini. In der Islamischen Republik Iran, der libyschen Volksjamahiria und der Republik Sudan sieht er seine Verbündeten im Kampf gegen die imperialistischen Mächte. Akribisch zählt Bernhard Falk, geordnet nach Nationalitäten und Religionsgruppen, die Millionen von Menschen auf, die im Zweiten Weltkrieg ermordet wurden, um vor diesem Hintergrund lapidar die Ermordung "von 5,3 Millionen (sic!) Juden", als "singulär" zu titulieren.

Bevor sich Falk in den letzten Jahren dem Islam zuwandte, versuchte er, Ende der Achtziger in die DDR überzusiedeln. Der Mauerfall machte die Pläne zunichte. Auch in der Linken, die er zu Anfang als "attraktiv und lebendig" empfand, wurde er nicht heimisch. "Eine Art Durchlauferhitzer für 15- bis 25jährige". Dem Marxismus-Leninismus, mit dem er sich seit Jahren befaßt habe, bescheinigt er "keine ausreichende Problemlösungskompetenz."

Bernhard Falk kennt das Sondergerichtsgebäude. 1990 betrat er das OLG- Nebengebäude in der Düsseldorfer Tannenstraße noch als Zuschauer. Verhandelt wurde gegen "kurdische Gefangene". Damals, so sagt er, habe er den Eindruck gehabt, daß es sich bei dem Prozeß um eine "Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Juristen von Juristen" handele. Seit dem 14. November 1997 beschäftigen Bernhard Falk und sein Mitangeklagter Michael Steinau fünf Richter, einen Gerichtsschreiber, zwei BundesanwältInnen und vier RechtsanwältInnen.