Erinnerung an den Warschauer Aufstand

»Ob wir überleben würden«

Seite 2 – Egoismus und Solidarität

Białoszewski war 21 Jahre alt, als er am 1. August 1944 sein Wohnhaus in der Warschauer Innenstadt verließ, um seiner Mutter Brot zu besorgen, und unvermittelt in die Erhebung hineingeriet. Er half beim Barrikadenbau, flüchtete vor den Fliegerangriffen in immer andere Wohnungen und lebte schließlich fast nur noch in Kellern, »in diesem ewigen Abend des Luftschutzraums«. Er beschreibt die Abstumpfung angesichts der Leichenberge, die Anflüge von Egoismus (»Wie leicht man jemanden ­abschreiben kann!«), aber auch die Akte der Solidarität. Mit der Zeit ­bildet sich eine ganz eigene Existenzweise heraus, ein Gehetztsein, das ihn zu immer neuen Menschen und Orten treibt. »Ganz egal in welcher Herde. Hauptsache Herde«, vermerkt er. »Woanders war besser. Und sogar, wenn es einem einfiel, dass es ja überall gleich ist, das half auch nicht«, hält er fest.

Miron Białoszewski (links) als Schüler

Miron Białoszewski (links) als Schüler

Bild:
gemeinfrei / wikimedia

Bei seinen seltenen Ausflügen ans Tageslicht inventarisiert er schon einmal die Bestände: »Vielleicht rede ich hier zu viel von diesen alten Baudenkmälern. Aber sie sind wichtig, denn sie sind mit uns untergegangen.« An Pompeji gemahnt ihn das Inferno, das die Deutschen anrichteten. Die Vorhut bildeten dabei oft Überläufertruppen wie die russische SS-Einheit »RONA« und ukrai­nische oder andere aus Osteuropäern bestehende Verbände, die sich durch besondere Grausamkeit hervortraten. Noch schlimmer agierten die Angehörigen der überwiegend aus deutschen Straftätern gebildeten SS-Sondereinheit Dirlewanger, die den Befehl erhalten hatten, »sämtliche Einwohner zu erschießen«.

Vor keiner Untat schreckten die Besatzungskräfte zurück. So ließ die Wehrmacht an einem Tag einen Panzer in die Hände der Polen fallen, der mit einer Zeitbombe bestückt war. Sie erwartete, dass die Warschauer die Kaperung des Goliath-Tanks als gelungenen Beutezug feiern würden –  das Kalkül ging auf, wie Białoszewski schreibt: »Während die Euphorie ­ihren Gipfel erreichte und sich die Menschen auf den Balkonen drängten, kam es zur Katastrophe. Viele, die auf den Balkonen gestanden hatten, wurden von den Eisenstäben durchbohrt. Die meisten Leichen, Stücke von Beinen, Armen, Innereien, Kleidungsstücken lagen auf den Grünflächen in der Mitte.« An die 300 Menschen starben an diesem 13. August in der Jan-Kiliński-Straße.